Sand in den Schuhen, Sonne im Gesicht, Weihrauch in der Nase – mein Praktikum im Oman

Die Pandemie stellte die Reiseindustrie auf den Kopf und damit auch das Praktikum von Roxanne Gräflein beim Reiseveranstalter Life-Tours im Sultanat Oman: Da ausländische Gäste nicht mehr wie gewohnt einreisen konnten, schrieb sie u.a. ein Marketing-Konzept für den inländischen Tourismus. Wie das als ausländische Studentin möglich ist? In ihrem Praktikumsbericht spricht sie darüber, wie sie der Bachelor Mehrsprachige Kommunikation auf die Arbeit in Muskat vorbereitet hat, über Interkulturalität und Herausforderungen im pandemiegeschüttelten Berufsalltag.

Autorin: Roxanne Gräflein, Absolventin Bachelor Mehrsprachige Kommunikation

Bereits 2013 hatte mich das Sultanat Oman in seinen Bann gezogen. Meine Faszination galt schon damals der arabischen Sprache, dessen Erlernen das Hauptziel eines 2-jährigen Aufenthaltes im Oman vor Studienbeginn war. Die Gelegenheit zu haben, meine Leidenschaft für dieses Land im Rahmen eines Praktikumssemesters mit meinem Studium kombinieren zu können, war genial. Covid-19 hätte mir allerdings beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Oman – ein Juwel des Orients

Das Sultanat Oman – Nachbar Saudi-Arabiens, des Jemen und der Emirate, Heimat des Weihrauchs, Glühofen im Sommer, Paradies im Winter. Ein Grossteil des Landes besteht aus karger Wüstenlandschaft mit ockerfarbenen Bergen. Es ist durchzogen von wunderschönen Orten. Seien es die vielen fantastischen Wadis (zu Deutsch Täler) mit ihrem türkisblauen Wasser und den weissen Felsen, die Korallenriffe der Daymaniyat-Inselgruppe vor Muskat oder die goldenen Dünen der Wahiba-Sands und ihre Kamele – Naturliebhaber und Abenteurer kommen nicht zu kurz. Das Stadtbild ist geprägt von Dattelpalmen, prunkvoll verzierten Moscheen und pompösen Gebäuden, dreispurigen Autobahnen und unzähligen Shopping-Malls.

Von Vacation zu Staycation

Ich hatte grosses Glück, dass ich trotz Corona mein Praktikum im Oman absolvieren konnte. Ohne Vitamin B, das sich im Arabischen «Wasta» nennt, wäre es wohl nicht zustande gekommen. Weil ich jedoch jemanden kannte, der jemanden kennt, der jemanden kennt, fand ich einen Weg, ein Arbeits-Visum zu erhalten. Mein Arbeitgeber war eine kleine Reise-Agentur in Muskat namens «Lifetime-Tours». Die Agentur bietet seit über 10 Jahren massgeschneiderte Abenteuer für Reisehungrige. Da Covid-19 auch vor den Grenzen des Oman nicht Halt machte, und somit auch fast keine Touristen-Visa ausgestellt wurden, erlebte ich das Praktikum etwas anders als meine Vorgänger und Vorgängerinnen. Ich erarbeitete Newsletter, schrieb Reiseberichte, übersetzte diverse Texte für Lifetime-Tours und andere Agenturen, mit denen wir zusammenarbeiteten und war für verschiedene administrative Tätigkeiten zuständig. Eine weitere Aufgabe war die Beantwortung von Kundenanfragen und die Planung von Rundreisen für die «Nach-Corona-Zeit». Da die Anfragen aber mit der Zeit nachliessen, mussten wir umdenken und uns den Umständen anpassen. Ich kreierte ein Marketingkonzept, das nicht auf Touristen aus dem Ausland ausgerichtet war, sondern auf Einheimische und Expats. Mit dieser neuen Zielgruppe im Fokus verbrachten wir viel Zeit mit Networking, Onlinemarketing und der Planungen von Touren für alle, die während ihrer «Staycation» die Schönheit des eigenen Zuhauses erkunden wollten.

