***Neue Mini-Blog-Serie***
Beziehungen sind ohnehin nicht einfach. Und in Zeiten von Corona noch schwieriger. Was kann man tun, wenn einen der Alltagsstress auffrisst und man sich mehr und mehr voneinander entfernt? Unsere Dozentin Marlène Vogt stellt eine Methode vor.
Text: Marlène Vogt
Bild: Daniel Cheung
Nicht nur gesundheitlich, wirtschaftlich und organisatorisch stellt uns der Coronavirus vor grosse Herausforderungen, sondern auch beziehungsmässig fordert er uns einiges ab. Haben wir bis vor kurzem noch selbstbestimmt unseren Alltag gestaltet, mussten wir quasi über Nacht auf häusliche Quarantäne umsteigen. Speziell für Paare stellt diese Sondersituation eine Belastung dar.
Unter Stress reagieren wir weniger freundlich und souverän
Weshalb ist das so? Der Grundauslöser für Konflikte, welche im schlimmsten Fall zur Trennung führen können, ist gemäss dem Beziehungsexperten Guy Bodenmann fast immer Alltagsstress. Er führt dazu, dass oft nur noch sachlich/organisatorische Themen miteinander besprochen werden, wie, wer schaut auf die Kinder, wer organisiert den Einkauf, und man den Partner oder die Partnerin wenig daran teilhaben lässt, wie es einem wirklich geht. Es findet kaum noch emotionale Kommunikation und tiefgründiger Austausch zwischen dem Paar statt.
Stress erhöht zudem das Risiko, körperliche oder psychische Probleme zu entwickeln (Rückenschmerzen, depressive Phasen etc.), was eine zusätzliche Belastung darstellt. Und als letzter Faktor kommt dazu, dass wir unter Stress weniger freundlich, souverän und grosszügig reagieren. Unter Stress zeigen wir eher unsere problematischen Persönlichkeitsanteile, wie Rigidität, Gereiztheit, weniger Empathie, Zynismus oder Geiz, welche wir unter normalen Umständen gut unter Kontrolle haben.
So kommt es zu Unzufriedenheit in der Paarbeziehung, weil sich Erwartungen – «wir könnten es doch so schön miteinander haben» – nicht erfüllen. Dies wiederum führt dazu, dass man sich zurückzieht oder anderen Dingen zuwendet und damit die Unterhöhlung der Partnerschaft zusätzlich begünstigt. Eine kontinuierliche Abnahme der Zufriedenheit in der Paarbeziehung ist die Konsequenz davon, was John Gottman und Bodenmann in verschiedenen Längsschnittstudien untersucht und eindrücklich belegt haben.
Die Lösung – ein simples, aber wirkungsvolles Zwiegespräch
Was also tun? Eine gute Möglichkeit, um aus der Negativspirale heraus zu kommen, bietet die Methode des Zwiegesprächs nach Michael Lukas Moeller. Der Ansatz des Arztes und Psychoanalytikers ist simpel und gleichzeitig wirkungsvoll. Er geht davon aus, dass es nicht die eine, richtige Wahrheit in der (Paar-)Beziehung gibt, sondern jede/r von uns eine eigene hat. Um die Wahrheit unseres Gegenübers kennen- und verstehen zu lernen, müssen wir miteinander reden. Dabei geht es aber eben nicht um normale, sachliche Alltagskommunikation, sondern um einen emotionalen Austausch. Das Paar soll sich bewusst Zeit füreinander nehmen und sich gegenseitig mitteilen, wie es einem geht. Normalerweise dauert ein solches Gespräch 60 oder 90 Minuten. In Anbetracht der eingeschränkten Zeiten im Corona-Modus ist es jedoch auch schon bei 15 oder 30 Minuten wirksam.
Hauptsache Sie nehmen sich überhaupt Zeit als Paar.
Was es zwingend braucht:
- einen verbindlichen Termin
- einen fixen Ablauf
- feste Regeln
Der verbindliche Termin: Auch wenn man beim Zwiegespräch sofort Resultate erzielt, ist dieses als langfristiges Projekt zu betrachten. Sinnvoll ist deshalb ein Termin pro Woche immer am gleichen Tag zur gleichen Zeit. Er hat höhere Priorität als alle anderen Termine.
