Welche Herausforderungen bringt die digitale Transformation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, und wie verändert sich unsere Gesellschaft durch den rasanten technischen Fortschritt? Am 5. November diskutierten internationale Fachpersonen in der Bananenreiferei Zürich über Flexibilität und Identität in der Arbeitswelt von morgen.
von Joy Bolli, Redaktorin, ZHAW Angewandte Psychologie
Erst war es die industrielle Revolution, dann die digitale Revolution und nun kommt die Roboter-Revolution. Jede dieser technologischen Meilensteine hat Annehmlichkeiten gebracht – und Jobs gekostet. Schon heute sind Maschinen in vielen Bereichen effizienter als Menschen. Sie brauchen keine Pausen, haben teils eine feinere Motorik als Menschen und ihre Sensor-Augen und Laser-Taster machen Unmögliches möglich. Doch wo bleibt der Mensch in der Zukunft? Wie bleiben wir als Arbeitskräfte attraktiv, und wie generieren wir „Einkommen“ in einer Zeit der Maschinen? Schon vor 150 Jahren hatten Unternehmen schlagkräftige Argumente für die Modernisierung: „Maschinen lassen dem Menschen mehr Zeit für Freizeit“ hiess es da oder „nun kann sich der Mensch mehr auf die Führungsaufgaben konzentrieren, weil Maschinen die Fliessbandarbeit machen“. Heute heisst es: Für kreative Menschen wird es immer Arbeit geben. Dass aber nicht jeder Mensch Geige lernen oder Modeschöpfer werden kann, liegt auf der Hand. Wie soll also die Arbeitssituation der nächsten Generationen aussehen, und woher wollen Eltern in Zukunft das Geld für Bildung nehmen, wenn die Arbeit, und damit der Lohn, fehlt?
https://youtu.be/5U15PeqKZ0A
Die digitale Revolution überholt den Mensch als Arbeitskraft
David L. Blustein ist Professor am Boston College und befasst sich mit den Fragen der Arbeitskraft von Morgen. An der Fachtagung IAP Dialog hielt er ein packendes Referat über das, was er und seine amerikanischen Kollegen das „zweite Maschinen-Zeitalter“ (Second Machine Age) nennen. Seine Prognosen decken sich mit denen von Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee. Entsprechend betroffen wirkten die Zuhörer in seinem Referat. Viele von ihnen kamen aus den Bereichen Human Resources oder der Laufbahnberatung. In der Folge entstand eine lebhafte Diskussion um die Marke „Mensch“ und die Herausforderungen, denen Laufbahnberater begegnen werden, wenn sie ihre Klientinnen und Klienten in diesem neuen Zeitalter unterstützend beraten wollen. „In der Schweiz, so sagte man mir, könne jeder Arbeit finden“, meinte Blustein. „Es kursiert die Redensart ‚Im Notfall gehe ich eben putzen‘. Das wird in der Zukunft eine Utopie sein. Der Einzelne wird härter nach Arbeit suchen müssen und gerade für durchschnittlich begabte Menschen – die ja einen Grossteil der Gesellschaft ausmachen – wird diese Suche von grossen Zweifeln am eignen Selbstwert begleitet sein“. Für Blustein ist klar, dass Laufbahnberater die Marke „Mensch“ mehr betonen und ihre Klientinnen und Klienten auf diese Werte ausrichten müssen. Er spricht gar von einem neuen Qualitäts-Label mit dem Namen „made by humans“. Nicht ganz so düster sieht das Eric Lippmann. Der Dozent und Berater am IAP malt die Zukunft etwas bunter: „Menschen kommen heutzutage bereits als hybride Wesen auf die Welt. In vielen Fällen haben sie mehrere Mütter und Väter, wachsen in Patchwork-Strukturen auf und lernen, sich viel schneller an neue Verhältnisse anzupassen“, erklärt er. Für die Bewältigung der Herausforderungen in der Arbeitswelt von morgen gibt er ein farbenfrohes Beispiel: „Wir müssen uns am Chamäleon ein Beispiel nehmen“. Die Ausführungen seiner Chamäleon-Metapher sind so einfach wie genial: Das Chamäleon verfügt über Augen, die einen 342 Grad-Winkel abdecken. „Rundumsicht wird wichtiger“, erzählt Lippmann. „Aber auch die Fähigkeit, klar und angepasst zu kommunizieren“. Dies drückt das Chamäleon anhand der Farbanpassungen aus. „Es ist ein Fehlglaube, zu denken, ein Chamäleon wechsle seine Farbe nach der Umgebung“, führt Lippmann weiter aus. “Seine Anpassungsfähigkeit an die Umwelt ist zwar möglich, doch die Farben seiner Schillerschuppen sind eigentlich Ausdruck der jeweiligen Befindlichkeit des Tieres. Die Farben werden also zur Kommunikation benutzt“. Auch die Zangenfüsse, mit denen das Chamäleon sich an jede Situation anpassen und sich festen Stand verschaffen kann, sind eine Metapher für die Fähigkeiten, die wir laut Lippmann weiterbilden sollten. “Genauso wie der Wickelschwanz, der für Stabilität im Wandel sorgt. Das Chamäleon bewegt sich zwar langsam, es kann aber auch blitzartig nach der Beute ausschlagen und vereint so Ruhe und zielgerichtete Schnelligkeit“. Besonders Führungspersonen könnten sich an dieser Chamäleon-Metapher ein Beispiel nehmen. Sie müssen als Vorbilder agieren und den Mitarbeitenden zeigen, dass Anpassungsfähigkeit nicht automatisch mit dem Verlust von Identität und festen Werten einhergeht.
