Die Kraft der Gedanken

Werden Wünsche Realität, wenn man fest an sie glaubt? Sportpsychologin Nadine Volkmer ordnet den Trend des Manifestierens ein.

von Lucie Machac

Immer mehr Menschen outen sich in den sozialen Medien, dass sie manifestieren. Will heissen: Sie sind überzeugt, dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen, wenn sie fest an sie glauben. Sie werden den Traumjob bekommen. Der Klassenschwarm wird sich in sie verlieben. Sie werden Tiktok-Stars. Alles nur dank der Kraft ihrer Gedanken. Fragt sich bloss: Wie soll das funktionieren? Oder salopp ausgedrückt: Ist das nicht reiner Blödsinn?

«Nein», sagt Nadine Volkmer, Sportpsychologin und Dozentin im Bachelorstudiengang Gesundheitsförderung und Prävention an der ZHAW. «Die Technik führt allerdings nicht bei jedem beliebigen Wunsch zum Erfolg, wie das Influencer in den sozialen Medien vorgeben.» Beim Prinzen auf dem weissen Schimmel oder beim Ferrari wirke die Kraft der positiven Gedanken höchstens zufällig. Hingegen könne Manifestieren helfen, schwierige Situationen im Alltag besser zu bewältigen. Zum Beispiel Diskussionen mit Vorgesetzen oder auch ein Bewerbungsgespräch. «Wenn jemand einen Job unbedingt will, wird sie oder er entsprechend überzeugt auftreten. Dadurch strahlt diese Person mehr Selbstbewusstsein aus, was auch von ihrem Gegenüber wahrgenommen wird.» Das Prinzip dahinter ist auch als selbsterfüllende Prophezeiung bekannt: «Wenn wir fest an etwas glauben, verändert das automatisch unsere Einstellung. Und diese hat Einfluss auf unser Verhalten.» Wissenschaftlich belegt ist zudem auch, dass Menschen mit einer positiven Haltung leichter durchs Leben gehen, mehr Chancen anziehen und dadurch auch ihre Wünsche eher verwirklichen können als notorische Zweifler:innen.

Gerade im Sport, wo sich Athlet:innen mit sehr ähnlichen Fähigkeiten messen, könne die mentale Komponente den entscheidenden Unterschied ausmachen, sagt Nadine Volkmer, die das deutsche Beachvolleyball-Nationalteam an den Olympischen Spielen 2021 in Tokio betreut hat. Derzeit begleitet sie viele Olympiakader aus verschiedenen Disziplinen wie Geräteturnen oder BMX. «In der Sportpsychologie arbeiten wir oft mit Visualisierungen, deren Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist.» Im Beachvolleyball etwa stellen sich die Sportler:innen vor, das Spiel zu gewinnen. «Ich lasse sie das Match mental durchspielen, mit allen Eventualitäten, bis zum Sieg.»

Mit Turner:innen wiederum gehe sie von der Aussen- in die Innenperspektive. Die Turnerin schaut sich zum Beispiel bei einer Übung auf dem Balken zuerst aus dem Publikum zu. Sie sieht, wo ihr Bein nicht ganz gestreckt ist, wo sie mit dem Gleichgewicht kämpft. Hat sie die Korrekturen verinnerlicht, stellt sie sich die Übung durch ihre eigenen Augen vor. «Wir machen das so lange, bis sie das Gefühl hat, sie sei für die perfekte Übung bereit.» Allerdings wenden diese Methode sehr viele Spitzenportler:innen an. «Matchentscheidend ist dann, wem es besser gelingt, den inneren Zweifler endgültig zum Schweigen zu bringen.» //

Vitamin G, Seite 34

Magazin «Vitamin G – für Health Professionals mit Weitblick»


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