die Festung von Bahla
Blick auf die Festung von Bahla

Wenn der linguistische Blickwinkel das Augenmerk verändert

Einige Kompetenzen, die ich an der ZHAW bereits erworben hatte, waren im Alltag während meines Praktikums sehr hilfreich. So zum Beispiel, dass ich mich mit verschiedenen Kulturen und ihren Eigenheiten beschäftigt und gelernt hatte, in neuen Kulturen zu denken. Dies versetzte mich in die Lage, Dinge nicht als selbstverständlich anzunehmen, sondern stattdessen zu observieren, zu reflektieren und zu assimilieren. Es war immer wieder spannend, zu sehen, wie sich mein Augenmerk verändert hatte, da ich nun fähig war, Sprache aus einem linguistischen Blickwinkel zu betrachten. Da fast 1.5 Millionen Expats im Oman leben, ist fast alles auch auf Englisch angeschrieben. Angefangen beim Menü im Restaurant bis zur Beschriftung des Gesundheits-Ministeriums. Manch eine missglückte Übersetzung brachte mich zum Schmunzeln. Der Unterschied zu früher war jedoch, dass ich jetzt nachvollziehen konnte, wo und wieso der Übersetzungsfehler passiert war.

Networking auf Arabisch

Roxanne Gräflein im Praktikum im Sultanat Oman.

Was ich aus meinem Praktikum auf jeden Fall für meine Zukunft mitnehme, ist die Wichtigkeit von Networking. Welchen Stein ein einziger zufriedener Kunde ins Rollen bringen kann, ist phänomenal. Diese neu kreierten Verbindungen und Bekanntschaften zu pflegen, bereichert das Business wie auch das Privatleben. Fast alle Omanis, die ich kennenlernen durfte, waren hellauf begeistert, dass ich sie in ihrem eigenen Dialekt begrüsste. Den zusätzlichen Respekt und die Faszination, die sie mir entgegenbrachten, weil ich den ausserordentlichen Aufwand betrieben und ihre Sprache gelernt hatte, war immer wieder ein grossartiges Erlebnis. In vielen Situationen war es ein riesiges Plus, die arabische Sprache zu sprechen. Es öffnete mir unzählige Türen und rettete mich ab und zu sogar vor einem Bussgeld.

Wer mit schmutzigem Auto herumfährt, muss mit Busse rechnen

Ich staunte nicht schlecht, als mir eines Abends auf dem Heimweg ein grimmiger Polizist tatsächlich beinahe eine Busse aufbrummen wollte, weil mein Auto staubig war. Ich weiss nicht, ob ich das amüsant oder absurd finde, zumal mein Auto jeden Tag staubig war und dies in einem Wüstenstaat nicht zu verhindern ist. Nachdem ich ihm äusserst höflich erklärt hatte, dass ich dies nicht wusste, liess er mich ohne Busse, aber mit dem Versprechen, mein Auto zu waschen, gehen. Ich bin überzeugt, das wäre anders ausgegangen, wenn ich nicht seine Sprache gesprochen hätte. Er war einer der wenigen Omanis, dessen Lächeln ich nicht gesehen habe, denn grundsätzlich habe ich die Omanis als enorm warmherziges, gastfreundliches, hilfsbereites und respektvolles Volk kennengelernt.

Friedlich, tolerant, liberal

Im Gegensatz zu einigen seiner Nachbarn zeichnet sich der Oman durch Frieden, Toleranz und Liberalismus aus. Nicht nur aus politischer und religiöser Sicht, sondern auch in Bezug auf das Leben der Bürger:innen. So war es mir nie unangenehm, mich ohne Kopfbedeckung und im T-Shirt zu bewegen. War ich jedoch bei etwas konservativeren Familien ausserhalb von Muskat zu Besuch, trug ich aus Respekt ebenfalls eine Abaya. Zwar war dies kein Muss, aber es ebnete stets den Weg für wunderbare Gespräche mit Frauen, Jung und Alt, denn sie schätzten diese Geste des Respekts ausserordentlich.

