Menschen mit einer Beeinträchtigung – zum Beispiel mit einer Seh- oder Hörbehinderung – bleiben wichtige Informationen oft verwehrt. Da setzt Barrierefreie Kommunikation an. Zwei Studentinnen aus dem Master Fachübersetzen berichten, wie sie mit ihrem Studienschwerpunkt Barrieren sprengen.
Autorinnen: Miranda Lang, Kira Euler, Studentinnen Master Fachübersetzen, und Christa Stocker
Wenn wir uns Sonntagsabend im Fernsehen die Tagesschau anschauen und danach den Tatort, überlegen wir uns nicht, dass wir dazu gut hören und gut sehen können müssen. Könnten wir von der Tagesschau nur die Bilder sehen, blieben uns die meisten Informationen verwehrt – die Bilder der Tagesschau sind in der Regel wenig informativ. Könnten wir vom Tatort nur die Audiospur hören, wüssten wir oft nicht, wer der Täter ist – der Fernsehkrimi wäre nur ein halbes Vergnügen.
Barrierefreie Kommunikation sorgt mit Hilfe von Audiodeskription und Respeaking dafür, dass Menschen mit einer Seh- oder Hörbehinderung alle Informationen aus den Newssendungen bekommen und Handlungen von Filmen folgen können. Natürlich lassen sich diese nicht nur im Fernsehen anwenden. Und: Neben diesen zwei gibt es noch weitere Methoden der Barrierefreien Kommunikation, die helfen, visuelle, akustische, kognitive, sprachliche oder kulturelle Barrieren in der Kommunikation abzubauen, damit alle die Möglichkeit haben, an Information, Bildung und Kultur teilzuhaben.
Mit unterschiedlichem Werdegang zur Barrierefreien Kommunikation gefunden
Miranda Lang und Kira Euler studieren im Master Fachübersetzen mit Studienschwerpunkt Barrierefreie Kommunikation / Audiovisuelle Kommunikation. Sie haben auf unterschiedlichen Wegen in den Master gefunden: Die eine über den Bachelor Mehrsprachige Kommunikation die andere über den Bachelor in Skandinavischen Studien an der Universität Basel. Sie erzählen, was sie an ihrem Studium fasziniert und was ihr persönlicher Fokus in der Barrierefreien Kommunikation ist:
Miranda Lang – Übersetzen, Lektorat und Audiodeskription
Barrierefreiheit ist ein Thema, das uns alle einmal betreffen könnte, selbst wenn wir nicht gerne darüber nachdenken. Das zeigt auch die Vergangenheit: Obwohl man sich schon seit langem der Barrieren bewusst ist, die Menschen mit einer Beeinträchtigung täglich überwinden müssen, ist die Barrierefreiheit und die damit einhergehende Barrierefreie Kommunikation erst in den letzten Jahrzehnten ein Thema geworden – aber lieber zu spät als nie!
Mit dem Thema Barrierefreiheit befasse ich mich seit Oktober 2018, als ich angefragt wurde, Studienunterlagen für eine blinde Mitstudentin in ein barrierefreies Format zu konvertieren. Dies mache ich noch heute mit grosser Freude. An einer Infoveranstaltung zum Masterstudium im Frühjahr 2020 habe ich dann erstmals vom Schwerpunkt Barrierefreie Kommunikation erfahren. In Anbetracht meiner Beschäftigung war für mich klar: Das will ich unbedingt machen!
Die Vertiefung Fachübersetzen des Masters Angewandte Linguistik an der ZHAW und darin der Schwerpunkt Barrierefreie Kommunikation erlauben es mir, an stark praxisorientierten oder auch realen Projekten teilzuhaben und etwas zu erschaffen, das Früchte trägt. So durfte ich im vergangenen Semester die Hörfilmfassung eines Kurzfilms erstellen und nun habe ich die Ehre, die Audiodeskription zu einem Spielfilm des NDR zu produzieren.
Zukünftig würde ich am liebsten mein Hobby – das Geschichtenschreiben – zum Beruf machen, nebenbei möchte ich gerne als Übersetzerin, Lektorin oder Audiodeskripteurin arbeiten. Zudem möchte ich das barrierefreie Aufbereiten von Studienunterlagen gerne auch anderen Studierenden mit einer Sehbeeinträchtigung anbieten.
Ich sehe grosses Zukunftspotenzial im Feld der Barrierefreien Kommunikation und kann nur allen empfehlen, sich damit auseinanderzusetzen, auch aus persönlichen Gründen. Die Nachfrage nach Barrierefreiheit nimmt unter anderem dank der steigenden Lebenserwartung stetig zu – daher können wir alle eines Tages von barrierefreien Angeboten profitieren.
