Abwechslung statt Routine im Beruf – Unterstützung in der Beratung für Personen mit ADHS

In eine Laufbahnberatung fliessen nicht nur berufliche Themen ein. Oft sind auch persönliche Anliegen für die weitere Karriereplanung ausschlaggebend. Zum Beispiel das Thema Aufmerksamkeitsdefizit (ADHS). Nicola Kunz, Laufbahnberaterin am IAP, berichtet, wie sie Personen mit ADHS in der Beratung gezielt unterstützt.

Text: Nicola Kunz
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IAP

Personen, die zu uns in die Berufs- oder Laufbahnberatung kommen, wünschen sich externe Unterstützung – entweder bei der ersten Berufswahl oder bei der Neuorientierung nach mehreren Jahren im Beruf. In beiden Fällen geht es darum, sich selbst und die Berufswelt besser kennenzulernen. Je nach persönlichem Entwicklungsstand und Beratungsziel kommen zusätzliche Aspekte hinzu, wie beispielsweise die Erfüllung von Lebenszielen oder Sinnhaftigkeit im Beruf. Darüber hinaus kristallisieren sich weitere Themen heraus, die zunächst nicht direkt mit der Berufs- und Laufbahnberatung zu tun haben. Dies sind in der Regel sehr persönliche Themen, wie Depressionen, Burnout, Angststörungen oder immer öfter ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom.

Im Rahmen der Beratung geht es für uns als Beratungspersonen darum, ein möglichst holistisches – also umfassendes – Bild von der ratsuchenden Person zu erhalten. Ihre persönlichen Herausforderungen sind dabei wertvolle Zusatzinformationen, wenn auch zunächst nicht als zentrales Thema. Diese Informationen können jedoch helfen, den passenden Beruf oder das passende Arbeitsumfeld zu finden. Denn jede Person ist individuell und passt darum aufgrund von ADHS oder eines anderen Merkmals vielleicht besser zum einen oder anderen Beruf. Die Praxis zeigt, dass es sich lohnt, dies zu berücksichtigen.

Wie könnte das im konkreten Fall einer Person mit ADHS aussehen?

Abwechslung statt Routine

Bei einer ratsuchenden Person mit ADHS kann dies in Bezug auf den Beruf bedeuten, eine Tätigkeit zu wählen, die wenig Routinearbeiten beinhaltet. Tätigkeiten oder Berufe, die viel Abwechslung bieten, sind in diesem Fall besser geeignet. Vorstellbar sind zum Beispiel Jobs bei der Polizei, bei der Feuerwehr, in der Notaufnahme eines Spitals oder im Kontext von Börsenhandel sowie Projektmanagement. Kurze «Sprints» anstatt eines langwierigen Marathons entsprechen der Persönlichkeit von Personen mit ADHS oftmals am besten.

Insgesamt gesehen eignen sich Berufe, welche Neugier, Risikobereitschaft, Energie, Kreativität, Fantasie, eine rasche Auffassungsgabe sowie Flexibilität und Begeisterungsfähigkeit erfordern. Viele Personen mit ADHS zeichnen sich durch diese Ressourcen aus.

Doch warum ist das so?

Noradrenalin und Dopamin sind zentral

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, muss man besser verstehen, was im Gehirn von Personen mit ADHS passiert und wie sich die Abläufe von Personen ohne ADHS unterscheiden.  Anhand der nachfolgendenden Grafiken lässt sich dies verdeutlichen.

Abbildung 1: ADHS – Dopamin und Noradrenalin (modifiziert nach Pliszka et al., 1996)


Im Gehirn spielen die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin eine wichtige Rolle. Während Noradrenalin für die Aufrechterhaltung unserer Aufmerksamkeit zuständig ist, steuert das Dopamin unsere Motivation und unseren Antrieb. Besonders auffällig wird dies bei Personen mit ADHS, da sie eine hohe Tendenz haben, Dinge aufzuschieben und erst in letzter Minute zu erledigen – auch wenn sie es sich vorgenommen haben, es anders zu machen. Bei Personen mit ADHS stehen Noradrenalin und Dopamin an den Stellen, an denen sie benötigt werden, nicht in ausreichender Menge zur Verfügung. Dies führt dazu, dass die Übertragung von Signalen gestört und das Zusammenspiel von Aufmerksamkeit und Motivation gestört ist. Das «vor-sich-herschieben» – die sogenannte Prokrastination – kann also durch diese Problematik erklärt werden.

Medikamente, die im Zusammenhang mit ADHS eingesetzt werden, setzen genau dort an: Sie haben das Ziel, den Stoffwechsel im Gehirn positiv zu beeinflussen und somit die Symptomatik zu lindern.

Bei Personen mit ADHS kann man zudem eine Tendenz zu Suchtverhalten (Alkohol, Drogen, Essen, Arbeiten, Sport) oder auch «last-minute-Vorbereitungen» beobachten. Dadurch wird ebenfalls eine erhöhte Dopaminausschüttung erreicht. Und so tragen sie (oftmals unbewusst) selbst zu einer Verbesserung ihrer Symptome bei.

