«Nur ein Bruchteil meiner Mitstudierenden kennt die 17 SDGs»

Robin Portmann hat vor wenigen Wochen sein Studium in Sozialer Arbeit an der ZHAW abgeschlossen. Künftig arbeitet er als Sozialpädagoge in einer Institution der Stiftung Zürcher Kinder- und Jugendheime. In seiner Bachelorarbeit hat er sich ausgiebig mit sozialer Nachhaltigkeit befasst und berichtet uns im Interview darüber.

In deiner Bachelorarbeit schreibst du, dass Soziale Arbeit sich mehr am Diskurs zur sozialen Nachhaltigkeit beteiligen soll. Was meinst du damit?  

Robin Portmann: In meiner Arbeit ging ich der Frage nach, inwiefern Konzepte für nachhaltige Entwicklung anschlussfähig sind für die Soziale Arbeit im Bildungskontext. Durch die Literaturrecherche im Rahmen meiner Bachelorarbeit habe ich in Erfahrung gebracht, dass sich die Soziale Arbeit lange Zeit nur spärlich am Diskurs um soziale Nachhaltigkeit beteiligte. Ein Grund dafür könnte sein, dass dem sozialen Aspekt von Nachhaltigkeit lange Zeit generell wenig Beachtung geschenkt wurde. Dies schien mir umso merkwürdiger, da zentrale thematische Schnittmengen zwischen dem Diskurs um soziale nachhaltige Entwicklung und der Sozialen Arbeit unübersehbar sind. Bereits die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen lassen dies erkennen: So sind beispielsweise die Bekämpfung von Armut (Ziel 1), Chancengerechtigkeit in Bildung (Ziel 4) oder auch die Gleichstellung aller Geschlechter (Ziel 5) und die Verringerung von weiteren Ungleichheiten (Ziel 10) seit jeher ebenso Themen der Sozialen Arbeit als Disziplin und Profession. Wie ich es wahrgenommen habe, wurden im Rahmen meines Studiums diese Schnittmengen jedoch nur sehr selten benannt und kaum über soziale nachhaltige Entwicklung als solche gesprochen.

Sustainable Development Goals (SDGs)
Die SDGs definieren 17 soziale, wirtschaftliche und umweltpolitische Meilensteine, welche weltweit bis 2030 verwirklicht werden sollen. Alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben sich verpflichtet, auf die Umsetzung der SDGs auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene bis zum Jahr 2030 hinzuarbeiten.
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Denkst du, das war nur in deinem Studium so, oder werden Nachhaltigkeitsthemen generell an Hochschulen zu wenig berücksichtigt?

Ich habe den Eindruck, dass einiges im Gange ist, unter anderem im Hochschulkontext. Gerade auch die Soziale Arbeit versucht vermehrt, sich zu positionieren und den Diskurs um nachhaltige Entwicklung mitzugestalten. Das sieht man beispielsweise daran, dass Nachhaltigkeitsaspekte vermehrt Platz finden in Curricula oder dass Fachtagungen zu Fragestellungen rund um soziale Nachhaltigkeit stattfinden. In Anbetracht der fortschreitenden Klimakrise und des immer kürzer werdenden verbleibenden Zeithorizonts gilt es, diese Bemühungen zu intensivieren, wie mir scheint.

Wo bestehen die Herausforderungen bei der Integration von sozialer Nachhaltigkeit in der Sozialen Arbeit?

Wir müssen nicht das Rad neu erfinden, sondern unser Wissen zu den sozialen Themen einbringen. Themen der nachhaltigen Entwicklung sind teilweise deckungsgleich mit Themen der sozialen Arbeit. Wir wissen beispielsweise längst, wie es um die Reproduktion von Chancenungleichheiten im aktuellen Bildungssystem steht. So spielt die soziale Herkunft (also der sozioökonomische Status, der Bildungshintergrund der Eltern sowie die soziale Unterstützung) noch immer eine grosse Rolle in der Bildungslaufbahn eines Menschen und hat einen Einfluss sowohl auf die Leistung eines Individuums als auch auf dessen Bildungsentscheidungen. Wir diskutieren aber auch seit geraumer Zeit über alternative Möglichkeiten zur Verringerung dieser Ungleichheiten. Beispielsweise durch verstärkte Investitionen in die frühkindliche Betreuung und Bildung, damit Ungleichheiten früh erkannt und ausgeglichen werden können.

Soziale Arbeit und soziale Nachhaltigkeit sind für Robin Portmann eng verbunden.

Welche Schlussfolgerungen ziehst du daraus?

Wir müssen unsere Bemühungen weiter vorantreiben, aber wir starten nicht bei null. Das SDG 4 – also inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern – ist insofern nichts Neues für die Soziale Arbeit, sondern vielmehr eines ihrer Spezialgebiete, in gewisser Weise ihr tägliches Brot. Ähnlich verhält es sich mit anderen Zielen für nachhaltige Entwicklung. An dieser Stelle ist aber auch zu betonen, dass Bildung allein nicht zu Chancengerechtigkeit führen kann und sich einkommens- und arbeitsmarktbedingte Armuts- und Verteilungsprobleme sich nicht durch Bildung allein auflösen lassen. Hier gilt es – ganz im Sinne eines systemischen Verständnisses, wie es der Agenda 2030 zugrunde liegt – die einzelnen Ziele in ihren Interdependenzen zu verstehen und zu bearbeiten. Nachhaltige Entwicklung ist zudem ein riesiges interdisziplinäres Projekt, für dessen Umsetzung die Soziale Arbeit als transdisziplinäre Profession viel Wissen zur Verfügung stellen und ganz allgemein viel beitragen kann. Ich sehe die Herausforderungen also weniger in der Umsetzung nachhaltiger Entwicklung durch die Soziale Arbeit als solches. Vielmehr müssen wir ein Bewusstsein dafür schaffen. In Gesprächen mit meinen Mitstudierenden stellte ich immer wieder fest, dass nur ein Bruchteil von ihnen die Agenda 2030 und die 17 SDGs kennt. Aber wie sollen Ziele erreicht werden, wenn die Menschen, die sie umsetzen sollten, gar nichts davon wissen?

Wie könnte die ZHAW soziale Nachhaltigkeit stärker fördern?

Diese Frage habe ich mir nach Fertigstellung meiner Bachelorarbeit auch gestellt. Eine abschliessende Antwort kann ich nicht formulieren, jedoch einige persönliche Gedanken. Ganz wichtig: Darüber sprechen! Es braucht eine bessere Implementierung der Agenda 2030 in das Basisstudium der Sozialen Arbeit und auch allen anderen Studiengängen. Dies könnte sowohl durch spezifische Module gelingen, aber auch durch ein Mitdenken nachhaltigkeitsspezifischen Wissens in allen anderen Modulen. Zudem sollte die Forschung vorangetrieben werden. Wichtig finde ich, dass diese Forschung an die Öffentlichkeit getragen wird, denn je mehr Menschen mitdenken und mitmachen, desto erfolgreicher wird das Projekt nachhaltige Entwicklung. Insbesondere sollte auch die interdisziplinäre Forschung gestärkt werden.

Wie könnte das bereits im Studium gefördert werden?

Durch gemeinsame Seminarangebote oder anderweitige Veranstaltungen. Ich fände beispielsweise eine Zusammenarbeit zwischen den ZHAW-Departementen für Architektur, Engineering und Soziale Arbeit spannend, um der Frage der zukünftigen Stadtplanung nachzugehen: Wie können Räume funktional, klimaverträglich und partizipativ gestaltet werden? Ich würde das Seminar besuchen!


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