DEM MARLBORO-MAN PAROLI BIETEN

Trotz Rauchverbot in Innenräumen und gestiegenem Zigarettenpreis: Die Schweiz gehört noch immer zu den Ländern, die Tabakkonsum und -werbung vergleichsweise lasch regulieren. Zwei Präventionsexpertinnen des Departments Gesundheit zeigen auf, welche Ansätze im Kampf gegen den Qualm am wirksamsten sind.

VON ANDREA SÖLDI

Cool ist er halt schon, der Marlboro-Man: Cowboyhut, Jeansjacke, das Lasso lässig über den Arm gehängt, zündet er sich eine an. Doch mit derart offensiver Zigarettenwerbung wagt sich die Tabakindustrie schon längst nicht mehr an die Öffentlichkeit. Obwohl dies hierzulande nicht mal überall verboten wäre. Unzulässig ist lediglich Werbung, die sich explizit an Jugendliche richtet. Und diese Definition ist nicht immer ganz klar. Zum Beispiel betreiben die Tabakkonzerne Pavillons an Festivals, die zwar nur Personen ab 18 Jahren betreten dürfen. Doch auch jüngere Festivalbesucherinnen und -besucher bekommen die attraktiv gestalteten Auftritte mit angesagter Musik mit. Zudem werde häufig auf Online-Kanälen geworben, sagt Sandra Lehmann, Dozentin im Bachelorstudiengang Gesundheitsförderung und Prävention. «Da ist es für Präventionsfachleute schwierig, die Übersicht zu behalten und den cleveren Kampagnen wasserfeste Tatsachen entge genzusetzen.» Die Strategien der Tabakkonzerne seien äusserst durchdacht und von hochkarätigen Marketingexperten erarbeitet, die grosse Budgets zur Verfügung haben, weiss Lehmann. Und offensichtlich sind sie nach wie vor sehr erfolgreich: Während der Anteil der Rauchenden in der Gesamtbevölkerung hierzulande vergleichbar ist mit jenem in anderen europäischen Ländern, ist er bei den Jugendlichen eher hoch. Trotz vollmundigem Bekenntnis der Tabakindustrie zum Jugendschutz sehen Jugendliche durchschnittlich sechsmal so viel Werbung für Nikotinprodukte wie Präventionsbotschaften. Schliesslich muss die Branche Kunden ersetzen, die wegsterben oder das Rauchen aufgeben. Will sie überleben, muss sie junge Menschen vor dem 21. Lebensjahr gewinnen. Denn statistisch gesehen sind die Chancen klein, dass jemand danach noch mit dem Rauchen anfängt.

Das Image der Spassbremse vermeiden

Beim Rauchen sei die Prävention besonders anspruchsvoll, sagt Kerstin Jüngling, ebenfalls Dozentin im Studiengang Gesundheitsförderung und Prävention. Denn es gehe nicht darum, ein gesundes Mass zu finden, wie etwa beim Alkohol, sondern darum, gar nicht zu rauchen. «Fachleute wirken hier jedoch schnell wie Spassbremsen, die etwas Cooles verbieten wollen.»

Die Prävention sieht deshalb weitgehend von moralisierenden Botschaften ab, sondern arbeitet mit diversen innovativen Ansätzen. Eine sinnvolle Strategie sei zum Beispiel, den gesellschaftlichen Diskurs anzuregen und zielgruppengerecht die Hintergründe und Mechanismen der Werbung zu erörtern, erklärt Jüngling, die neben ihrer Tätigkeit an der ZHAW Co-Geschäftsführerin einer Berliner Suchtpräventionsstelle ist. In einer Berufsschule biete sich zum Beispiel eine Diskussion darüber an, was die vielbeworbene Freiheit denn wirklich bedeute. «Wie frei bin ich wirklich, wenn ich täglich fast neun Franken für ein Päckli Glimmstängel ausgeben muss?», fragt die Suchtexpertin rhetorisch. «Und was könnte ich mir mit dem Geld sonst alles leisten?»

