Veränderung meistern mit der Kraft der eigenen Intuition? Die Verbindung von Otto Scharmers «Theorie U» und dem «Social Presencing Theater» (SPT) von Arawana Hayashi bietet einen direkten Weg für Veränderungsprozesse aus dem Inneren heraus. Eingesetzt wird diese Technik oft für Entwicklungsprozesse in Unternehmen – und in unserem Workshop in San Francisco.

Von Andrea Chlopczik, Dozentin und Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie

Im Oktober 2017 reiste ich im Rahmen des swissnex Academic Mobility Program nach San Francisco, um dort mit meiner amerikanischen Kollegin Mery Miguez einen Workshop zu Social Presencing Theater (SPT) durchzuführen. Für mich liessen sich damit gleich zwei Ziele kombinieren: Zum einen konnte ich meine interkulturelle Kompetenz auf die Probe stellen und weiterentwickeln. Zum anderen konnte ich ein innovatives Workshop-Konzept mit Social Presencing Theater (SPT) umsetzen. Diese Methode hatte ich selber ein paar Jahre zuvor in einer einjährigen Ausbildung mit Arawana Hayashi vom Presencing Institute in Massachusets kennen gelernt. Als Co-Teacher konnte ich meine amerikanische Kollegin Mery Miguez gewinnen.

Synthese aus Denken, Fühlen und Absicht

Wir hatten bereits im Vorfeld in Online-Meetings mit einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern rund um Kennan Salinero von ReImagine Science gearbeitet, die sich mit Veränderungsthemen im Wissenschaftsbetrieb befassten. Ermutigt durch deren Feedbacks zu den Sitzungen, in denen mit Methoden der Theorie U und des Social Presencing Theaters gearbeitet wurde, entstand die Idee für den Workshop in San Francisco. In diesem zweitägigen Workshop wollten wir die Teilnehmenden in Theorie U und Social Presencing Theater einführen, also in achtsamkeitsbasierte und körperorientierte Methoden zur Integration von Denken, Fühlen und Absicht (Kopf, Herz und Hand). Mit unserer Moderation dieses Workshops wollten wir den Teilnehmenden die Möglichkeit geben, ihre gewohnten Perspektiven zu erweitern durch Einbezug intuitiver körperlicher Wahrnehmungen und des kollektiven Wissens der Gruppe. Otto Scharmer selbst begründet die Entstehung der Methode so:

The question comes up how to communicate the essence of our projects in a way that transforms and heightens the quality of collective awareness and action, this is why we have started to experiment with a new synthesis between theater, embodied presence, dialogue, stillness and presencing, it’s called Social Presencing Theater.

Social Presencing Theater: Ein Workshop für Veränderung.

Der Sprung von der Theorie in die Praxis

Die Räumlichkeiten, in denen wir den Workshop durchführen konnten, passten zum Thema. Swissnex in San Francisco boten uns mit ihrem Standort am Pier 17, mit Blick auf die Bucht und die Bay Bridge, einen wunderschönen, kreativitätsfördernden Ort zum Arbeiten.

Aussicht vom Pier 17 auf die Bucht von San Francisco.

Der Begriff «Theater» wird im Social Presencing Theater in seiner ursprünglichen Bedeutung verwendet: Der Ort, an dem Bedeutendes sichtbar gemacht wird. Wir begannen den Tag jeweils mit einfachen, achtsamen Bewegungsübungen, dem «20 Minute Dance». Dabei ist die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper gerichtet, Bewegungen werden «loyal mit dem eigenen Körper» ausgeführt. 


Durch die achtsamen Bewegungen wird sichtbar, was bewegt, was stört, was für die Entwicklung bearbeitet werden muss. In der darauffolgenden Übung, dem «Village», wird die Achtsamkeit auf das gerichtet, was um uns herum passiert. Geschult wird hierbei die Erfahrung, gleichzeitig präsent im eigenen Körper (vertikale Achtsamkeit) und im sozialen Feld (horizontale Achtsamkeit) zu sein. Mit auf diese Weise geschulten Antennen geht es anschliessend in die Bearbeitung konkreter Fragestellungen.

  • Wie nehmen wir Kontakt zu anderen auf und wie kommunizieren wir miteinander? (Duets)
  • Welche Zuschreibungen machen wir in typischen Settings der Begegnung und wie verhalten wir uns darin? (Field Dance)
  • Wo stecke ich gerade fest und wie komme ich weiter? (Stuck Exercise)

Mit einem «4D-Mapping» kann schliesslich ein gesamtes System mit all seinen relevanten Beteiligten abgebildet werden, um mit den entstehenden Bewegungen die im System wirksamen Kräfte und bereits vorhandene Veränderungsansätze sichtbar zu machen. Arawana Hayashi, die das Konzept des «Social Presencing Theater» zusammen mit Otto Scharmer entwickelt hat meint dazu:

An SPT session is like a human sculpture, in which members of the organization arrange themselves as a model of the system they work within. They are assigned to play the part of one another onstage, and to stand and move in ways that evoke the unspoken but real tensions and connections of the enterprise. Suddenly, they see who’s not communicating with whom (but needs to be), which supposed allies (who claim to share the same goals) actually oppose each other, and where the isolation and frustration points prevent high-performance work from getting done.

Wie hören wir einander zu?

Das Interessante an dieser Methodenkombination: Die Kompetenzen, die auf der Grundlage der Theorie U  mit den Übungen des Social Presencing Theater gebildet und weiterentwickelt werden, kommen in allen Lebensbereichen zur Anwendung. Geschult wird eine individuelle Haltung, die zu einer umfassenderen Wahrnehmung des Erlebens – in welchem Kontext auch immer – führt. Zentrale Grundfertigkeiten sind das Zuhören sowie das Innehalten und Raumgeben.

  • Wie hören wir einander zu? Wie erlebe ich mich selbst beim Zuhören? Welche Qualität der Konversation kann daraus entstehen? (4 Ebenen des Zuhörens)
  • Wie verbinde ich mich mit dem Nicht-Wissen, um neue Antworten entstehen zu lassen? Wie nähre ich Pausen, in denen innere Suchprozesse ablaufen können?

Knapp 2 Monate nach dem zweitägigen Workshop fand ein virtuelles Follow-up-Treffen der Gruppe statt. Wir luden zu einem Zoom Call ein, der wiederum von Mery und mir moderiert wurde. Die Teilnehmenden erhielten hier Gelegenheit, sich über ihre Erfahrungen seit dem Workshop auszutauschen. Auch online arbeiteten wir mit Körperachtsamkeitsübungen, die von uns in der Moderation angeleitet wurden. Die Teilnehmenden berichteten davon, wie im Workshop angestossene Veränderungsprozesse und neu geknüpfte Beziehungen weitergegangen waren.

Mein Fazit: Die Methoden des Social Presencing Theater bringen auf einfache Weise Denk- und Verhaltensgewohnheiten in Bewegung. In komplexen Systemen können so mit wenig Zeitaufwand verborgene Informationen über die Funktionsweise der Systeme und die Ansatzpunkte für Veränderung erschlossen werden – wenn man den Mut hat, sich seiner Intuition zu stellen.


Andrea Chlopczik,  ist Beraterin und Dozentin am Zentrum Leadership, Coaching und Change des IAP Institut für Angewandte Psychologie. Elemente aus der Theorie U und dem Social Presencing Theater setzt sie in Coaching- und Beratungsmandaten, in den Weiterbildungskursen Emotionale Intelligenz 1 und 2 sowie in Kursen der CAS-Studiengänge Change Management und Beratung in der Praxis ein.

 


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert