LEBEN NACH DEM HIRNSCHLAG

Eine Hirnblutung setzte Martin Kuppers Lebensplänen ein jähes Ende. Dank fleissigem Üben ist der 24-Jährige heute wieder erstaunlich mobil. Fachkundige Therapeuten haben ihn auf dem beschwerlichen Weg angeleitet. Ab September vermittelt ein neues CAS die umfassende Behandlung von Patienten mit Hirnschlag.

VON ANDREA SÖLDI

Menschen, die einen Hirnschlag erleiden, sind in der Regel bereits im Seniorenalter. Doch in seltenen Fällen trifft es auch Junge. Martin Kupper war gerade 21 Jahre alt, gesund und voller Lebensenergie, als er während eines Samba-Tanzkurses überraschend stürzte. Die Ambulanz brachte ihn ins Universitätsspital Zürich, wo er einige Stunden später eine Hirnblutung hatte. Er wurde notfallmässig operiert und danach einige Tage im künstlichen Koma belassen. «Als ich aufwachte, kam mir alles fremd vor», erinnert sich der junge Mann. Aufgrund der Grusskarten, die rund um sein Krankenbett arrangiert waren, schloss er, dass etwas Gravierendes passiert sein musste. Lesen konnte er sie aber nicht. Auch das Sprechen war schwierig und seine rechte Körperseite konnte er weder spüren noch bewegen. Neben dem Bett stand ein Rollstuhl bereit.

Das war vor dreieinhalb Jahren. Heute ist Martin Kupper wieder ohne Hilfsmittel zu Fuss unterwegs und bewältigt auch Treppen. Seine Sprache ist nur noch leicht verlangsamt, manchmal sucht er nach dem passenden Begriff. Dass er wieder ziemlich selbständig ist, verdankt er unermüdlichem Training, unterstützt von kompetenten Therapeuten.

Dem Hirn genügend Reize bieten
Nach dem Spitalaufenthalt verbrachte er vier Monate im Rehabilitationszentrum Valens. Zu Beginn waren die Lagerung und die Wahrnehmung der gelähmten Körperhälfte zentral. Häufig würden Hemiplegiker ihre beeinträchtigte Seite kaum mehr beachten, sagt seine derzeitige Ergotherapeutin. Es sei jedoch wichtig, die betreffende Gehirnregion stetig zu fordern. «Die Hirnzellen sollen merken, dass sie noch gebraucht werden.» Parallel dazu stand das Erlernen von Kompensationsstrategien an. Martin Kupper musste zum Beispiel üben, mit der linken Hand zu schreiben.

In den Bereich der Physiotherapie fiel derweil die Mobilisation: An den Bettrand sitzen, aufstehen und wenn möglich ein paar Schritte gehen. Dabei erhielt die Therapeutin ein Bild der noch vorhandenen Fähigkeiten und Defizite. Die Physiotherapeutin, die Martin Kupper heute behandelt, konzentrierte sich danach vorwiegend auf das Bewegen und Lockern des stark verkrampften rechten Arms und Beins. Auch an der Rumpfstabilität arbeiten die beiden kontinuierlich. Eine stabile Haltung des Oberkörpers sei die Grundlage für einen zügigen Gang, erklärt die Therapeutin – ein Ziel, das sich Kupper selber gesetzt hat.

Langer Schnauf benötigt
Während sich zu Beginn der Rehabilitation relativ rasch Fortschritte zeigten, geht es in letzter Zeit nur noch langsam voran. «Manchmal bin ich etwas demotiviert und übe nicht so fleissig, wie ich sollte», räumt der junge Mann ein. Freude bereitet ihm jedoch, dass er seinen rechten Arm seit Kurzem wieder ein wenig bewegen und mit der Hand Gegenstände festhalten kann. Zum Beispiel fixiert der gelernte Damenschneider ein Lineal auf einem Stück Stoff, während er in der linken Hand den Stift hält. Im Winterthurer Tageszentrum Andante arbeitet Kupper regelmässig an seinen handwerklichen Fähigkeiten. Noch unklar sei seine berufliche Zukunft, sagt der 24-Jährige, der bei seinen Eltern wohnt. «Ich versuche, das Positive zu sehen und mein Leben auf die Reihe zu kriegen.» Erst einmal freut er sich aber auf seine Ferien. Mit Freunden wird er für ein paar Tage per Nachtzug nach Wien reisen. Ein weiterer Ansporn, das zügige Gehen zu trainieren: «Ich will in der Stadt herumstreifen können und möglichst viel sehen.»//


STROKE-PATIENTEN NOCH BESSER BEHANDELN

Um die Begleitung von Patienten nach einem Hirnschlag zu optimieren, bietet das Departement Gesundheit einen neuen Zertifikationslehrgang (CAS) für Physio- und Ergotherapeutinnen und -therapeuten an. «Wir wollen neue, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse vermitteln», sagt CAS-Leiter Florian Erzer. Bis anhin erweiterten Gesundheitsfachleute ihre Kenntnisse für die Behandlung dieser Patientengruppe meist in Bobath-Kursen. Dieses Konzept basiere aber hauptsächlich auf Erfahrungen, erklärt Erzer, der selber Bobath-Instruktor ist. Als Dozierende für das CAS konnten ausgewiesene Expertinnen und Experten verschiedener Spezialgebiete gewonnen werden.

Im Laufe der zwei bis drei Module lernen die Teilnehmenden unter anderem die Konzepte sogenannter Stroke Units an Spitälern kennen. Die auf Hirnschlagpatienten spezialisierten Abteilungen legen Wert auf einen sehr frühen Beginn der Rehabilitation. Betroffene werden bereits 24 Stunden nach dem Ereignis ins Stehen mobilisiert und fangen möglichst schnell wieder an, das Schlucken, Sprechen, Gehen und Bewegen zu üben. Dies verbessere die Chancen erheblich, verlorene Fähigkeiten wiederzuerlangen, sagt Erzer, der bis im letzten Herbst die Physiotherapie im Rehab Basel leitete. Eine wesentliche Voraussetzung dafür sei die reibungslose interprofessionelle Zusammenarbeit, weshalb im neuen CAS auch Hintergründe und Arbeitsweisen der verschiedenen Berufsgruppen vermittelt werden.

Ebenfalls unterrichtet wird neuropsychologisches Grundlagenwissen, das für das Aufnehmen des Befundes und die Behandlung ausschlaggebend ist. Ein Kurs widmet sich zudem der Problematik von Schluckstörungen, die bei betroffenen Patienten häufig vorkommen. Teilnehmende erfahren, wie sie Patienten und Angehörige motivieren und anleiten können. Didaktisches Know-how sei für den Erfolg der Rehabilitation ausschlaggebend, betont Florian Erzer: «Ob es zu Fortschritten kommt, hat viel damit zu tun, ob die Patienten selber trainieren und wie wir es ihnen beibringen.»


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