Der fixe Ablauf: Jede/r Partner/in hat den gleichen Redeanteil. Also wenn sie sich für 30‘ entscheiden, sind das 15‘ am Stück für eine Person, die mit dem Timer gestoppt werden. Danach ist die andere Person dran. Sehr wichtig sind dabei die innere Haltung und Einstellung: Setzen Sie sich offen und zugewandt gegenüber, schauen Sie sich in die Augen und lassen Sie sich weder durch ihr Handy, Ihre Gedanken oder sonst etwas ablenken. In diesem Moment konzentrieren Sie sich voll und ganz aufeinander.
Die festen Regeln: Eine/r spricht, eine/r hört zu.
Regeln für die zuhörende Person: keine Unterbrechungen, Einwürfe, Fragen – auch wenn es noch so verlockend, sinnvoll oder unfair erscheint.
Der/die Sprecher/in spricht nur über sich selbst und wie es ihm/ihr gerade in der Beziehung geht. Achten Sie unbedingt darauf, dass Sie mit ‚Ich-Botschaften‘ sprechen. Widerstehen Sie der Versuchung, Ihre Anliegen in Vorwürfe wie «Nie hilfst du mir» zu verpacken. Die entsprechende Ich-Botschaft könnte z. B. lauten: «Ich fühle mich allein gelassen, ich wünsche mir mehr Unterstützung».
In der Redezeit ist auch Stille zum Nachdenken möglich und sinnvoll. Sie sollte genau so wenig wie der Redefluss unterbrochen werden. Jede Person entscheidet selber worüber sie sprechen möchte. Wer als zweite/r dran ist kann auf die vorherigen Aussagen Bezug nehmen, muss aber nicht. Es geht in erster Linie um das Gehört werden und erst in zweiter, Probleme zu lösen.
Liebesbeziehungen funktionieren nicht magisch von selbst
Interessanterweise sind viele Menschen der Ansicht, dass eine Beziehung einfach funktioniert, wenn man den oder die richtige/n Partner/in gefunden hat. Das ist natürlich Humbug. Für fast alles andere in unserem Leben besuchen wir Kurse und lassen uns ausbilden, bloss bei Liebesbeziehungen haben wir die romantische Vorstellung, dass diese ganz magisch von selbst funktionieren. Um eine gute Paarbeziehung zu führen, muss ich wissen, wie ich gut kommunizieren kann, wie ich Konflikte austrage, ohne dass dabei zu viel Geschirr zerschlagen wird und ich muss mich selbst gut genug kennen, damit ich weiss, wie ich z. B. unter Druck und Stress reagiere. Das sind alles Kompetenzen, die man unter anderem durch die oben beschrieben Methode erlernen kann und welche die wenigsten Menschen einfach so beherrschen.
Diese Art zu kommunizieren wirkt zu Beginn vielleicht etwas komisch. Man gewöhnt sich aber schnell daran und der Aufwand lohnt sich.
Ich wünsche Ihnen von Herzen gutes Gelingen beim Ausprobieren. Bleiben Sie dran, vielleicht hilft Ihnen die Corona-Krise sogar, Ihre Paarbeziehung im Generellen zu verbessern. Und das wäre definitiv eine erfreuliche Nebenwirkung.
Marlène Vogt ist Psychologin und arbeitet als Beraterin im Bereich Diagnostik, Verkehrs- & Sicherheitspsychologie am IAP Institut für Angewandte Psychologie. Darüber hinaus ist sie als Trainerin, Coach und Paartherapeutin tätig.
Literatur
–Bodenmann, G. (2002). Stress und Coping bei Paaren, 2. Auflage, Bern: Hogrefe.
–Bodenmann, G., Perrez, M. & Gottman, J. M. (1995). Die Bedeutung des intrapsychischen Copings für die dyadische Interaktion unter Stress. Zeitschrift für Klinische Psychologie, 25(1), 1-13.
–Gottmann, J. (1999). Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe. Weinheim: Schröder-Verlag.
–Moeller, M.L. (1996). Die Wahrheit beginnt zu zweit. Das Paar im Gespräch. Hamburg: rowohlt verlag gmbh.