Interview von Joy Bolli, Redaktorin, ZHAW Angewandte Psychologie
Sabine, du bist Fachperson für Digitale Medien und E-Learning am IAP. Ursprünglich hast du aber Bildhauerin gelernt und später visuelle Kommunikation an der ZHdK studiert. Was hat dich veranlasst, die haptische Welt zu verlassen und in die digitale Welt einzutauchen?
Ich wollte niemals am Schreibtisch sitzend arbeiten. Aber es gab damals noch nicht so viele Computer in der Arbeitswelt – und im privaten Bereich schon gar nicht. Irgendwann kam der Computer auf. Meinen ersten Kontakt hatte ich als ich bei meiner Tante Babysitting gemacht habe. Sie hatte einen PC und kannte sich sehr gut aus. Bei ihr durfte ich mit dem Computer spielen, mit DOS rumbasteln und Befehle austesten, «format:c» zum Beispiel – damals gab es noch Programme auf Disketten – und ich fand das mega spannend. Dann wurde das Internet gross. Es wurden immer mehr Leute gebraucht, die was davon verstanden, und ich habe ein Jobangebot bekommen, das ich tatsächlich nicht ausschlagen konnte. Es hat mich einfach gepackt – unendliche Möglichkeiten! Bis heute. Ich liebe es, am Computer zu sitzen und Sachen auszuprobieren. Damals war das wirklich neu, dass man selbst verschiedenste Dinge produzieren konnte. Ich habe mit Grafik angefangen, 2D- und 3D-Sachen. Animationen, die auf Sound reagiert haben – auch Videos zu produzieren, fand ich super. Ich hab einfach alles getestet, einen Fernseher und meine Stereoanlage angeschlossen und alle möglichen Gerätschaften kombiniert bis der Computer abgestürzt ist… Aber ich hatte immer Spass dabei – auch wenn es manchmal teuer wurde… Irgendwann hab ich alles auseinander geschraubt, mir die Platine angeschaut, nachgesehen, was da los ist, und Dinge zusammengeflickt (hallo Lötkolben!). Ich hatte nie Ängste davor, wollte immer einfach schauen, was passiert, experimentieren und herausfinden, wo die Grenzen sind.
Du programmierst auch selbst. Ist das einfach ein Talent, das du in dir hast?
Das habe ich mich nie gefragt. Ich habe einfach gelesen und losgelegt. Die meiste Zeit war ich selbständig. Das bin ich auch heute noch zu 40%. Angefangen habe ich als Webdesignerin. Das nennt man heute längst nicht mehr so. Heute heisst das «Interaction Designer», «Multi Media Producer», «Mediamatiker», «UX Designer» – you name it… In dieser Position hat man damals einfach nur Grafiken produziert. Die Programmierung war eine andere Baustelle. Heutzutage ist das deutlich komplexer. Dazu kam auch immer mehr der Kundenwunsch, nicht nur Layouts abzuliefern, sondern diese auch gleich mit Interaktion bzw. Funktionalität zu versehen. Wenn ich diese Aufträge extern gegeben habe, war ich abhängig von den jeweiligen Lieferanten und wurde oft auch enttäuscht. Ich hatte selten das Ergebnis, welches ich mir ursprünglich vorgestellt hatte. Darum habe ich mehr und mehr begonnen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und zu lernen, wie man die Umsetzung realisiert. Also habe ich viel gelesen, Tutorials durchgearbeitet und die ersten «e-Learning Kurse» auf lynda.com gemacht. Für die Kunden war das sehr angenehm, denn sie bekamen alles aus einer Hand. Und mir hat es einfach Spass gemacht, meine Ideen 1:1 live zu sehen. Das Studium an der ZHdK hatte übrigens zum Ziel “Medien Autoren” auszubilden. Dies ist für mich immer noch die treffendste Bezeichnung – auch wenn nicht gerade gängig und auch etwas diffus.
Du hast Filme gemacht, 2D- und 3D-Grafiken produziert und Apps entwickelt. Was verbindet diese Welt mit der früheren Bildhauerin?
