Anfangs dieses Jahres fand das erste Führungs-Training für die Emmi-Tochter Vitalait in Tunesien statt. Eine Woche voller Eindrücke und Einsichten.
Von Joachim Maier, Berater am IAP Institut für Angewandte Psychologie
Vermutlich war ich der erste IAP Mitarbeiter, der ein Mandat ausserhalb Europas wahrgenommen hat. Und ja, etwas komisch war es schon, am Tag nach meiner Rückkehr die Sicherheitslage in Tunesien auf der NZZ-Titelseite besprochen zu finden. Zwar hatte mir ein Taxifahrer von Demonstrationen an ‘meinem’ Arbeitsort Mahdia berichtet. Von der wenige Stunden nach meinem Rückflug in Kraft getretenen landesweiten Ausgangssperre hatte ich aber nichts mitbekommen. Überrascht wäre ich allerdings nicht gewesen: bei über 50 Prozent arbeitslosen Jungakademikern und Bestechungsgeldern von 1500€ für einen Job im Staatsdienst. Bei einem staatlichen Mindestlohn von gerade einmal 160€ – den 24 Prozent der Bevölkerung nicht erreicht und damit in Armut lebt.
Die 50’000 Einwohnerstadt Mahdia liegt etwas südlich von Sousse, wo bei einem Terroranschlag letztes Jahr 37 Engländer erschossen wurden. Grund für die zahlreichen geschlossenen Hotels. Unser Hotel hatte eine Kapazität von vielleicht 2’000 Betten. Gerade 50 davon waren belegt – überwiegend mit deutschen Rentnerinnen und Rentnern. 8 von 10 der grossen Häuser vor Ort waren geschlossen. Ich würde wiederkommen – auch mit meiner Familie.
In Mahdia gibt es gerade einmal drei grosse private Arbeitgeber. Unser milchverarbeitender Kunde Vitalait ist einer davon. Er gehört zur Emmi-Gruppe, ist dem Vernehmen nach wirtschaftlich erfolgreich und beschäftigt über 700 Menschen. Meine Mitreisende und Co-Moderatorin war HR-Verantwortliche bei Emmi für diese Region. Wir stellten an drei Tagen jeweils morgens 18 Mitarbeitenden das in der Schweiz bewährte Neuro-Leadership-Modell vor. Am Nachmittag testeten wir dann den Wirkungsgrad des Modells im Setting von kollegialen Fallberatungen. Wiederholt äusserten die Teilnehmenden, das Modell beschreibe die Dynamik dessen, was sie in den letzten Jahren erlebt hätten. Da war mir klar: Es funktioniert. Klar wurde aber auch: Die organisatorischen Strukturen in Tunesien funktionieren anders als die in der Schweiz. Ob wirklich gewünscht ist, dass Mitarbeitende im Sinne des Neuromodells ihre Sensibilität einbringen, um ihr Verhalten ausgerichtet an Grundbedürfnissen und Glaubenssätzen der Organisation zu verändern, ist wenigstens offen, denn das Modell wurde ursprünglich auf europäische Denkmuster ausgelegt. Die natürlich vertraulich mitgeteilten Schlüsselgeschichten der kollegialen Fallberatungen zeigten aber, dass bei Vitalait vieles anders läuft, als man sich in der Schweiz vorstellen kann.
Ich wünsche den Menschen in Mahdia, sie mögen wieder auf die Beine kommen und Touristen wieder wie früher in die Stadt strömen sehen. Den vielen Jungen sehr gut ausgebildeten Menschen mögen sich Perspektiven eröffnen. Offen gestanden habe ich normalerweise Mühe auf Ferienanlagen Trinkgelder zu geben – bei diesem Aufenthalt war das anders. Einen Teppich habe ich übrigens auch mit nach Hause gebracht 🙂
Über den Autor:
Joachim Maier ist Dozent & Berater im Bereich digitales Lernen am IAP Institut für Angewandte Psychologie.