Traditionelle Abaya
Aus Respekt trug Roxanne auch die traditionelle Abaya

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Wenn man eine andere Kultur mit offenen Augen erlebt, ist es unvermeidbar, auch Details zu bemerken, die einem nicht so ganz gefallen. Obwohl an jeder Ecke etwas funkelt in diesem Land, ist nicht alles Gold, was glänzt. Hinter den Kulissen ist der Liberalismus doch nicht so stark. So zum Beispiel gibt es keine Pressefreiheit. Und es fiel mir auf, dass Omanis Fragen zur Regierung charmant mit einem dezenten Lächeln beantworteten, meist gefolgt von einem Themenwechsel. Ein weiterer Punkt, der mich stets traurig stimmte, war das Vorhandensein einer Klassengesellschaft. Diese Nation ist in manchen Bereichen komplett abhängig von Arbeiterinnen und Arbeitern aus dem Ausland. Sektoren wie das Baugewerbe, die Gastronomie oder die Landwirtschaft könnten ohne sie nicht existieren. Sie stammen hauptsächlich aus Indien, Bangladesch, Pakistan und den Philippinen. Viele von ihnen arbeiten für einen Hungerslohn, in unerträglicher Hitze und generell unter Arbeitsbedingungen, die verbesserungsbedürftig sind.

Horizont um fünf Kamel-Längen erweitert

Das Sultanat Oman ist für mich ein Land mit vielen Gegensätzen und Facetten. Dabei gibt es für jeden in meinen Augen negativen Aspekt einen positiven, der das Gleichgewicht aufrechterhält. Ich habe gelernt, unvoreingenommen zu sein und Unterschiede zu akzeptieren. Aus dieser Erfahrung konnte ich einmal mehr erkennen, wie wertvoll mein kleines rotes Büchlein doch ist und wie glücklich ich mich schätzen kann, in der Schweiz geboren zu sein. Ich bin sehr froh, dass die ZHAW ihren Studierenden ein Praktikumssemester ermöglicht. Es hat mich in jeder Hinsicht bereichert und meinen Horizont um mindestens fünf Kamel-Längen erweitert. Wer die Chance hat, sich in eine andere Kultur fallen zu lassen und in ein Meer von Eindrücken und Erfahrungen einzutauchen, der fasse allen Mut zusammen und wage es – es lohnt sich.

Im Praktikumssemester schreiben Studierende des Bachelor Mehrsprachige Kommunikation einen Blogbeitrag. Die Beiträge werden von einer Jury prämiert. Dies ist einer von sechs ausgezeichneten Blogbeiträgen aus dem Herbstsemester 2020.


Informationshinweis zum Bachelor Mehrsprachige Kommunikation an der ZHAW

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Mehrsprachige Kommunikation studieren – feat. Hazel Brugger

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Im Bachelor Mehrsprachige Kommunikation (ehemals: Angewandte Sprachen) bildet das IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen Sprachinteressierte zu Sprach- und Kommunikationsprofis aus, die sich souverän zwischen Sprachen, Kulturen und Domänen bewegen. Das Studium mit den Vertiefungen Mündliche Kommunikation & Sprachmittlung, Multimodale Kommunikation & Translation sowie Fachkommunikation & Informationsdesign qualifiziert Studierende für die Arbeit sowohl in der Language Industry als auch in nationalen oder internationalen in Organisationen und Unternehmen, in denen professionelle Mehrsprachigkeit gefragt ist.

Berufliche Perspektiven mit dem Bachelor Mehrsprachige Kommunikation:

  • Projekt-Manager:in
  • Content-Manager:in
  • Copywriter:in
  • Sprachmittler:in
  • Technische:r Redakteur:in
  • UX-Writer:in

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