Meine Wurzeln liegen in der Gestaltung. Bildhauerei beginnt mit dem Skizzieren. Ich habe gezeichnet, gemalt, modelliert und – was als Voraussetzung einfach dazu gehört – genau beobachtet. Das ist eine gute Grundlage für 2D/3D-Gestaltung am Computer und auch für das Programmieren. Die Denk- und Sichtweise kommt nun mal aus dem «Handwerk» und bis heute werden in entsprechender Software auch noch diese ursprünglichen Begrifflichkeiten verwendet. Viele bekannte Arbeitsprozesse wurden anfangs in Software transferiert, simuliert und später mit Funktionen erweitert, die dann wiederum nur virtuell möglich sind. Daher sehe ich alles Digitale als Erweiterung und Hilfsmittel, nicht als Ersatz. Als Steinmetzin habe ich auch technisches Zeichnen gelernt. Früher hat man mit Tusche auf einem Papierbogen konstruiert. Wenn man da einmal gekleckst und mit der Rasierklinge zu viel an einer Stelle korrigiert hat, war die Arbeit von Wochen hinüber. Deswegen fand ich es toll, was man mit dem Computer machen konnte. Mich haben diese neuen Möglichkeiten sehr fasziniert, und ich bin schlussendlich aus Leidenschaft einfach hängen geblieben. Ich habe also einen Bogen gespannt, der für mich völlig schlüssig ist, und das Gestalterische ist noch immer die Basis dieser Faszination.
Du fotografierst auch… Auf deiner Webseite finden sich Fotos mit sehr speziellen Blickwinkeln. Architektur, Natur, aber auch alte Autos findet man dort. Was fasziniert dich an Oldtimern?
Ich bin einfach ein Form- und Farben-Freak. Ich komme wirklich aus der Ecke «Design», und ich liebe alte Autos, weil die schöne Rundungen haben, einfach toll aussehen, und man kann sie wunderbar inszenieren. Neue finde ich meistens hässlich. Alles was alt ist, mag ich meistens gern.
Was für ein Auto fährst du selbst?
Früher bin ich gern gefahren und muss gestehen, ich hatte ein schickes BMW-Cabriolet mit schönen Rundungen. Aber seit ich in Zürich wohne, macht ein Auto für mich keinen Sinn mehr. Dennoch vermisse ich es. Heute fahre ich dafür Motorrad.
Was für eines?
Eine kleine Yamaha….. (lacht) es muss halt Rundungen haben…..
Was mir an dir besonders auffällt, ist, dass du nicht wirkst wie die «gewöhnlichen» Designer. Die haben ja oft eine «gestaltete» Persönlichkeit. Du aber stehst mit beiden Beinen auf dem Boden, kultivierst gesunden Menschenverstand, und mit dir kann man reden, auch wenn man überhaupt nichts von Gestaltung versteht – du erklärst einem die Dinge so, dass es jeder versteht. Hattest du nie Schwierigkeiten in der Welt der Designer?
Doch, vor allem mit den zwei Welten «Design» und «Programmierung». Das ist bis heute so. Die beiden Lager kommunizieren komplett verschieden. Und da gibt es leider immer Konflikte. Da ich aber auf beiden Seiten tätig bin, kann ich das gut vereinen und auch gut übersetzen. Das ist auch teilweise mein Job hier am IAP: Ich versuche, die technische Sprache in eine Form zu bringen, die jeder einigermassen verstehen kann. Man kommt natürlich nicht ganz um die «fancy Computer-Sprache» herum, aber es ist mein Vorteil, dass ich durch jahrelange Erfahrung in verschiedenen Bereichen ein Verständnis dafür habe. Vor Allem auch für die Schwierigkeiten, die häufig schon auf emotionaler Ebene beginnen. Früher habe ich das als Nachteil empfunden. Denn wenn ich programmiert habe, und die Leute wussten, dass ich an der ZHdK Neue Medien und visuelle Kommunikation studiert habe, dann kam schnell «ach, die kann ja nicht programmieren». Und umgekehrt war es genau dasselbe. Um Anerkennung muss man da wirklich manchmal kämpfen. Insbesondere noch als Frau in der Tekki-Welt, aber das ist ein anderes Thema. Mittlerweile sehe ich diese Erfahrungen allerdings als etwas Positives, denn ich kann dem Einen sagen «du musst das so machen, denn der Andere kann das sonst nicht umsetzen» – und umgekehrt.
Nun bist du ja als Fachperson Digitale Medien und E-Learning hier am IAP. Was sind deine ersten Eindrücke in der Hochschullandschaft? Wo denkst du stehen wir, und was brauchen wir?
