Vreni Giger ist eine der hevorragendsten Köchinnen der Schweiz. Die mit 17 GaultMillau-Punkten ausgezeichnete Küchenchefin spricht am 6. September an der Fachtagung “IAP Dialog” über „Individualisierung in Organisationen“. Was sie als Köchin ausmacht, viel Individualität in ihrer Küche möglich ist und was Essen mit Selbstbestimmung zu tun hat, erzählt sie im folgenden Interview.
Vreni Giger, Sie müssen jeden Tag unter Zeitdruck Perfektion liefern, für die Sie mit Ihrem Namen einstehen. Muss Ihr Team einfach „parieren“?
In erster Linie geht es um gute Zusammenarbeit. Ich bin ein starker Teamplayer und habe gelernt, dass Mitarbeitende dich entsprechend belohnen, wenn du ihnen Kompetenzen gibst und ihnen vertraust. Sie bringen dann von sich aus gute Leistungen. Je mehr man Mitarbeitende bevormundet, desto weniger müssen sie selber denken, und desto weniger bringen sie dann auch selbst eine Leistung.
Dann kann jeder einfach mal machen?
Das kann man so nicht sagen. In der Küche ist Vieles einfach hierarchisch. Man kann zum Beispiel nicht lange über die Sauce diskutieren, denn der Gast wartet auf sein Essen. Deshalb sage ich während der Service-Zeit einfach klar „so wird es gemacht“. Wenn es jemandem nicht passt, kann man nach dem Service darüber reden. Aber während der Service läuft, wird einfach ausgeführt.
Wie viel Individualität können Ihre Mitarbeitenden in die Gerichte einbringen, die dann unter Ihrem Namen serviert werden?
Meine Mitarbeitenden haben einen grossen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen können. Es gibt einfach ein paar Eckdaten, die stimmen müssen, damit es noch meine Handschrift ist.
Was für Eckdaten…?
Zum Beispiel die Saisonalität. Ich würde nie akzeptieren, dass man im Winter etwas mit Tomaten macht oder im Sommer etwas mit Feigen. Auch die Regionalität ist mir wichtig. Ich hätte nicht gern ein Produkt in meinen Speisen, das von „irgendwoher“ kommt. Wer sich an diese Eckdaten hält, kommt bei mir eigentlich schon sehr weit.
Sie wurden in den Medien als „Bio-Köchin“ bezeichnet. Warum ist Ihnen das Label „Bio“ wichtig?
Wir haben vor ungefähr 19 Jahren mit “Bio”-Produkten angefangen. Damals geschah das einfach auf der Suche nach den besten Produkten für unsere Küche. Heute hat sich viel verändert, es haben viele positive Entwicklungen stattgefunden. Gerade auch in der Fleischproduktion ist viel geschehen. Es gibt heute hervorragende Fleischproduktion, die nicht „Bio“ ist. Wesentlich ist mir vor allem der Grundgedanke hinter den Dingen. Für mich steht deshalb heute zum Beispiel die Regionalität über dem „Bio“-Gedanken, denn “Bio”-Tomaten aus Spanien sind ein Witz. Ich kaufe prinzipiell Tomaten aus der Schweiz. Wenn die dann zusätzlich „Bio“ sind, ist das für mich perfekt. Aber in erster Linie kaufe ich saisonale, regionale Tomaten. Gleichzeitig steht das Label „Bio“ natürlich ebenfalls für eine besondere Grundeinstellung dem Leben gegenüber. Damit meine ich nicht, dass ich “Körnlipicker” bin oder “Wollsocken” und “Öko-Beef” propagiere. Es geht mir vielmehr um die Grundgedanken, die auch soziologisch hinter den Produkten stehen. Wie zum Beispiel die Frage, gehe ich in den Aldi einkaufen oder nicht? Aldi-Produkte sind perfekt. Aber die Frage ist: Will ich das unterstützen, wofür Aldi steht, und was ihn ausmacht? Das ist beim „Bio“-Label genauso. Für mich ist es wichtig, dass die Produkte dem Leben gegenüber nachhaltig und sinnvoll sind.
Was kochen Sie besonders gerne im Sommer?
Der Sommer ist reich an Gemüsesorten. Für mich ist er sehr „tomatenlastig“. Aber auch Peperoni, Aubergine und all die mediteranen Gemüsesorten kommen zum Zug. Auch Artischocken und Bohnen. Dazu etwas Grilliertes, ein Lamm oder ein schöner Fisch. Das Spezielle am Sommer ist, dass es einfach alles hat, was dein Herz begehrt.
