Von Christoph Gütersloh, Dozent und Berater

In den letzten Jahren sind die Ansprüche an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer grösser geworden. Wir sollen immer und überall lernen – und das ein Leben lang. Die Halbwertszeit unseres beruflichen Wissens wird immer kürzer. Gleichzeitig scheinen immer neue Formen des Lernens auf den Markt zu kommen. E-Learning, Blended Learning, Social Learning, Informal Learning sind nur einige Begriffe, die in den letzten Jahren intensiv diskutiert wurden. Handelt es sich dabei nur um Hypewörter oder verändert sich tatsächlich die Art, wie wir lernen?

Wie Menschen lernen und berufliche Kompetenz erwerben beschäftigt mich seit meinem Studium. Welche Rolle die Technik dabei spielt, war dabei immer ein zentrales Thema. Als Studiengangleiter für den MAS Ausbildungsmanagement am IAP beschäftigt mich diese Frage gleich doppelt. Unsere Teilnehmenden sind in ihren Organisationen für die Aus- und Weiterbildung verantwortlich. Daher sind Veränderungsprozesse durch die Digitalisierung in ihrem Arbeitsfeld relevant für ihre berufliche Kompetenz. Auf der anderen Seite stellt sich natürlich die Frage, wie wir unseren MAS-Studiengang gestalten wollen und welche Rolle digitale Medien dabei spielen.

Aus meiner Sicht hat die technische Veränderung zwar einen initiierenden Effekt, und sie bietet uns heute mehr Werkzeuge und Möglichkeiten, um Lernen zu gestalten. Weil sich die Welt immer schneller dreht und komplizierter wird, müssen wir mehr und anders lernen. Technik ist aber kein Naturgesetzt und kein Selbstzweck, sie soll dem Menschen dienen. Wie wir in Zukunft lernen wird nicht von der Technik determiniert, sondern ist eine zutiefst didaktische Frage: Was und wie lernen Menschen?

Unser Bild vom Lernen erweitert sich

Wenn man Lernen als einen genetisch bedingten, psychologischen Prozess des Menschen anschaut, dann ist nicht anzunehmen, dass sich dieser innerhalb einer Generation grundlegend ändert. Was sich aber geändert hat, ist die Art, wie wir über das Lernen denken. Früher waren Lernen und die Forschung in diesem Bereich auf das Lernen in Schulen, Universitäten und Weiterbildungseinrichtungen konzentriert. Zwar hiess es, wir lernten nicht für die Schule, sondern für das Leben – doch immer lernten wir in den Schulen. Heute interessiert uns vermehrt das Lernen im Arbeitskontext, das Workplace Learning. Auch das Lernen in anderen informellen Kontexten, wie z. B. in ehrenamtlichen Tätigkeiten oder in der Freizeit, rückt stärker in den Fokus. Damit hat sich auch unser Bild vom Lernen verändert. Traditionell wurde Lernen als individueller Prozess unter einer psychologischen Sicht angesehen. Beschreiben könnte man dieses Bild mit dem Erwerb und Transfer von Wissen und Kompetenzen. Wir Bildungsexperten haben uns jahrelang darauf konzentriert, diesen Prozess möglichst optimal zu gestalten. Wie kann man ein Curriculum für einen Kurs oder einen Studiengang gestalten? Und wie kann der Transfer in das Arbeitsfeld gewährleistet werden?

Gerade in der Forschung zum Workplace Learning hat man diese Sichtweise in den letzten Jahren zunehmend erweitert. Lernen wird als das Hineinwachsen in eine “Community of Practice” gesehen. Das Bild, das dieser Sicht entspricht, ist das der Sozialisation. Durch die Sozialisation in einem Berufsfeld erwerbe ich die Sprache meines Berufes, berufliche Expertise und einen Berufsethos. Der Kontext wird in dieser Sichtweise viel wichtiger, denn er verändert die Art, wie wir lernen und wie sich eine Community bildet. Neuste Ansätze des Workplace Learning betonen diese Sichtweise noch stärker. Denn wenn der Kontext das Lernen stark beeinflusst und sich der Kontext wiederum ständig verändert, dann wird Lernen zum ständigen, schwer vorhersehbaren Prozess. Wir wachsen nicht nur in ein Berufsfeld und in eine Community hinein. Durch die aktive Teilnahme verändern wir diese auch ständig. Lernen ist ein emergenter Prozess, in dem Kreativität und Gestaltung eine zentrale Rolle spielen. Diese grundlegende Sichtweise auf Lernen ist zunächst einmal unabhängig von digitalen Medien, kann aber durch diese unterstützt werden.

Digitales Lernen im MAS Ausbildungsmangement

Für unseren Studiengang MAS Ausbildungsmanagement versuchen wir deshalb die verschiedenen Sichtweisen auf das Lernen zu kombinieren. In einem Studiengang, der einen formellen Abschluss vergibt, spielen formelle Lernprozesse natürlich eine Rolle. Diese unterstützen wir mit verschiedenen E-Learning Tools, die den Erwerb und Transfer von Wissen und Kompetenzen unterstützen. Wir verstehen Lernen aber auch als Sozialisationsprozess – zum einen unter den Studierenden unserer Weiterbildungsstudiengänge, zum anderen aber auch mit der professionellen Community. Diese Prozesse unterstützen wir mit Sozialen Medien, etwa dem Messaging Dienst Slack oder mit Twitter.

Wie lernen wir in der digitalen Welt?

Wie wir in der digitalen Welt lernen werden lässt sich nur schwer beantworten. Die Lernformen scheinen vielfältiger zu werden, und das finde ich das Spannende daran. Wenn ich einen Blick auf meine Kinder werfe, dann habe ich aber auch manchmal das Gefühl, dass sich einfach unsere professionelle Sichtweise auf das Lernen dem natürlichen Lernverhalten annähert. Meine Kinder lernen eigentlich immer. An den unterschiedlichsten Orten und auf die unterschiedlichsten Arten. Durch Spiel, Erfahrung und blutige Knie. Durch das Gestalten neuer Dinge. Aus Büchern, elektronischen Medien, Erzählungen und einfach durch Ausprobieren. Mit ihren Kollegen, Erwachsenen und auch in der Schule. Insofern öffnet uns die digitale Welt vielleicht den Blick erst richtig für das Thema “Lernen” und zeigt uns, dass Lernen eben nicht nur in der Schule oder in der Ausbildung stattfindet, sondern jeden Tag, konstant und im besten Fall lebenslang.

 


Christoph_Guetersloh-5304Zum Autor:
Christoph Gütersloh ist Berater und Dozent am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW. Er studierte Berufspädagogik, Elektrotechnik, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung und doktoriert zurzeit in Berufspädagogik an der Universität Zürich. Christoph Gütersloh verfügt über langjährige Erfahrung als Projektleiter im Bereich e-Learning und Führungsentwicklung und betreute als Projektleiter seitens IAP die Umstellung auf digitale Lernmethoden in der Führungsentwicklung von Swisscom. Er ist zudem Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Arbeits- und Organisationspsychologie (SGAOP).

Christoph Gütersloh spricht am 7. Juli 2016 an der IAP Fachtagung Lebenslanges Lernen mit Simon Dückert, CEO der Firma Cogneon, über digitale und analoge Spielregeln beim Lernen und Arbeiten im digitalen Zeitalter.

 


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