Gut streiten will gelernt sein!

Streiten – ein Wort, das oft negative Assoziationen weckt. Doch ist Streit wirklich nur schlecht? In Wahrheit kann Streiten eine Kunst sein, die, wenn sie richtig ausgeführt wird, zu tieferem Verständnis und stärkeren Beziehungen führen kann. In diesem Blog erhalten Sie wertvolle Inputs, um Konflikte am Arbeitsplatz besser bewältigen zu können.

Autorin: Elisa Streuli

Titelbild: Adobe Stock    

Kennen Sie das:

  • Sie werden auf unverschämte Weise verbal angegriffen. Ihnen bleibt vor lauter Schreck die Luft weg, so dass Sie kein Wort herausbringen?
  • Eine Mitarbeiterin kommt öfter 5 Minuten zu spät zur Teamsitzung. Sie wollen nicht aus einer Mücke einen Elefanten machen und haben deshalb nie etwas gesagt, ärgern sich aber trotzdem jedes Mal darüber?
  • Sie reagieren genervt, nachdem eine Kollegin Ihnen eine harmlose Frage gestellt hat, hinter der Sie einen Vorwurf an Sie vermuten?
  • Ein Kollege lästert hinter Ihrem Rücken über Sie. Zufälligerweise bekommen Sie es mit, machen aber die Faust im Sack, statt den Lästerer direkt zur Rede zu stellen?
  • Anschliessend ärgern Sie sich über sich selbst und machen sich Vorwürfe, dass Sie nicht souveräner reagiert haben.

Sagen, was mich stört: leichter gesagt als getan

Konflikte am Arbeitsplatz sind allgegenwärtig – doch sie anzusprechen fällt vielen schwer.

Warum lassen wir grobe Entgleisungen unwidersprochen? Warum stehen wir nicht für unsere Anliegen ein und warum lassen wir uns von bestimmten Aussagen in eine emotionale Achterbahn stürzen? Die Antwort liegt – wie so oft bei Fragen zum menschlichen Verhalten – in der Psychologie, genauer: in unseren Grundbedürfnissen.

Wir möchten als Mensch anerkannt und gemocht werden und uns einer Gemeinschaft zugehörig fühlen. Aus Angst, die Zuneigung anderer zu verlieren oder gar aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden, nehmen wir uns selbst immer wieder zurück – oder «es bricht plötzlich aus uns heraus» und tut uns anschliessend leid.

Was sollen wir also tun? Schweigen und nachgeben, um ja das Gegenüber nicht zu verletzen, aber sich anschliessend selbst dafür verurteilen? Oder zum harten Gegenangriff starten und sich selbst dafür schämen, dass man sich nicht besser «im Griff» hat?

Streiten: das Gegenteil von schreien und drohen

Die wenigsten von uns haben gelernt, gut zu streiten. Schreien, drohen und wutschnaubend davonstapfen gehören explizit nicht zu einem guten Streitrepertoire – genau so wenig wie immer klein beigeben, nach dem Motto «der Klügere gibt nach» («der Dümmere setzt sich durch», wäre hier zu ergänzen).

«Gut streiten bedeutet, die Anliegen der anderen Person anzuerkennen und gleichzeitig den eigenen Werten, Interessen und Bedürfnissen treu zu bleiben und für sie einzustehen. Dabei stehen wir uns oft selbst im Weg: Wir sind so wütend, traurig oder fühlen uns so hilflos und ohnmächtig, dass wir nicht wissen, wie wir bei alldem auch noch «gut streiten» bzw. Konflikte konstruktiv austragen sollen!»

Elisa Streuli, Kursleiterin und Psychologin am IAP

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Konflikte gut bewältigen hilft, die Beziehung zu stärken

Im Idealfall stärkt ein gemeinsam bewältigter Konflikt die Beziehung. In der japanischen Reparaturmethode «Kintsugi» werden Teile eines zerbrochenen Geschirrs mit viel Sorgfalt, Zeit und einer aufwändig zu erlernenden Technik mit einer teuren Goldlasur wieder zusammengefügt, so dass das Geschirr nachher wertvoller ist als vorher. Es hilft, sich an Kintsugi als eine Extremform der (sehr aufwändigen und anspruchsvollen) Konflikt­bewältigung zu erinnern, wenn in einer Beziehung bereits viel «Geschirr zerschlagen» ist.

Gut streiten bedeutet aber nicht, eine Beziehung an die Wand zu fahren, um sie nachher wieder zu kitten. Nicht jede Meinungsverschiedenheit muss gleich bis auf den Grund ausdiskutiert werden. Es kann sich jedoch lohnen, dass wir da, wo es uns wichtig ist, auch harte Auseinandersetzungen führen – nach dem Motto «choose your battles». Menschen, die schwierige Situationen gemeinsam bewältigten und daraus etwas lernten, werden oft die besten Freund:innen und die verlässlichsten Arbeitskolleg:innen. Beide wissen, woran sie miteinander sind, und können sich auch in schwierigen Zeiten aufeinander verlassen.