Abstossende Bilder bringen wenig

Eine andere Methode ist die Aufklärung über die Produktionsbedingungen von Tabak. Der Anbau erfolge nämlich häufig in Afrika und Südamerika unter prekären Arbeitsbedingungen, weiss Jüngling. Und für solche Themen seien viele Jugendliche besonders zugänglich. Im Rahmen eines Präventionsprojekts hat eine Klasse in Berlin zum Beispiel Geld gesammelt für eine Erdnuss-Schälmaschine, um Kleinbauern eine sinnvollere Erwerbsquelle zu ermöglichen. Ein weiterer Ansatz ist das Schulen von Lehrpersonen, damit sie das Thema genau dann mit einer Kurzintervention aufgreifen können, wenn es bei einer Schülerin oder einem Schüler aktuell wird. Im Rahmen des Programms «Experiment Nichtrauchen» der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention verpflichten sich Schulklassen zudem, für einige Zeit die Hände von Glimmstängeln zu lassen, und nehmen dabei an einem Wettbewerb teil. Zudem sammeln sie gemeinsam Zigarettenstummel ein, um einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten.

Auch Kinderärzte sowie Mütter- und Väterberaterinnen können als Multiplikatoren dienen: Sie sensibilisieren Eltern von Babys und Kleinkindern, nicht in der Gegenwart ihrer Kinder zu rauchen und sich nach dem Rauchen die Hände gut zu waschen. Denn für Babys können bereits geringe Rückstände gefährlich sein. «Ein schlechtes Gewissen haben rauchende Eltern sowieso schon», weiss Sandra Lehmann, die früher bei der Lungenliga gearbeitet hat. «Wir wollen sie nicht zusätzlich unter Druck setzen, sondern sie informieren, wie sie ihre Kinder schützen können.»

Ein wichtiger Hebel im Kampf gegen den Tabakkonsum sei auch die Preisgestaltung, erklärt Lehmann. Dies besonders, da die Sucht in kostensensibleren Gesellschaftsgruppen stärker verbreitet ist als in finanzstarken – so etwa in der weniger gut gebildeten Bevölkerung. «Gemessen an der Kaufkraft sind Zigaretten in der Schweiz aber immer noch relativ günstig», betont Lehmann. Lediglich einen geringen Effekt habe dagegen die auf dem Schockgefühl basierende Prävention mit abstossenden Bildern auf Zigarettenpackungen. «Mit Warnungen vor Spätfolgen wie etwa Lungenkrebs oder einem Raucherbein sind Junge kaum zu beeindrucken. Das ist
für sie viel zu weit weg.» Wirksamer wären sogenannte Plain Packets, wie sie unter anderem in Kanada und Australien bereits vorgeschrieben sind: Packungen in unattraktiven Farben wie etwa olivgrün, ohne Markenschriftzüge. Dass eine solche Regelung in der Schweiz mit ihrer starken Tabaklobby durchkommt, hält Lehmann aber für unrealistisch.

Für Konfrontation mit Lobby gewappnet

Am Departement Gesundheit wird Rauchprävention hauptsächlich im Studiengang Gesundheitsförderung und Prävention vermittelt. Studierende lernen einen bunten Strauss an Massnahmen kennen, die sich gegenseitig ergänzen. Zudem setzen sie sich mit den involvierten Interessensvertretern auseinander und erhalten das Rüstzeug, um die gesellschaftlichen Entwicklungen und politischen Prozesse zu beobachten. «Wir wollen die angehenden Präventionsfachleute richtig fit machen und ermutigen, den perfiden Machenschaften der Tabaklobby entschieden entgegenzutreten», betont Sandra Lehmann. Geplant ist nun ein neues Modul, in dem das Thema vertieft werden soll.

Nicht nur Privatsache

Einige Hoffnungen setzen die beiden Fachfrauen ins neue Tabakproduktegesetz, das derzeit wieder im nationalen Parlament diskutiert wird. Damit sollen Raucherwaren und elektronische Zigaretten in der ganzen Schweiz erst ab 18 Jahren erhältlich sein. Derzeit können im Kanton Zürich und zehn weiteren Kantonen bereits 16-Jährige Zigaretten kaufen. Zudem soll die Werbung auch in gedruckten Medien und im Internet landesweit verboten werden. Weiter ist vorgesehen, den Jugendschutz durch Testkäufe besser zu kontrollieren und durchzusetzen. Für E-Zigaretten wiederum sollen eine Besteuerung sowie Qualitätsstandards eingeführt werden. Politischer Druck entsteht weiter vonseiten der Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung», die von einer breiten Allianz von Gesundheitsorganisationen lanciert und eingereicht wurde – darunter von der Krebsliga sowie von Haus-, Kinder- und Lungenärzten.