In die Qualität kommen
Dieselbe Überzeugung teilte Patrick Cowden. Der erfolgreiche Autor und Unternehmensgründer, der sich als Geschäftsführer von Top-Unternehmen wie Dell und Hitachi Data Systems einen Namen gemacht hat, leitete an der IAP Fachtagung einen Workshop, in dem die Teilnehmenden praktisch erfahren konnten, wie sie Menschen in ihrer Gruppe ins Zentrum einer Fragestellung rücken können. Cowden ist überzeugt, dass der Mensch eine Eigenschaft hat, die Maschinen nicht erreichen können. „Wir verfügen über die Kraft, Begegnungen mit Qualität zu füllen“, erklärt er. Es ist diese Kraft, die besonders junge und innovative Unternehmen erfolgreich macht. „Wir müssen in die Qualität des Menschseins kommen“, erklärt Cowden. In seinem Workshop führte er die Teilnehmenden in diese „Qualität“ ein. Wo vorher einfach nur Leute in einem Raum sassen und zuhörten, vibrierte 30 Minuten später die Luft. Die einzelnen Personen tauschten sich in kleinen Gruppen aus, gingen auf einander ein, und erfuhren so über sich und die anderen neue Qualitäten. „Das klingt vielleicht abgehoben“, lacht Cowden, „aber das ist Liebe. Liebe zu sich selbst, zu anderen Menschen, zu einem Unternehmen, zu einem Ziel. Dieses Gefühl ist der Kern des Menschseins und hat eine ganz eigene Qualität, die Wachstum schaffen kann“.
Ob seine Überzeugung richtungsweisend ist oder nur ein Versuch, dem Unausweichlichen mit mehr Hoffnung zu begegnen, bleibt vorerst ungeklärt. Fest steht, dass bereits nach der industriellen Revolution neue Aufgabengebiete gefunden wurden. Die Bildung wurde wichtiger, die Führungsaufgaben komplexer. Wenn in der nahen Zukunft immer mehr Aufgaben von intelligenten Robotern mit digitaler Vernetzung übernommen werden, dann muss der Mensch neue Aufgabengebiete und neue Formen der Arbeit finden. Er muss flexibler werden, ohne seine Identität zu verlieren. Ob wir also von den Maschinen verdrängt oder durch die Automatisation zum Kern des Menschseins vordringen, ist wohl eine Frage, die nur die Zeit sicher beantworten kann.
Fachtagung IAP Dialog
Die Fachtagung IAP Dialog fand am 5. November 2015 zum ersten Mal statt. Die Veranstaltung widmet sich aktuellen und zukunftsorientierten Themen. Fach- und Führungspersonen treten hier in direkten Dialog, diskutieren über Brennpunkt-Themen von Morgen und tauschen Erfahrungen und Wissen aus.
Angstmacherei? Ich denke nein. Schauen wir der Realität ins Auge. Wenn ich die Entwicklungen im Banken- (oder Para-Banken-) Bereich betrachte, zeichnet sich ein enormer Automatisationsschub ab. Ich denke dabei zum Beispiel an das elektronische Zahlen, die Kontoführung, automatisierte Beratungstools etc. In Kombination von Margen-Erosion und sehr hoher Marktsättigung dürfte dies zu schnellen Marktbereinigungen führen, was sich insbesondere in Stellenabbau auswirken wird. Entsprechende Ankündigungen sind bereits von mehreren Seiten erfolgt.
Was heisst dies für viele eher wenig veränderungsfreudige Banker? Darauf gilt es, Antworten und Strategien zu finden – und dies auf zwei Stufen:
– auf der persönlichen Ebene als direkt Betroffene
– auf Stufe Unternehmungen (verantwortungsvolles Handeln, Wahrnehmung sozialer Verantwortung)
Wichtig scheint mir, dass beide Stufen sich ihrer Verantwortung frühzeitig bewusst werden und innovative Lösungsvarianten entwickeln.