Ein Sprichwort besagt: Der erste Schritt zur Versöhnung ist der konstruktive Streit. Deshalb: Lasst uns streiten!

Hard on facts – soft on People

Das Harvard Verhandlungskonzept von Fisher, Ury und Patton (2015) ist ein einfaches und wirksames Modell, wie wir die eigene Meinung klar vertreten, für unsere Anliegen einstehen können UND gleichzeitig die Beziehung zum Gegenüber wahren und sogar stärken können: «Hard on facts – soft on People» – Klar und bestimmt in der Sache, respektvoll und verbindlich zu den Menschen.

Mit dieser Haltung gelingt es uns, auch sehr schwierige Gespräche auf zwei Ebenen vorzubereiten und durchzuführen:

  1. Klar in der Sache: Ich äussere meine sachlichen Anliegen klar, auf Beobachtungen abgestützt und begründet.
  2. Respektvoll zu den Menschen: Mein Gegenüber möchte als Mensch geachtet und respektiert werden – ich auch. Auf dieser Gemeinsamkeit lässt sich aufbauen.

Üben, üben, üben!

Mit schwierigen Gesprächen ist es wie mit Velofahren, Basketball oder Klavier spielen: Erst durch Üben werden wir zur Meister:in.

Die zielführendste und wirksamste Art der Übung ist das Rollenspiel. Rollenspiele bieten eine kontrollierte und sichere Umgebung, in der schwierige Gespräche in verschiedenen Varianten geübt werden können, ohne reale Konsequenzen zu befürchten. Der Flugsimulator ist nicht das Flugzeug. Doch lernen wir in der geschützten Umgebung des Flugsimulators die wichtigen Handgriffe und Abläufe des Fliegens. So verhält es sich auch mit schwierigen Gesprächen.

Darüber hinaus bieten Rollenspiele gegenüber dem Theorielernen oder der reinen Reflexion viele andere Vorteile, wie beispielsweise:

  • Praktische Erfahrung: Durch die Simulation unterschiedlicher Szenarien werden Erfahrungen gesammelt, verschiedene Möglichkeiten ausprobiert sowie Überraschungsmomente generiert und reflektiert
  • Klare Ausdrucksweise: Rollenspiele helfen, die Anliegen und Gedanken klar und präzise zu formulieren
  • Aktives Zuhören, Empathie und Perspektivenwechsel: Die Übungen fördern gezielt das aktive Zuhören und das Verständnis für die Perspektive des Gegenübers. Dabei lernen die Teilnehmer:innen entgegenkommend und flexibel zu sein, während sie gleichzeitig stabil und standfest bleiben.

Strategien im Umgang mit Emotionen lernen

Rollenspiele entfalten ihre optimale Wirkung, wenn sie auch die entsprechenden Emotionen hervorrufen und eine Lernmöglichkeit zur Emotionsregulation bieten.

Professionelle Schauspieler:innen sind genau für diese Fähigkeiten ausgebildet. Sie sind viel besser als Laien in der Lage, die dahinterliegenden Bedürfnisse und Emotionen zu erkennen und ihre Gesprächspartner:innen in einer Weise so zu «triggern», dass ein optimaler Lerneffekt entsteht. Dadurch lernen die Teilnehmenden, ihre Emotionen bewusst wahrzunehmen und im Gespräch dosiert und zielführend einzusetzen.

Wie beim Schwimmen lernen, werden die Teilnehmenden herausgefordert, aber nicht ins kalte Wasser geworfen. Als beabsichtigter Nebeneffekt werden Selbstvertrauen und Zuversicht für schwierige Gespräche gesteigert. Damit wird ein wichtiger Grundstein für den beruflichen Erfolg gelegt. Konflikte sind überall und allgegenwärtig – der zielführende Umgang damit entscheidet über Erfolg und Misserfolg in der Arbeitswelt.

Neu bietet das IAP dazu an 2 Halbtagen einen Weiterbildungskurs an: WBK Streitlabor – Konfliktkompetenzen trainieren | ZHAW Angewandte Psychologie

Weiterführende Informationen:

Weiterführende Literatur

  • Fisher, R., Ury, W., Patton, B. (2015). Das Harvard-Konzept (23. Aufl.). Frankfurt a.M.: Campus.
  • Moosbrugger, Th. (2024). 50 x besser Streiten – Wege zur Lösung. Zürich: NZZ Libro.

Elisa Streuli, Dr. phil. ist Dozentin und Beraterin am Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW.


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