Aktuell erfolgt die Rauchprävention auf nationaler Ebene im Rahmen der Strategie zur Prävention nicht übertragbarer Krankheiten (NCD-Strategie). Dass eine stärkere Reglementierung die Beliebtheit von Zigaretten zu reduzieren vermag, zeigt zum Beispiel ein Blick nach Grossbritannien, wo unterdessen lediglich noch rund 15 Prozent der Bevölkerung rauchen. In einer Vergleichsstudie, die 2019 in 36 europäischen Ländern durchgeführt wurde, landete die Schweiz wegen ihrer liberalen Werbevorschriften auf dem zweitletzten Platz. «Die lasche Politik der Schweiz ist ein Skandal», findet Kerstin Jüngling. «Es ist an der Zeit, die Gesundheit der Bevölkerung nicht ausschliesslich als persönliche Angelegenheit zu betrachten, sondern die Aufmerksamkeit vermehrt auf sozioökonomische Verhältnisse sowie wirtschaftliche Interessen zu lenken.» //


«Auch E-Zigaretten dürfen nicht zu attraktiv sein»

Dampfen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit weniger gesundheitsschädlich als Rauchen. Unbedenklich sind E-Zigaretten dennoch nicht, sagt Markus Meury, Mediensprecher des nationalen Kompetenzzentrums Sucht Schweiz.

Seit einigen Jahren gilt Dampfen als chic. Sind E-Zigis Teil der Lösung oder ein neues Problem?
Markus Meury: Beides. Für Raucherinnen und Raucher, die aufhören wollen, sind E-Zigaretten wahrscheinlich ein etwas wirksamerer Ersatz als andere Nikotinprodukte wie etwa Kaugummis oder Pflaster. Und weil sie 95 Prozent weniger Schadstoffe produzieren als verbrannter Tabak, sind sie ziemlich sicher bedeutend weniger gesundheitsschädlich. Die Langzeitfolgen kennt man aber noch nicht.

Worin liegt denn das Problem?
Viele glauben, dass sie gesünder leben, wenn sie ihren Zigarettenkonsum teilweise mit E-Zigis ersetzen. Dies bringt aber nicht viel. Bereits mit einer täglichen Zigarette nimmt man ein etwa halb so grosses Gesundheitsrisiko in Kauf, wie wenn man täglich zehn rauchen würde. Der Ausstieg gelingt meist nur mit einer professionellen Begleitung.

Wie verbreitet sind Dampfgeräte bei Jugendlichen?
Bei den 15-Jährigen haben bereits die Hälfte der Jungen und gut ein Drittel der Mädchen schon mal E-Zigaretten verwendet, wie unsere Befragung vor drei Jahren zeigte. Man weiss, dass das Risiko bei dieser Gruppe grösser ist, später Zigaretten zu rauchen, obwohl unsicher ist, ob daran wirklich das Dampfen schuld ist. Vielleicht sind diese Jugendlichen einfach generell offener für Suchtmittel.

Im letzten Oktober hat sich die beliebte E-Zigaretten-Marke Juul aus der Schweiz zurückgezogen. Ein Verlust?
Nein, wir sind froh darüber. Denn Juul enthält Nikotinsalz. In dieser Form kommt es beim Konsum zu einem schnelleren Kick, womit die Abhängigkeitsgefahr steigt. Zudem kann man die kleinen Geräte besonders gut vor Eltern und Lehrpersonen verstecken.

Was für neue Herausforderungen stellt das elektrische Paffen an die Prävention?
Es ist sinnvoll, dass die klassische Zigarette strenger reguliert wird als die E-Zigarette. Denn wenn viele Rauchende umsteigen würden, wäre das ein Gewinn für die Gesundheit. Doch auch E-Zigaretten dürfen nicht zu attraktiv sein, damit Jugendliche nicht damit anfangen. Wir hoffen deshalb, dass sie im Rahmen des neuen Tabakproduktegesetzes nun ebenfalls besteuert werden und in öffentlich zugänglichen Räumen in der ganzen Schweiz nicht mehr zugelassen werden.

Ist das nicht vor allem eine Schikane?
Nein. Wenn in einem Raum einige Personen E-Zigaretten benutzen, entsteht ebenfalls ein Volumen an Schadstoffen, das belastend ist.

Vitamin G, Seite 18-19


WEITERE INFORMATIONEN

Magazin «Vitamin G – für Health Professionals mit Weitblick»


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