In unserem Alltag haben wir es ständig mit Gefühlen von Menschen zu tun. Gefühle gehören ebenso zu uns wie unser Denken und unser Körper. Aber was tun, wenn unsere Emotionen überhandnehmen und unseren Alltag mehrheitlich steuern? Dann gilt es, sie zu analysieren, um sie einordnen zu können. Wichtig ist, dass wir uns vor Augen führen, dass wir nicht unsere Gefühle sind, sondern dass wir sie «beherbergen» und sie uns Informationen über uns selbst liefern.
Text: Maja Goedertier
Bild: Heath Johnson
In unserem Leben lernen wir von Anfang an verschiedene Gefühle kennen: den Stolz Laufen zu können, das Glücksgefühl endlich in die Schule zu dürfen, das erste Mal verliebt zu sein, von Arbeitskollegen enttäuscht oder von Partnerinnen verlassen zu werden. Der Umgang mit positiven, wie negativen Gefühlen wird uns schon von Kindsbeinen an vermittelt. Je älter wir werden, umso vielfältiger wird die Welt unserer Gefühle und wir lernen, diese zu differenzieren. Gleichzeitig begleitet die Analyse dieser Gefühle auch eine gesellschaftliche Zensur. Wir lernen, welche Gefühle vom Umfeld gefragt sind und toleriert werden und von welchen niemand etwas wissen will. Die Dinge ständig positiv zu betrachten und eine optimistische Grundeinstellung an den Tag zu legen, wird in unserer Gesellschaft als gut bewertet. Diese Bewertung tragen wir im Erwachsenenalter in uns mit und wenden sie an. Sie ist einerseits richtungsweisend für unser Verhalten, andererseits aber auch hinderlich, da negative Gefühle genauso zum Leben gehören.
Je schwieriger eine Situation ist, umso mehr versuchen wir, unsere Gefühle zu kontrollieren
Viele von uns lernen durch drastische Ereignisse – zum Beispiel eine schwierige medizinische Diagnose – dass unsere Gefühle uns in die Knie zwingen können. Nicht selten verurteilen wir uns dann für unsere schlechten Gefühle, wie Angst, Trauer oder Wut, womit wir uns noch tiefer in eine Negativspirale hineinbewegen. Je schwieriger eine Situation ist, umso mehr versuchen wir, unsere Gefühle zu kontrollieren. Dieses Verhalten ist nicht nur ineffektiv, sondern auch grausam anderen und uns selbst gegenüber, weil wir relevante Hinweise übergehen und nicht zu unseren Gefühlen stehen. Nicht selten verstärkt dieses Verhalten unsere negativen Gefühle sogar noch.
In einer Zeit, wie wir sie aktuell erleben, sind wir alle mit viel Unsicherheit und Ungewissheit konfrontiert. Dies löst oft Ängste in vielen Färbungen aus, die sich verschieden auswirken können. Einige Menschen sind von schlaflosen Nächten geplagt, weil sie den Jobverlust fürchten, andere verspüren Existenzängste oder fühlen sich in ihren Beziehungen nicht mehr getragen.
In Zeiten von COVID-19 ist wichtiger, was wir fühlen, als was wir tun
Wir sind also gefordert Verantwortung für uns zu übernehmen und müssen die Fähigkeit entwickeln, die Realität so zu nehmen, wie sie ist. Schwierige Situationen und schwierige Gefühle sind Teil unseres Vertrages mit dem Leben. Unbehagen und Unannehmlichkeiten die Eintrittspreise in ein bedeutungsvolles Dasein.
So ist es in Zeiten von COVID-19 wichtiger, was wir fühlen, als was wir tun. Die totale Akzeptanz unserer Gefühle ist der Eckstein der möglichen Bewältigung von Situationen.
Gefühle sollten aber nicht als Verhaltensanweisungen verstanden werden, sondern mehr als Informationsquelle zur inneren Befindlichkeit. Dementsprechend tun wir gut daran, zu erörtern, was unser effektives Gefühl ist und was es uns sagen will.
Haben wir die Botschaft unserer Gefühle verstanden, können wir mit konkreten Schritten reagieren und unsere Situation verändern. Wir können vorhandene Ressourcen einsetzen, Unterstützung suchen und lernen Unabänderliches als solches zu integrieren. So werden wir zum (Gefühls-)Datenmanager und stärken uns für spätere Situationen.
Die Rolle des Data-Analyst steckt in uns allen. Von klein an erlernt, später weiterentwickelt und aktuell als wichtiger Krisenmanager in uns tätig. Hier finden sie 4 Tipps, wie sie ihn trainieren können.
Tipp 1: Gefühle wahrnehmen
Leichter gesagt als getan. Was heisst es, wenn ich mich per se gestresst fühle? Die Bewertung davon, wie wir eine Situation erleben, ist sehr persönlich und individuell. Es gibt kein «richtiges» Erleben. Den Situationen und Gefühlen, die sie auslösen, auf den Grund gehen, können wir durch verschiedene Fragen an uns selbst:
Habe ich irgendwo Schmerzen? Bin ich es leid, mich ständig anzupassen? Ist meine Motivation weg? Reagiere ich öfter als sonst gereizt und gerate in Konflikte mit anderen? Wieso bin ich ständig verstimmt? Fällt es mir schwer mich zu konzentrieren? Mag ich gar nicht mehr aufstehen? Spüre ich Druck auf Herz oder Lunge?
Tipp 2: Über Gefühle schreiben
In stiller Korrespondenz mit uns selbst können wir unsere Gefühle und deren Wahrnehmung schriftlich festhalten. Wenn ich über meine eigenen Gefühle schreibe, hilft es mir, sie einzuordnen und zu verstehen. Oft wird erst im Festhalten der Gefühlszustände klar, woher sie kommen und was sie uns sagen wollen. Wichtig ist dabei, alles was einem durch den Kopf geht, festzuhalten, ohne jegliche Zensur.
Tipp 3: Über Gefühle sprechen
Mich einer Vertrauensperson anzuvertrauen, gibt mir die Möglichkeit, offen über meine Gefühle zu sprechen. Das kann jemand sein, der mich gern hat, mich gut kennt und bereit ist, mir regelmässig Rückmeldungen zu geben, wie er/sie mich erlebt. In manchen Fällen kann dies eine gute Freundin/ ein guter Freund sein, in anderen Fällen auch ein professioneller Coach. Wichtig ist, dass wir der Person voll und ganz vertrauen.
Tipp 4: Social Contacting
Zu merken, welche Personen mir in welchen Situationen helfen, ist besonders wichtig. Sich dann aktiv diesen Menschen zuzuwenden und eine regelmässige Kontaktpflege zu etablieren, hilft mir, belastende Gefühle nicht alleine tragen zu müssen. Ob dieser Kontakt nun per Telefon, Video, Chat oder persönlich mit Distanz gepflegt wird, ist sekundär. Wichtig sind die Regelmässigkeit und der Austausch.
Maja Goedertier ist Psychologin und Beraterin im Bereich Managementdiagnostik und Sicherheitspsychologie. Ihr Arbeitsschwerpunkt am IAP Institut für Angewandte Psychologie ist die psychologische Eignungsdiagnostik von Führungspersonen und Personen in sicherheitssensiblen beruflichen Kontexten.