Gab es etwas, was sie schon als Kind nicht gerne gegessen haben..?
Mangold… Mangold und gelbe Räben! Das hab ich als Kind nicht gern gehabt, und das esse ich heute noch nicht gern.
Können Sie heute Hausmannskost überhaupt noch geniessen?
Oh, ja! Ich habe wahnsinnig gern gefüllte Omeletten von meiner Mutter mit Gehacktem und Apfelmus dazu. Ich finde jede gute Hausmannskost, die für mich gekocht wird, einfach „läss“. Egal was es ist. Wenn sich jemand die Mühe macht, für mich einen Tisch zu bereiten, finde ich das immer super. Ob das jetzt ein Stück Brot mit Käse ist oder ein Grill-Teller oder ein Salat oder ein Gulasch: Ich sitze gerne an jeden Tisch.
Heutzutage fotografieren die Gäste das Essen im Restaurant oft, bevor sie es überhaupt kosten. Die Bilder landen dann auf Facebook, Instagram und anderen Sozialen Netzwerken…
Ja, ganz furchtbar…(lacht)…
…wie stehen Sie als GaultMillau-Köchin zum Trend des “Food Porn”?
Ich finde diese Erscheinung in unserer Gesellschaft sehr speziell. Aber es ist eben so. Man teilt Rezepte und redet übers Kochen. Das ist im Grunde genommen nichts Schlechtes. Aber diese ganze Vernetzung finde ich fraglich. Ich selbst habe zum Beispiel auf Facebook über 1‘500 sogenannte Freunde. Die folgen mir einfach, weil sie sich für mich als Vreni Giger interessieren. Aber das ist ja nicht real. Ich glaube, dieser Trend zum Essen kommt aus dem digitalen Trend, aus der immer stärkeren Vernetzung und dem Mangel an Realem. Essen ist etwas Reales, das kann man noch anfassen. Es hat auch viel mit Selbstbestimmung zu tun: Ich kann selbst bestimmen, was ich meinem Körper zuführe und was nicht. Essen hat etwas von Selbstbestimmung. Das ist greifbar. Alles andere ist so extrem virtuell geworden. Einfach nicht mehr fassbar. Gerade wenn man selbst kocht, hat man noch selbst in der Hand, was man macht und mit welchen Produkten man es macht. Man kann sich selbst darüber definieren, was man kocht und was man isst.
Sie waren 20 Jahre lang im Jägerhof in St. Gallen. Welches war das schönste Kompliment, das Sie in dieser Zeit bekommen haben?
Ich habe mich eben erst von meinen Mitarbeitern verabschiedet. Das war extrem emotional. Grundsätzlich war es für mich ein schönes Kompliment zu sehen, wie sehr mich die Mitarbeiter geschätzt haben – auch wenn wir manchmal hart aneinander geraten sind. Dass sie gemerkt haben, was mich als Chefin ausmacht, was ich für ein Mensch bin, und was für einen Führungsstil ich habe – das hat mich gefreut. Ich habe auch in andere Betriebe reinschauen können und gesehen, dass ich sehr langjährige Mitarbeiter hatte. Das fasse ich als Kompliment an mich auf, und ich bin, ehrlich gesagt, stolz auf mich, dass ich so werden durfte, wie ich jetzt bin.
Sie schlagen nun ein ganz neues Kapitel in Ihrer Laufbahn auf…
Ja, ich werde im Rigiblick in Zürich die Betriebsleitung übernehmen. Das heisst, ich werde nicht mehr direkt in der Küche stehen. Ich habe zwar noch immer ein Team, bin noch immer Chefin, aber es wird eine neue Herausforderung für mich, und ich freue mich extrem auf das Neue. Ich habe zwar im Jägerhof nicht 20 Jahre lang dasselbe gemacht, aber es war doch immer derselbe Betrieb. Zudem war ich noch sehr jung als ich dort angefangen habe. Daher ist es schön, nun einfach noch einmal die Chance zu haben, von Grund auf etwas Neues anfangen und hoffentlich zum Leuchten bringen zu dürfen.
Vreni Giger ist am 6. September zu Gast an unserer Fachtagung „IAP Dialog“ in der Bananenreiferei Zürich. Wer sie dort live in der Diskussion erleben will, kann sich anmelden unter: IAP Dialog