Dass endloses Wachstum auf einem nicht endlosen Planeten unrealistisch ist, war Jan Camenisch bereits als Teenager klar. Nach seiner KV-Lehre hat er sich für ein Bachelorstudium in Business Administration entschieden. Gleichzeitig arbeitet er an der ZHAW als wissenschaftlicher Assistent in der Fachstelle für Corporate Performance and Sustainable Finance.
Was hast du im Studium über die Sustainable Development Goals (SDGs) und Green Growth gelernt?
Jan Camenisch: Die Orientierung von Unternehmen muss sich verändern. Es geht nicht nur um Shareholder Value sondern um Stakeholder Value. Und es geht nicht mehr nur um die Bottom-Line, also ökonomische Ziele, sondern um die Triple-Bottom-Line, also ökonomische, ökologische und soziale Ziele. Gleichzeitig hat mir das Studium auch die Notwendigkeit von Wachstum auf betriebswirtschaftlicher wie auch auf volkswirtschaftlicher Ebene nähergebracht. Ich denke, diese zwei Ansätze entsprechen den SDGs und Green Growth. Über Gegensätze zu Green Growth bin ich ausserhalb des Studiums gestolpert, beispielsweise in Büchern wie «Doughnut Economics» von Kate Raworth und einigen anderen.*
«Dass endloses Wachstum auf einem nicht endlosen Planeten unrealistisch ist, war mir bereits als Teenager klar.»
Jan Camenisch
Die 17 SDGs sind global anerkannte Ziele für nachhaltige Entwicklung. Auch die ZHAW benutzt sie als Leitlinie für ihre Strategie. Du findest jedoch SDG 8 problematisch. Wieso?
Ich denke, SDG 8 – Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum – ist ein Widerspruch in der Strategie für nachhaltige Entwicklung. Ich möchte aber nicht falsch verstanden werden: Es wäre naiv, zu behaupten, dass wirtschaftliches Wachstum nicht positive Einflüsse auf den Wohlstand einer Gesellschaft hat. Wir sollten aber bedenken, dass wirtschaftliches Wachstum nicht bedingungslos ist. Wachstumskritik zielt darauf ab, dass jährliches Wirtschaftswachstum keine nachhaltige Zielsetzung ist. Es ist notwendig, dass Entwicklungsländer die Möglichkeit bekommen, bis zu einem Punkt zu wachsen. Ebenfalls notwendig ist, dass der globale Norden nicht mehr das Ziel setzt, um jeden Preis zu wachsen. Ein Teil der Notstände, die die SDGs spezifisch ansprechen – allen voran die Klimakrise und die immer grösser werdende Einkommensschere – wurden auch durch unkontrolliertes Wirtschaftswachstum ausgelöst.
Sustainable Development Goals (SDGs)
Die SDGs definieren 17 soziale, wirtschaftliche und umweltpolitische Meilensteine, welche weltweit bis 2030 verwirklicht werden sollen. Alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben sich verpflichtet, auf die Umsetzung der SDGs auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene bis zum Jahr 2030 hinzuarbeiten.
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Wieso lassen sich negative Umweltauswirkungen nicht vom Wirtschaftswachstum entkoppeln?
Wir müssen hier den Begriff Entkopplung ein wenig genauer definieren. Man kann von teilhafter Entkopplung oder von kompletter Entkopplung reden. Im Allgemeinen geht es darum, Wirtschaftswachstum von negativen Umweltauswirkungen und von Materialverbrauch zu entkoppeln. Es ist wichtig, zu verstehen, dass nachhaltiges Wirtschaftswachstum oder Green Growth nur durch Entkopplung möglich wird. Dieses Entkoppeln muss auf alle planetaren Grenzen angewendet werden und nicht nur auf Netto-Null und Klimaziele. Eine teilweise Entkopplung findet statt. Die Frage ist: Wie schnell findet diese statt und ist eine komplette Entkopplung möglich? Das European Environmental Bureau meint, dass es einerseits zu langsam vorwärts geht und eine komplette Entkopplung unwahrscheinlich ist.
Reicht denn eine Teil-Entkopplung nicht?
Natürlich ist jeder Fortschritt in der Entkopplung wertvoll, aber es ist fragwürdig, ob wir damit ein konstantes Wirtschaftswachstum rechtfertigen können. Auf rein theoretischer Basis kann endloses Wachstum schlussendlich nur mit einer kompletten Entkopplung verantwortet werden. Hierzu gibt es interessante Forschungszweige, die eine Gesellschaft als Organismus mit einem Stoffwechsel ansehen. Dieser soziale Stoffwechsel arbeitet immer mit einem Input aus der Natur, also Rohstoffe, Energie, Sonnenlicht. Diese Inputs werden dann transformiert, zirkuliert und verbraucht. Schlussendlich geben wir der Natur den Output dieses Prozesses zurück. Wir sprechen hier beispielsweise von Abfall, Emissionen und Wärme.
«Das Wirtschaftswachstum soll sich an unsere Umwelt anpassen und nicht umgekehrt.»
Jan Camenisch
Kannst du das an einem Beispiel erklären?
Denken wir an die Energiewende: Das Volumen an erneuerbaren Energien wächst jährlich enorm, aber wir müssen ebenfalls verstehen, dass die Energiewende einige toxikologische Nebeneffekte mit sich bringt, da der Abbau von den notwendigen Materialien umweltschädlich ist. Stetiges Wirtschaftswachstum würde unsere Energienachfrage aber jährlich vergrössern. Das würde bedeuten, dass wir auf immer mehr Inputs in unseren Stoffwechsel angewiesen sind und dass wir schlussendlich mehr Outputs in die Natur abgeben.
Wenn Green Growth nicht funktioniert, was sind denn Ansätze, welche verfolgt werden müssten?
Das ist die interessante Frage. Ich denke weniger, dass wir uns vollkommen von Green Growth distanzieren müssen, sondern mehr, dass wir Green Growth nicht als einzige Lösung ansehen sollten. Ein Business-as-usual-Ansatz ist nicht mehr angebracht und um hier Fortschritte zu machen, müssen wir uns von dem Narrativ lösen, dass unsere Wirtschaft ein jährliches BIP-Wachstum benötigt. Es gibt natürlich bereits Forscher, die sich mit wachstumskritischen Themen befassen, aber ich denke es ist relevant, dass diese Themen ihren Platz im öffentlichen Diskurs finden.
Interview: Nico Frommherz
*Die erwähnten Bücher als Gegensätze zu Green Growth:
Die Blogserie «humans4sustainability@ZHAW» stellt Studierende und Mitarbeitende der ZHAW vor, die sich persönlich für nachhaltige Entwicklung engagieren.
Du hast einen Vorschlag? Dann schreib uns: sustainable@zhaw.ch