Ich bin ja erst seit März hier und noch dabei, mich ZHAW-weit zu orientieren, was bereits besteht bzw. welche Ressourcen vorhanden sind. Ich muss gestehen, es ist nicht so einfach, an Informationen heranzukommen, weil die Departemente sich auf sehr verschiedenen Levels bewegen und das Thema ganz unterschiedlich gewichten. Es liegt in der Natur der Sache, dass das Departement Gesundheit ganz woanders steht als das Departement Wirtschaft. Das meine ich nicht wertend. Das ist einfach logisch. Ich entdecke dabei immer wieder Neues und bin überrascht. Wir waren zum Beispiel vor paar Wochen im Aufnahmestudio des Zentrums für Innovative Didaktik in Winterthur. Ich kann nur sagen: Genauso etwas würde ich auch gerne bei uns im Toni-Areal haben – mindestens. (schmunzelt) Es ist einfach wichtig, dass man sich vernetzt, denn es gibt bereits sehr viele Dinge, von denen wir hier noch gar nichts wissen, aber profitieren könnten. Das Rad immer wieder neu zu erfinden, macht keinen Sinn. Die Frage ist aber: Wo stehen wir am IAP? Und das Spannende ist: E-Learning ist natürlich ein Teil des ganzen Wandels der Digitalisierung, was ein sehr individueller und vor allem auch emotionaler Vorgang ist. Daher ist es eigentlich ein Zweig der Digitalisierung für unseren spezifischen Bereich, mit dem ich mich im Wesentlichen beschäftige, denn das E-Learning muss in diesen Wandel richtig und sinnvoll integriert werden. Im Moment bin ich zum Beispiel daran, das Soft Phone bei uns einzuführen. Einige haben davon noch nichts gehört. Das Stichwort ist «UCC».
Liest du noch Bücher aus Papier?
Selten, muss ich gestehen. Ich habe schon früher nicht so viel gelesen, sondern eher Bilder angeschaut: Comics! Und ich bin, ehrlich gesagt, schon verdammt lang am Computer. (lacht) Aber Kunstbände mit grossen schönen Bildern, die habe ich gerne auf Papier. Da muss ich etwas anfassen können und blättern. Es muss natürlich hochwertige Qualität sein, aber das sind sie ja auch meistens. Wenn es allerdings um das pure «Informationen-Sammeln» geht, da bin ich digital einfach besser bedient. Ich habe früher zum Beispiel viele Fachbücher gelesen, vorwiegend über Design und Programmieren. Aber die meisten sind nach kürzester Zeit schon nicht mehr valide, und im Netz findet man immer die neusten Infos, daher sind Fachbücher gar kein Thema mehr. Vor Kurzem habe ich mir das Kochbuch «Wood Food» von Valentin Diem gekauft, Hardcover mit sehr schönen Fotos, und habe plötzlich angefangen, darin zu scrollen wie auf meinem iPad. Das hat nicht so funktioniert wie ich dachte, und ich musste einsehen «okay, das ist vielleicht nicht das richtige Medium für mich» (lacht). Also irgendwie will das Papierbuch nicht so richtig mit mir. Aber ich liebe den Geruch von Büchern, und natürlich auch die Haptik. Das fehlt mir auch tatsächlich in der digitalen Welt. Deshalb komme ich in letzter Zeit auch wieder vermehrt zurück zu haptischen Erlebnissen. Ich habe zum Beispiel begonnen, in meiner Freizeit zu malen oder mit Ton zu modellieren, um wieder etwas mit den Händen zu tun.
Du scheinst ein Mensch, der keine Berührungsängste hat. Wovor hast du Angst?
Vor der weissen Leinwand, die in meinem Atelier steht! Ich habe begonnen wieder mehr mit den Händen zu arbeiten, nicht digital. Ich zeichne wieder mehr, und habe nun meine alte Staffelei ausgegraben und aufgestellt. Da steht nun diese weisse Leinwand, und ich weiss noch gar nicht, wohin die Reise der Farben und Formen auf dieser Fläche gehen soll – und es gibt da kein ctlr+z ….
Sabine Rödiger ist Designerin. Sie studierte an der ZHdK Zürcher Hochschule der Künste Visuelle Kommunikation mit dem Schwerpunkt Neue Medien. Seit mehr als 15 Jahren ist sie als Webdesignerin und Webentwicklerin in ihrem Unternehmen «Sabine Rödiger Media Productions» tätig. Seit März 2017 unterstützt sie das IAP Institut für Angewandte Psychologie im digitalen Wandel als Fachperson Digitale Medien & E-Learning.