Ist dies nicht der Fall, werden die vielen Informationen, die uns tagtäglich erreichen, nicht oder nicht optimal verarbeitet. «Filter», die im Gehirn bei Personen ohne ADHS vorhanden sind und die dafür sorgen, dass wir nicht mit Informationen überlastet werden, sind bei Personen mit ADHS nicht oder in nicht ausreichendem Masse vorhanden (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Filtersystem im Gehirn (Lachenmeier, 2021)

Symptome und deren Ausprägung zeigen sich natürlich individuell sehr unterschiedlich. Zudem steht der Mensch als Ganzes im Vordergrund und nicht sein ADHS, seine Angststörung oder sein Burnout. Daraus lassen sich aber wertvolle Anhaltspunkte für die Beratungsarbeit ableiten.

Was können wir also für den Umgang mit Personen mit ADHS in der Beratung lernen?

Tipps für die Beratung

  • Informationen gezielt präsentieren.
    Zu viele Informationen sind kontraproduktiv. Ein Fokus auf das Wesentliche erleichtert die Informationsverarbeitung.
  • Kurzzusammenfassung erstellen.
    Es ist hilfreich, wenn man die erarbeiteten Informationen zwischendurch oder am Ende der Beratung zusammenfasst – entweder schriftlich, mündlich oder visuell. Fragen wie «Was sind für Sie die wichtigsten Informationen?» oder «Was nehmen Sie heute mit aus der Beratung?» können dabei zum Reflektieren anregen. Die Zusammenfassung kann auch von den Klient:innen selbst erstellt werden.
  • Pausen einplanen.
    Personen mit ADHS – insbesondere mit der hyperaktiven Variante – erleben es als hilfreich, wenn sie als Abwechslung zur kognitiven Auseinandersetzung mit ihrer Person in der Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung einer entspannenden körperlichen Aktivität nachgehen können. Ein Spaziergang oder kurze Aktivierungsübungen sind dafür gut geeignet.
  • Von Gedächtnisstützen Gebrauch machen.
    Während des Beratungsprozesses werden viele Informationen besprochen und konkrete nächste Schritte geplant. Damit diese auch nachhaltig genutzt werden können, ist es sinnvoll, sie schriftlich zu fixieren. Anhand von To-do-Listen, Plänen oder Arbeitsblättern, die helfen Berufs- oder Studienoptionen zu vergleichen, werden die vielen verschiedenen Informationen sichtbar und bleiben so besser im Gedächtnis.
  • Outcome sichtbar machen.
    Oftmals ist insbesondere der Beginn des Prozesses aufwändig. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den eigenen Interessen, Werten und Stärken sowie die Recherche über verschiedene Berufe oder Studienfächer ist für viele Personen eine Herausforderung. Insbesondere dann, wenn man das angestrebte Ziel noch nicht sieht. Visualisierungen über das bereits Erreichte sowie das Setzen von kleineren Zwischenzielen können dabei helfen, kleinere Teilerfolge sichtbar zu machen und als Anreiz dienen.
  • Verantwortung übergeben.
    Werden die Klient:innen aktiv mit in den Beratungsprozess einbezogen, führt dies oft zu einer grösseren Motivation, sich selbst mit einzubringen. Eine grössere Motivation wiederum führt zu mehr Engagement, einer stärkeren Auseinandersetzung mit sich selbst und der beruflichen Umwelt, was den Beratungsprozess positiv beeinflusst.
  • Lob und positives Feedback geben.
    Da bei einer Person mit ADHS das Thema Motivation ausschlaggebend dafür ist, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen bzw. dies aufzuschieben (Stichwort Prokrastination), kann ihr ein positives Feedback oder ein ernstgemeintes Lob einen Motivationsschub geben, der für den weiteren Prozess enorm bereichernd sein kann.

Im Zentrum unserer Arbeit als Beratungsperson steht immer die ratsuchende Person als Ganzes – und nicht nur ein Teil von ihr, wie bspw. das Thema ADHS, Depressionen oder Hochbegabung. Dennoch helfen uns Hintergrundinformationen zu einzelnen Themen, um ein besseres Gesamtverständnis für die Bedürfnisse und Herausforderungen der Klient:innen zu erhalten.  

Nicola Kunz ist Psychologin und arbeitet als Berufs-, Studien- & Laufbahnberaterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie. In ihrem Alltag begleitet sie Personen beim Berufseinstieg oder der beruflichen (Neu-)Orientierung.

Die richtige Entscheidung treffen? Wir helfen Ihnen dabei.
Laufbahnen verlaufen individuell. Das IAP unterstützt Menschen dabei, den roten Faden ihrer beruflichen Identität zu finden und begleitet sie bei der Umsetzung der individuellen Interessen und Werte in der anspruchsvollen Arbeitswelt. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Webseite.

Literatur:

Pliszka, S. R., McCracken, J. T., & Maas, J. W. (1996). Catecholamines in attention-deficit hyperactivity disorder: Current perspectives. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry35(3), 264-272. https://doi.org/10.1097/00004583-199603000-00006

Lachenmeier, H. (2021). Das funktionale System der ADHS: ADHSler denken nicht zu wenig, sondern zu weit. In: Mit ADHS erfolgreich im Beruf. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-62290-2_3

Schlagwörter: ADHS, Laufbahnberatung

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