Emotionen in Teams sind ansteckend – sind sie auch nützlich?

von Jan Rauch, Dozent & Berater, IAP Institut für Angewandte Psychologie

Noch immer wird Jürgen Klopps Jubellauf nach dem 3:3-Ausgleichstreffer von Liverpool gegen Arsenal letzte Woche in der englischen Presse als „Klopps epic celebration“ gefeiert, und auch dieses Wochenende coachte Klopp wieder so intensiv, bis seine Brille in die Brüche ging.

https://youtu.be/TNpkhhrFGZ4

Immer wieder erreichen uns Medienanfragen, ob diese Art des Coachings „etwas bringe“ oder ob nicht eher ein ruhiger Stoiker an der Seitenlinie für eine Mannschaft hilfreicher sei. Meistens wird eine solche Anfrage mit einem Satz beantwortet, der im Zusammenhang mit psychologischen Auswirkungen häufig genannt wird: „Das hängt von den Umständen ab und lässt sich nicht so leicht beantworten“.

So unbefriedigend eine solche Antwort in Zeiten der unmittelbaren Informationsverfügbar­keit sein mag, so nachvollziehbar ist sie, wenn man sich vor Augen hält, wie unterschiedlich Persönlichkeiten sein können und wie individuell die Strategien sind, mit denen sie auf Umwelteinflüsse reagieren. Wird dann noch versucht, gruppendynamische Aspekte und die Kombination verschiedener Persönlichkeiten in einem Team vorherzusagen, nimmt die Anzahl möglicher Reaktions- und Verhaltensweisen exponentiell zu.

Erfolg und Misserfolg werden im Team geteilt

Durchforstet man auf der Suche nach einer präziseren Antwort die Forschungsliteratur, so sind die Schlüsselworte Emotionale Konvergenz, Ansteckung und Kollektivismus relevant. Unter emotionaler Konvergenz versteht man Geschehnisse in einem Team, die alle Mitglieder emotional ähnlich beeinflussen. Dies kann beispielsweise ein Tor, gemeinsamer Erfolg, aber auch gemeinsamer Frust sein. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass der affektive Zustand eines Teams in Zusammenhang mit dem affektiven Zustand der einzelnen Teammitglieder steht (z.B. Ilies, Wagner, & Morgeson, 2007). Das bedeutet nichts anderes, als dass Gefühlszustände eines Teammitglieds unter anderem abhängig vom ‚Gefühlszustand des Teams‘ bzw. der anderen Teammitglieder sind. Dies gilt natürlich auch für den Trainer, solange man ihn als Teil des Teams betrachten kann. Die Stärke dieses Effekts wird unter anderem durch die individuelle Anfälligkeit für emotionale Ansteckung moderiert. Der Psychologe nennt dies „susceptibility to emotional contagion“, also Empfänglichkeit für emotionale Übertragung. Darunter wird das Phänomen verstanden, dass Menschen die emotionalen Zustände anderer Personen übernehmen. Gerade im Sport ist die emotionale Ansteckung ein verbreitetes Phänomen. Positive wie auch negative Emotionen werden in Erfolg und Misserfolg geteilt. Wenn also ein Spieler einen Torerfolg gemeinsam mit dem Team feiert, hat dies nicht nur mit der individuellen Freude über das Tor an sich zu tun – sondern auch damit, dass sich die anderen Spieler freuen. Das gleiche Phänomen tritt auch bei negativ konnotierten emotionalen Situationen auf, z.B. bei der sogenannten „Rudelbildung“, welche meistens aus einem Disput zweier Einzelspieler entsteht: Ich rege mich nicht nur auf, weil ich Frust verspüre; ich rege mich auch auf, weil meine Teammitglieder sich aufregen!

Das Team ist wichtiger als der Einzelne

Inwieweit sich ein Einzelspieler von den Emotionen anderer Teammitglieder oder des Trainers anstecken lässt, hängt also von der Stärke der Anfälligkeit auf emotionale Ansteckung ab. So weit, so logisch. Nun kommt jedoch hinzu, dass diese Anfälligkeit wiederum vom Ausmass der kollektivistischen Tendenz eines Individuums abhängt. Unter Kollektivismus wird die Orientierung am Team verstanden: Das gesamte Team ist für eine Person mit kollektivistischer Tendenz wichtiger als die Selbstverwirklichung des Individuums (individualistische Tendenz). Je kollektivistischer ein Spieler eingestellt ist, desto stärker wirken sich die Emotionen des gesamten Teams auf diesen Spieler aus. Es liesse sich nun spekulieren, dass sich Spieler von einem sehr emotionalen Trainer anstecken lassen (je nach Ausprägung der beschriebenen Parameter), was sich beispielsweise im Einsatzwillen bemerkbar machen müsste. Inwieweit dies für das Team im Sinne von mehr Toren, mehr Siegen oder ähnlichem förderlich ist, scheint jedoch schwierig abzuschätzen. Ist ein kühler Knipser vor dem Tor doch genauso gefragt wie ein emotionaler Mittelfeldkämpfer.

Auf die zu Beginn gestellte Frage, ob ein emotionaler Coaching-Stil besser ist als ein zurückhaltender, würde der Forscher also antworten, dass die Wirkung eines Trainers durch emotionale Ansteckung mit sehr vielen Team-Parametern in komplexer Wechselwirkung steht. Oder in anderen Worten: Das lässt sich nicht so leicht beantworten!


 

Dr. Jan Rauch, Dozent und Berater SportpsychologieZum Autor:
Dr. Jan Rauch ist Sportpsychologe und am IAP Institut für Angewandte Psychologie als Dozent und Berater tätig. Nach dem Studium der Psychologie, Soziologie und Kriminologie an der Universität Zürich absolvierte er ein Nachdiplomstudium der Sportpsychologie an der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen EHSM und schrieb seine Dissertation an der Universität Zürich zum Thema «Intuitive Physik im Sport». Er ist Vorstandsmitglied der Swiss Association of Sport Psychology (SASP).

 

 


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