Kira Euler – Respeaking bereits im Studium
«Respeaking? Noch nie gehört.» Das ist die häufigste Reaktion, wenn ich von meiner Arbeit erzähle. Zugegeben, vor Beginn meines Masterstudiums ging es mir genauso. Dass es am Fernsehen Untertitel – geschweige denn Live-Untertitel – gibt, war mir so nicht bewusst.
Seit einigen Monaten bin ich neben meinem Masterstudium in Fachübersetzen bei SWISS TXT in der (Semi-)Live-Untertitelung tätig. Dort untertiteln wir Sendungen wie die Tagesschau, Meteo, Unterhaltungs- oder auch Sportsendungen. Teilweise können wir die Untertitel kurz vorher vorbereiten, bei Live-Formaten ist das allerdings nicht möglich. Hier kommt das Respeaking ins Spiel. Das ist eine Methode der Untertitelung. Dabei diktiert ein:e Respeaker:in das Gesprochene in eine Spracherkennungssoftware, welche daraus einen schriftlichen Text generiert. Diesen kontrollieren und korrigieren die Respeaker:innen wenn nötig – und schon wird er über eine Untertitelungssoftware live gesendet.
Die grosse sprachliche Herausforderung ist dabei der Moduswechsel von mündlich zu schriftlich. Wir übersetzen vom Schweizerdeutschen ins Standarddeutsche und teilen den gesprochenen Text in sinnvolle Spracheinheiten auf, um möglichst gut lesbare Untertitel zu erstellen. Das erfordert ein gutes Sprachgefühl und solide Grammatikkenntnisse. Was mir hier zugutekommt, sind einerseits der jahrelange Lateinunterricht, aber auch mein Hintergrund aus der Nordistik, die ich im Bachelor an der Uni studiert habe. Durch das Studium von Sprachen wie Latein und Altnordisch weiss ich, wie Texte funktionieren, wie ich syntaktische Einheiten und Strukturen erkennen und mich weiterhangeln kann, bis ein Text Sinn ergibt.
Auch wenn der Sprung von altnordischer Saga-Literatur zur Tagesschau etwas weit scheint, ist es doch mein Werdegang. Für mich war der Wechsel von der Uni an die ZHAW die richtige Entscheidung. Das praxisorientierte Studium gibt uns Studierenden die Möglichkeit, verschiedene Aspekte der Barrierefreien Kommunikation kennenzulernen und ich hatte so das Glück, schon während des Studiums in der Sprachindustrie Fuss fassen zu können.
Barrierefreie Kommunikation ist Übersetzen
So unterschiedlich der Fokus der beiden Studentinnen zu sein scheint, es ist nur eine leicht andere Perspektive, die sie einnehmen. Beide studieren im Master Fachübersetzen mit Studienschwerpunkt Barrierefreie Kommunikation und sorgen dafür, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung Zugang zu Bildung, Information und Unterhaltung bekommen. Sie schaffen Accessibility. Bei Miranda ist es über Hörfassungen von Kurzfilmen oder Audiodeskription ein Zugang für Menschen mit einer Sehbehinderung. Bei Kira stehen Menschen mit einer Hörbehinderung im Fokus; für sie erstellt sie durch Respeaking für verschiedene Fernsehformate Live-Untertitel. Barrierefreie Kommunikation ist also immer ein Übersetzen: vom Mündlichen ins Schriftliche, vom Visuellen ins Auditive bzw. Verbale, von der Komplexität in die Einfachheit der leichten Sprache, wie das auch beim Übersetzen von einer Sprache in eine andere der Fall ist.
- Gefragte Fähigkeiten – Mit dem Master Fachübersetzen optimal fürs Berufsleben vorbereitet
- Leichte Sprache: Dasselbe in einfacheren Worten?
- Ein Blick in die WHO – für Sehbehinderte
- Breaking comprehension barriers through Easy Language – A thesis on accessible communication and Italian ‚Lingua facile‘
- Digitalisierung ist Chance und Hindernis – Wie man eine barrierefreie Online-Konferenz organisiert
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- Verantwortung übernehmen als Übersetzerin
Im Master Fachübersetzen, einer Vertiefung des Masters Angewandte Linguistik, bildet das IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen der ZHAW ExpertInnen für die professionelle Sprachmittlung aus. Die Studierenden wählen zwischen den Schwerpunkten:
- Fachtextübersetzen
- Übersetzungsmanagement
- Barrierefreie Kommunikation/Audiovisuelles Übersetzen
Übersetzungsmanagement und Barrierefreie Kommunikation/Audiovisuelles Übersetzen können mit zwei Studiensprachen, d.h. mit der Grundsprache und einer Fremdsprache, studiert werden (Sprachkombination AC), Fachtextübersetzen mit mindestens drei Studiensprachen (Sprachkombination ACC).