Unternehmen stecken voller psychologischer Momente

Im neuen Buch «Die Psychologie des Unternehmertums» haben Beraterinnen und Berater des IAP ihr Wissen rund um psychologische Aspekte des Unternehmerlebens zusammengetragen. Über das kleine und kompakte Werk spricht Herausgeber Christoph Negri im Interview.

Von: Joy Bolli, Redaktorin, ZHAW Angewandte Psychologie

Christoph Negri, es gibt schon sehr viele Bücher über Unternehmertum. Warum haben Sie sich entschieden, noch eines über dieses Thema herauszugeben?
Das Buch ist der Auftakt einer neuen Buchreihe des IAP Institut für Angewandte Psychologie, die speziell auf Fach- und Führungskräfte ausgerichtet ist und jeweils nach unserer jährlichen Veranstaltung «IAP Impuls» erscheint. Jede Ausgabe lehnt sich thematisch an das Thema der vorhergegangenen Veranstaltung an und kann daher auch Themen beinhalten, über die schon einiges geschrieben wurde. Wir legen dabei aber den Schwerpunkt immer sehr bewusst auf die psychologische Perspektive und versuchen, möglichst die ganze Bandbreite an Aspekten abzudecken. So soll eine Buchreihe entstehen, die einerseits im Format klein und handlich bleibt, also auch leicht unterwegs gelesen werden kann, und andererseits ein Thema ganzheitlich erfasst und speziell aus dem psychologischen Blickwinkel betrachtet. Die letzte «IAP Impuls»-Veranstaltung hatte das Thema «Unternehmertum». Daher ist dies nun auch der Fokus dieses Buches. Im nächsten Buch wird es entsprechend des diesjährigen Anlasses um das Thema «Führen in der Arbeitswelt 4.0» gehen.

Das Buch «Psychologie des Unternehmertums» besteht aus einzelnen Essays, die sich aber in ihrer Art sehr stark unterscheiden. Warum haben Sie es nicht in einer spezifischen Textform verfasst?
Das haben wir sehr bewusst so gemacht. Einerseits, um der Behandlung der Themen gerecht zu werden und andererseits, um es auch für die verschiedenen Leserinnen und Leser spannend zu machen. Die einzelnen Texte sind jeweils von Expertinnen und Experten verfasst worden, die ihre Erfahrungen und Findings in die jeweils leserfreundlichste Form gebracht haben. Es finden sich daher Essays in Textform, klassische Fallbeispiele, wissenschaftliche Abhandlungen von Forschungsergebnissen, grafisch aufbereitete Theorietexte und Interviews mit Unternehmern. Alles ist dennoch sehr kurz gehalten, sodass man das Wissen sehr schnell extrahieren und sich in kurzer Zeit einen Überblick über das ganze Thema machen kann.

An wen genau richtet sich dieses Buch?
Die ganze Buchreihe wird speziell auf Fach- und Führungskräfte ausgerichtet sein. Egal ob Beraterinnen, Projektleiter, HR-Fachleute, Führungspersonen aus dem Bereich Bildung oder eben Manager und Entrepreneure. Beim aktuellen Buch ist es egal, ob man sich erst gedanklich mit dem Thema Firmengründung beschäftigt, oder ob man bereits mitten im Unternehmeralltag steckt. Es gibt für jede Phase des Unternehmens einen Artikel in diesem Buch, der interessant ist und auch die Perspektiven anderer Unternehmer miteinbringt. So kann man bereits davon profitieren, wenn man noch nicht einmal eine Firma hat. Denn die Geschichten der Unternehmer, die von dem berichten, was sie erlebt haben und wie sie mit den einzelnen Phasen, Abschnitten und auch Krisen umgegangen sind, geben einem einen gesunden Eindruck von dem, was auf einen zukommen kann. Unser Ziel ist es immer auch, auf die Gemeinsamkeiten hinzuweisen. Denn im Leben ist zwar jedes Problem einmalig und von der jeweiligen Situation abhängig. Doch die Gemeinsamkeiten der einzelnen Fälle machen es möglich, eine gemeinsame Basis herauszuarbeiten und für sich ein Rüstzeug zu entwickeln. Dies ist speziell wertvoll im Bereich Nachfolgeplanung, denn dazu gibt es bereits viele Bücher, die sich aber eher mit den wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen befassen. In diesem Buch geht es um die wesentlichen psychologischen Anteile, über die sowohl die übergebenden als auch die übernehmenden Unternehmer oftmals stolpern. Besonders intensiv wird das im Falle von Familienunternehmen, wo zwei Welten aufeinander prallen – die Familie und das Unternehmen. Da sind viele Emotionen enthalten, die Sorgfalt und Planung brauchen und ein spezielles Bewusstsein über die psychologischen Komponenten der übernehmenden und der übergebenden Parteien.

