Dieser Frage widmete sich die diesjährgie globAL night – der Anlass, an dem sich alles um die internationale Mobilität unserer Studierenden dreht. Nach zwei Jahren pandemiebedingten erschwerten Auslandsemestern und -aufenthalten ein brennendes Thema. Zwei Studierende erzählen von ihren Erfahrungen und die Expertin für Interkulturalität Susan Schärli-Lim zeigt auf, wie man Interkulturalität direkt vor der Nase erleben kann – egal, wo man sich auf der Welt befindet.
Autorin: Annette Pfizenmayer
Was tun, wenn Reisen nicht möglich ist und man sich interkulturell (weiter-)bilden will? Geht globale Mobilität auch von zu Hause aus? Können wir uns die Welt nach Hause holen? Über diese Fragen tauschten sich Studierende und Susan Schärli-Lim, Expertin für interkulturelle Beziehungen und interkulturelle Kommunikation, an der globAL night im März 2022 aus. Nach zwei Jahren konnte die Veranstaltung zum ersten Mal wieder in kleinem Rahmen live in einem Hörsaal an der ZHAW stattfinden.
Just open your eyes!
Raquel Montero, Co-Studiengangleiterin des BA Mehrsprachige Kommunikation verspricht nicht zu viel, als sie in ihrer Moderation Susan Schärli-Lim als Expertin für Interkulturalität ankündigt. Mit viel Energie, Kompetenz, Esprit und Authentizität zieht Schärli-Lim das Publikum sofort in ihren Bann. Sie wurde in vier Ländern ausgebildet, hat in vier Ländern gelebt und verfügt über vier Pässe. Dass ihr die Themen «Interkulturalität und Multikulturalität» wirklich am Herzen liegen, versprüht die ZHAW-Dozentin mit jedem Ton ihrer Key Note, in die sie das Publikum aktiv involviert. Zu Beginn räumt sie gleich mit dem Missverständnis auf, kulturelle Unterschiede bestünden nur zwischen unterschiedlichen Ländern. Kultur meint viel mehr “the coordination of meaning and action among people interacting in a bounded group,” so Schärli-Lim.
Gruppe kann hier unter anderem bezogen sein auf französisch-, italienisch-, rätoromanisch-, oder deutsch-sprechende Schweizer:innen, also unterschiedliche Gruppen ein und desselben Landes. Wobei sich kulturelle Unterschiede der Landesgruppen beispielsweise darin zeigen, was man unter einer 15-minütigen Pause versteht. Eigentlich ein No-Brainer – im Alltag jedoch oft schnell vergessen, respektive übersehen. Der Expertin ist es wichtig, dass wir kulturelle Unterschiede in unserem privaten und beruflichen Alltag wahrnehmen und achtsam eine kulturelle Handlungskompetenz dafür entwickeln. «Just open your eyes!» so Schärli-Lim. Dafür müssen wir nicht erst ins Ausland reisen. Womit eine zentrale Frage der Veranstaltung geklärt wäre. Können wir multikulturelle Erfahrungen auch zuhause machen und uns darin (weiter-)bilden? Ja, denn die Schweiz ist mit ihren vier Landesteilen und ihrem Anteil an in der Schweiz lebenden Menschen ohne Schweizer Pass (25,5 Prozent) per se ein multikulturelles Land. Wir machen somit ständig kulturelle Erfahrungen, von denen wir lernen können.
