Psychische Probleme am Arbeitsplatz – darüber reden wir (nicht)?

Das Thema Psychische Gesundheit und Arbeit ist aktuell und bewegt. Für Betroffene stellt sich die Frage, inwieweit sie ihre Probleme am Arbeitsplatz offenlegen können. Führungspersonen sind oft unsicher, wie sie mit den Problemen ihrer Mitarbeitenden umgehen sollen. In der Veranstaltungsreihe «Fokus z’Mittag» ging der Psychologe Niklas Baer auf die Ängste und Bedürfnisse der Beteiligten ein. Er zeigte sinnvolle Unterstützungsmöglichkeiten und deren Grenzen auf.

Von Maria Sorgo, wissenschaftliche Assistentin und Psychologiestudentin am Departement Angewandte Psychologie der ZHAW

«Würde ich an meinem Arbeitsplatz offen über meine psychische Krise sprechen oder wäre die Befürchtung vor negativen Reaktionen zu gross?», fragte ich mich im Vorfeld der Veranstaltung Fokus z’Mittags zum Thema «Psychische Probleme am Arbeitsplatz – darüber reden wir (nicht)». Während meiner Arbeit als Pflegefachfrau auf verschiedenen psychiatrischen Stationen habe ich erlebt, dass der Einbezug von Vorgesetzten bei der Bewältigung akuter Krisen und vor allem bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz oft hilfreich und wichtig war. War das Arbeitsumfeld informiert, konnten Sorgen und Ängste im Vorfeld angesprochen und Schwierigkeiten bei der Rückkehr besser abgefangen werden. Gleichzeitig war die Sorge vor negativen Reaktionen bei den Betroffenen oft gross. Viele hatten in früheren Situationen negative Erfahrungen gemacht, wenn sie offen und ehrlich über die Schwierigkeiten berichtet hatten. Nicht selten hatten sie deswegen bereits einen Job verloren.

Psychische Störungen sind ein Tabu-Thema
Das grosse Interesse am Thema zeigte sich bereits vor der Veranstaltung. Der Raum füllte sich früh mit Studierenden und Mitarbeitenden, schnell mussten weitere Stühle her. Der Referent, Dr. phil. Niklas Baer, Leiter der Fachstelle für Psychiatrische Rehabilitation der Psychiatrie Baselland, beschrieb zum Einstieg anschaulich die aktuelle Situation rund um die psychische Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung in der Schweiz: Ein Viertel der Schweizer Bevölkerung erkrankt im Verlauf eines Jahres an einer psychischen Störung. Jede zweite Person leidet einmal in ihrem Leben an einer psychischen Krankheit. Ein grosser Teil der Betroffenen steht aktiv im Berufsleben. Das zeigt, welch grosse Bedeutung die psychische Gesundheit für die Arbeitswelt hat. Doch obwohl psychische Störungen zu den häufigsten Krankheiten überhaupt zählen, werden sie insbesondere im Arbeitsalltag weitgehend tabuisiert.

Voller Hörsaal
Grosser Andrang von Studierenden und Mitarbeitenden: Der Saal war so voll, dass mehr Stühle hereingebracht werden mussten.

Führungspersonen brauchen Unterstützung
Mit Daten aus verschiedenen Befragungen von Arbeitgebenden ging Niklas Baer auf deren Situation, sowie auf die Auswirkungen auf die betroffenen Teams ein. Anschaulich beschrieb er die Wünsche und Forderungen, aber auch die Ängste und Unsicherheiten der Führungspersonen in Bezug auf psychische Probleme ihrer Mitarbeitenden. Und damit wird auch gleich das erste Dilemma deutlich: Vorgesetzte wollen über psychische Probleme ihrer Mitarbeitenden informiert sein, gleichzeitig möchten sie niemanden mit einer bekannten psychischen Erkrankung einstellen. Da scheint es verständlich, dass Betroffene am Arbeitsplatz oft so wenig wie möglich über ihre Probleme sprechen. Waren meine Eingangsfragen also nach wenigen Minuten schon geklärt? Nein, so einfach ist es doch nicht. Der persönliche Bezug zu Menschen mit psychischen Problemen spielt eine entscheidende Rolle. Je mehr Personen mit psychischen Störungen im eigenen Umfeld bekannt sind, desto mehr sinkt die Hemmschwelle, betroffene Personen anzustellen. Gerade weil Personen mit psychischen Krankheiten weiterhin stark stigmatisiert werden, ist die persönliche Erfahrung im Umgang mit Betroffenen umso wichtiger. 9 von 10 befragten Arbeitgebenden gaben an, dass sie es bereits mit betroffenen Mitarbeitenden zu tun hatten. Das Thema einfach auszuklammern ist daher sicher keine Lösung. Der Leidensdruck ist nicht nur bei den Betroffenen gross, auch Vorgesetzte und Teamkolleginnen und -kollegen sind davon betroffen. Und da zeigt sich schon die nächste Schwierigkeit: Führungspersonen brauchen in solchen Situationen selber Unterstützung und Beratung. Gleichzeitig haben in der Schweiz nur wenige Unternehmen intern oder extern Kontakt zu psychologischen Fachpersonen. Die Interventionen der Vorgesetzten sind daher oft wenig zielgerichtet und beginnen erst, wenn die Schwierigkeiten bereits zu einer grossen Belastung geworden sind. Zwar gaben 50 Prozent der befragten Führungspersonen an, sie hätten das Problem schlussendlich lösen können, allerdings bestand die Lösung in der Hälfte, also in 25 Prozent der Fälle, in der Auflösung des Arbeitsverhältnisses.

Entscheidend ist die Unternehmenskultur
Also was tun? Diese Frage stellte Niklas Baer am Ende seines Referats direkt dem Publikum. Sollten Betroffene offen über ihre Probleme sprechen oder ist es doch besser, wenn immer möglich, darüber zu schweigen? Die Antwort fiel auch nach dem informativen Vortrag niemandem leicht. Und auch der Referent hatte keine abschliessende Antwort bereit. Aus seinem Fazit wurde jedoch deutlich, dass im Einzelfall eine möglichst nachhaltige Lösung für alle Beteiligten anzustreben ist. Ist absehbar, dass die psychischen Probleme die Arbeit und die Arbeitsbeziehungen über längere Zeit und wiederholt beeinträchtigen können, so ist Offenheit wahrscheinlich besser. Gleichzeitig nimmt dies Unternehmen in die Pflicht, denn nur eine Unternehmenskultur, welche die nötige Offenheit und Anerkennung der Unterschiedlichkeit von Mitarbeitenden zulässt, ermöglicht es allen Beteiligten, die Schwierigkeiten offen und konstruktiv anzugehen. Dazu gehört auch, dass Unternehmen Beratungsmöglichkeiten schaffen, wo sich insbesondere Führungspersonen Unterstützung im Umgang mit schwierigen Situationen holen können.

Mit diesen Erkenntnissen verliess ich die Veranstaltung. Abschliessende Antworten auf meine Fragen habe ich nicht bekommen, dafür viele neue Anregungen um weiterzudenken und zu diskutieren. Und ich bin sicher, dass ich nicht die Einzige bin.

Zur Autorin
Maria Sorgo, ist seit 2015 wissenschaftliche Assistentin der Stabstelle Higher Education Management des Departements Angewandte Psychologie der ZHAW. Sie studiert im Masterstudiengang Psychologie an der ZHAW und war zuvor bereits viele Jahre als Psychiatriepflegefachfrau tätig.


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