Gibt es dafür im Buch auch praktische Beispiele?
Es gibt mehrere Beispiele zum Thema aus verschiedenen Branchen, die alle sehr persönlich geschildert werden. So war zum Beispiel Christoph Zweifel zu Gast in unserer Podiumsdiskussion am «IAP Impuls». Er wuchs in einem der bekanntesten Unternehmen in der Schweiz auf, spürte das Unternehmen von klein auf, kannte es, wusste um seine Geschichte und um die Verantwortung, diesen Brand in die Zukunft zu führen. An unserer Veranstaltung – und nun auch in diesem Buch – schildert er eindrücklich, wie man seinen Weg im Familienunternehmen findet, auch wenn man nicht unbedingt in die Rolle des CEO hineingedrückt werden will. Es ist ein schönes Beispiel für bewusste Führungsverantwortung, die den Menschen in der Rolle sieht, die ihm am besten liegt, und in der er oder sie das Beste für sich und das Unternehmen herausholen kann.

Was erscheint Ihnen als Herausgeber das Interessanteste an diesem Buch?
Etwas vom Auffälligsten für mich, ist die Erwartung, die unbewusst in Familienunternehmen besteht. Selbst wenn man das zum Vorherein weiss, und auch wenn man noch darüber Gespräche führt, so ist da dennoch praktisch in jedem Familienunternehmen die Annahme, dass doch klar ist, dass jemand aus der Familie den Laden eines Tages übernimmt. Das ist eine Fehlannahme, die immer wieder vorkommt und die immer weniger der Realität entspricht, denn laut Studien schaffen 35% der Familienbetriebe den Sprung in die zweite Generation nicht. Es ist ein sehr psychologisches Phänomen, das mit Wahrnehmung zu tun hat: Wie wir denken, dass etwas zu sein hat. Da sind dann oft sehr viele Wünsche vorhanden, die man in das Ganze hinein projiziert. Diese Erwartung, diese Hoffnung spürt dann das Gegenüber, also in der Regel die Kinder. Doch deren Hoffnungen sind ganz andere. Und so geht der Wunsch, den man zusammen mit dem Unternehmen über Jahre genährt hat, mit der Realität nicht immer so selbstverständlich zusammen, wie man das oft einfach annimmt. Daraus erwachsen dann entsprechende Enttäuschungen und Reaktionen, die die Familien belasten. Das ist nicht nur in der Schweiz so, sondern auch in Deutschland, das, wie die Schweiz, ebenfalls ein von KMU geprägtes Land ist. Doch genau dieses grundpsychologische Problem der eigenen Annahme, müsste eigentlich kein Stolperstein sein, weil es für alle Parteien gute Wege gibt, wenn man sich nicht auf seine eigene Vision von der Zukunft fixiert. Dasselbe Problem findet sich auch in anderen Momenten. Zum Beispiel in der Übergabe der eigenen Führungsposition an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin. Manchmal kommen Fach- und Führungspersonen an einen Punkt, an dem sie eine langjährige Funktion abgeben, übergeben müssen. Und auch diese Momente können dramatisch sein. Das psychologische Problem des Abgebens ist immer dasselbe und könnte eigentlich sehr einfach gelöst werden, wenn gegenseitiger Respekt und die Kunst des offenen Zuhörens aktiv gelebt wird. Wir hoffen, dass dieses Buch die Betroffenen – in welcher Phase sie auch gerade sind – in diesen Momenten unterstützt und konstruktive Hilfestellung leistet.


Christoph Negri leitet das IAP Institut für Angewandte Psychologie. Er arbeitet als Dozent, hält Beratungsmandate für verschiedene Profit- und Non-Profit-Organisationen inne und berät diverse Schweizer Spitzensportlerinnen und Spitzensportler. Seit 2015 führt er am IAP verstärkt neue Entwicklungen im Bereich Lernen und Lehren ein und treibt den digitalen Wandel in Weiterbildung und Dienstleistung voran.


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