Interkulturalität differenziert betrachten und verstehen
In ihrer Key Note stellt Schärli-Lim auch Kultur in einen grösseren Kontext: «Dass Kultur wichtig ist, darauf verweisen die Vereinten Nationen mit dem Fakt, dass drei Viertel der grössten Konflikte der Welt eine kulturelle Dimension haben. Die Überbrückung der Kluft zwischen den Kulturen ist daher dringend notwendig für Frieden, Stabilität und Entwicklung (Vereinte Nationen, 2021). Weiterhin weist die UNESCO Futures of Education Initiative (2050) auf die Bedeutung globaler und interkultureller Kompetenz für unsere zukünftige Generation hin» so die Expertin. «Wir müssen die Komplexität hinter dem Begriff Kultur verstehen» so Schärli-Lim. Denn: Kultur ist nur eine Kategorie des menschlichen Verhaltens, und es ist daher wichtig, sie im Zusammenhang mit den beiden anderen Dimensionen zu sehen: der universellen und der persönlichen. Die drei Dimensionen können nach der Expertin wie folgt unterschieden werden: Die universelle Dimension bezieht sich auf die Art und Weise, in der alle Menschen in allen Gruppen gleich sind. Zum Beispiel müssen wir alle jeden Tag Wasser trinken. Die kulturelle Dimension bezieht sich darauf, was eine bestimmte Gruppe von Menschen miteinander gemeinsam hat und wie sie sich von jeder anderen Gruppe unterscheidet. Zum Beispiel, ob wir uns zur Begrüssung die Hände schütteln oder ob wir uns voreinander verbeugen. Die persönliche Dimension beschreibt die Art und Weise, in der sich jeder von uns von allen anderen individuell unterscheidet, einschliesslich derer in unserer Gruppe. Konkret: manche mögen zum Beispiel Fussball, andere nicht. Mit dieser Differenzierung können wir andere Menschen und ihre Bedürfnisse besser einordnen und verstehen.
Effektiv und angemessen mit kulturell unterschiedlichen Menschen agieren
Zum Schluss gibt Schärli-Lim noch Tipps, um mit kulturell unterschiedlichen Menschen effektiver und angemessener zu interagieren. Dabei bezieht sie sich auf den ehemaligen ZHAW-Dozenten und Experten für Interkulturelle Kompetenz, Samuel van den Bergh.
Wir interagieren dann besser, wenn wir:
- Unser kulturelles und persönliches Selbstbewusstsein durch die Reflexion von Erfahrungen stärken.
- Unser Bewusstsein für andere, innerhalb des eigenen kulturellen und persönlichen Kontext, verbessern.
- Lernen mit Emotionen umzugehen, dies angesichts von Unklarheiten, Veränderungen und herausfordernden Umständen und anderen Menschen.
- Lernen, kulturelle Unterschiede zu überbrücken, d.h. unser Verhalten an andere kulturelle Kontexte anzupassen.
- Ausserdem sollten wir uns bewusst sein, dass wir mit unseren Annahmen Recht haben, aber genauso gut falsch liegen können. Daher sollten wir immer wieder üben, die Perspektive wechseln.
Dänemark und Indonesien im Homeoffice
Beim Erfahrungsaustausch berichteten Anna Bertschy (Bachelor Kommunikation) und Loris Fortino (Bachelor Mehrsprachige Kommunikation) von ihren Highlights und Lowlights im Auslandssemester und Auslandspraktikum. Während Anna Bertschy ihr Auslandssemester an der Roskilde University noch vor Ort beginnen konnte und später ins Homeoffice in die Schweiz wechselte, absolvierte Loris Fortino das gesamte Auslandspraktikum an einer Sprachschule in Indonesien vom Homeoffice in der Schweiz aus. Beide sammelten internationale Erfahrung, tauchten in die Kultur des Gastlandes ein, vermittelten ihre eigene Kultur, knüpften Freundschaften und meisterten anfängliche sprachliche Barrieren mit Bravour. Beim Praktikum in Indonesien kam noch die zeitliche Differenz hinzu. Somit hat sich Loris Fortino Indonesien bereits morgens vor 6.00 Uhr nach Hause geholt. Humor war hier ein Erfolgsfaktor. Für beide Absolvent:innen ist eines klar: es wird ein Wiedersehen im Gastland geben, um die geknüpften Kontakte zu vertiefen und zu festigen.
Dass der abschliessende Apéro live in der Cafeteria stattfand, sorgte nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause für Freude bei den Teilnehmenden. «Endlich mal wieder live Mänsche gseh und aperöle» brachte es eine Studentin lachend auf den Punkt.
Weitere Berichte aus dem Ausland
- Praktikum in London – mit British banter und full English breakfast
- Fünf Monate in Wien – Mein Auslandsemester während der Pandemie
- Von Winterthur nach Seoul – Mein Auslandsemester in Pandemiezeiten