In Familienunternehmen treffen zwei Welten aufeinander: die Familie und das Unternehmen. Die Gleichzeitigkeit familiärer und unternehmerischer Regeln macht die Interaktion und Kommunikation in Phasen von Veränderungen konfliktanfällig – so auch bei der Unternehmensnachfolge.-Für einen erfolgreichen Nachfolgeprozess sind gemeinsame Grundsätze im Umgang miteinander zentral, um die Nahtstelle zwischen Familie und Unternehmen zu stärken. Auch Klarheit über die jeweiligen Bedürfnisse und denkbare Szenarien im Nachfolgeprozess sind wichtige Grundlagen für ein erfolgreiches Gelingen.
von Ladina Schmidt, Beraterin und Dozentin am IAP Institut für Angewandte Psychologie, Zürich
Über Jahrhunderte hinweg galt die Familie als ökonomische Institution. Sie war für die Mitglieder Arbeits- und Wohnort zugleich, definierte klare Verhaltensmuster, übte soziale Kontrolle aus und erbrachte wichtige gesellschaftliche Leistungen. Mitte des 19. Jahrhunderts war die Familie praktisch alleine zuständig für die Bereitstellung der Nahrung und des Wohnraumes, die Erziehung, die Krankenpflege, den Vermögensaufbau und -erhalt sowie die Altersvorsorge. Im Laufe der Zeit wurden viele dieser Aufgaben zu grossen Teilen an wirtschaftliche oder gesellschaftliche Institutionen delegiert. In der Folge entwickelten sich die Funktionen von Familie und Unternehmen immer stärker auseinander.
Wenn die Grenzen verschwimmen
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts können Familien und Unternehmen als zwei verschiedene soziale Systeme oder Welten betrachtet werden, in denen unterschiedliche Regeln gelten. Diese Regeln passen nicht immer zusammen und schliessen sich teilweise sogar aus. In Familien stehen Personen, ihre Beziehungen, Emotionen, Bedürfnisse und langfristigen Entwicklungsprozesse im Vordergrund. Bei der Unternehmensführung hingegen stehen Aspekte wie formale Funktionserfüllung, Einhaltung von Arbeitsabläufen und Wirtschaftlichkeit im Vordergrund.
Zentrale Unterschiede der zwei Welten «Familie» und «Unternehmen»
Im Familienunternehmen verschwimmen die Grenzen dieser beiden Welten. Es kommt häufig zu einer Vermischung der Rollen und Verantwortlichkeiten, weil familiäre und unternehmerische Regeln gleichzeitig ins Spiel kommen und die personelle Identität von Familienmitgliedern und Mitarbeitenden sich decken. Dies ist für alle Beteiligten sehr anspruchsvoll und macht die Kommunikation und Entscheidungsfindung häufig konflikt- und paradoxieanfälliger.
Zwischen Dankbarkeit und Vorwurf
Die enge Kopplung und die daraus resultierende parallele Entwicklung von Familie und Unternehmen wirken auf die Familiendynamik, welche wiederum Einfluss auf die Dynamik des Unternehmens nehmen kann.
Konkurrenz- und Schuldgefühle
Kinder in Unternehmerfamilien erleben das Unternehmen oft als Konkurrenz bezüglich der elterlichen Liebe und Aufmerksamkeit. Dies führt häufig zu einer ambivalenten Beziehung gegenüber dem Unternehmen. Die Kinder distanzieren sich entweder, oder sie bemühen sich umso mehr eine Tätigkeit innerhalb der Firma zu erlangen, um so Anerkennung, Beachtung und eine tragende Rolle in der Familie zu finden. Eltern ihrerseits haben manchmal das Gefühl, ihren Kindern nicht genügend Zeit widmen zu können und reagieren mit offenen oder verdeckten Schuldgefühlen. Als mögliche Folge «entschädigen» Eltern ihre Kinder dann materiell und deklarieren ihr berufliches Engagement als Zeichen des Familiensinns, im Sinne von «wir tun das alles nur für unsere Kinder». Dies bringt die Kinder wiederum in eine Zwickmühle und lässt sie zwischen Dankbarkeit und Vorwurfshaltung schwanken.
Doppelbindungssituation
Unternehmerpersönlichkeiten der abgebenden Generation zeichnen sich gemäss Studien häufig durch Streben nach Unabhängigkeit und Macht, Lust am Gestalten und Entscheiden sowie einem patriarchalen Führungsstil aus. Sie erwarten von ihren Kindern einerseits Unterordnung und Bewunderung, andererseits sehen sie sich selbst als «Erfolgsmodell» und wünschen sich, dass ihre Kinder ihnen und ihrem Stil nachfolgen. Dies bringt die Kinder in die sogenannte Doppelbindungssituation: unterwerfen sie sich, übernehmen sie eine schwache Position und verlieren Respekt und Glaubwürdigkeit. Entwickeln sie sich zu eigenständigen Unternehmerpersönlichkeiten, werden sie zu Konkurrenten, die das Bestehende verändern könnten. Konflikte sind im bestehenden Gefüge somit vorprogrammiert.
In elterlicher Delegation
In Unternehmerfamilien stehen der Wunsch und die Hoffnung, dass das Geschäft von der nächsten Generation weitergeführt wird, fast immer explizit oder implizit im Raum. Während der gesamten Entwicklung haben die Kinder miterlebt, wie sinnstiftend das Unternehmen für die Familie und vor allem für ihre Eltern ist. Mit ihrer Berufswahl werden sie gezwungen, über den Fortbestand des Familienunternehmens und damit des ganzen Lebenssinnes ihrer Eltern zu entscheiden. Dieses Dilemma kann zu einer Parentifizierung der Kinder führen, d.h. die Kinder fällen ihre eigenen Lebensentscheide aus Motiven, die für ihre Eltern wichtig sind, quasi in elterlicher Delegation. Das muss natürlich nicht immer zwingend so sein. Doch braucht die Abgrenzung gegenüber den Erwartungen und Hoffnungen der Eltern einen besonderen psychischen Aufwand, was eine eigenständige Identitätsentwicklung umso nötiger macht.
Familienunternehmen – nach wie vor ein Erfolgsmodell?
Trotz Veränderungen in der Wirtschaft und Gesellschaft und der tendenziell sinkenden familieninternen Nachfolgeregelungen werden Familienunternehmen weiterhin das Bild der Schweizer KMU-Landschaft prägen. Was Familienunternehmen auch in Zukunft zu attraktiven Arbeitgebern und gefragten Geschäftspartnern macht, sind ihr langfristiger Fokus, die starke Qualitätsorientierung, die mitarbeiterfreundliche Unternehmenskultur sowie die Bedeutung nachhaltiger Geschäftsführung.
Familiäre Beziehungen mit ihren vielfältigen Verletzlichkeiten bieten jedoch ein erhebliches Konfliktpotenzial, welches jederzeit auch auf das Unternehmen überschwappen und es im Fortbestand bedrohen kann. Damit dies möglichst nicht passiert, sollten bestimmte Grundsätze im Zusammenspiel von Familie und Unternehmen berücksichtigt werden. Dazu gehören unter anderem zum Beispiel:
- Förderung von Kommunikations- und Konfliktfähigkeit
- Aktive Pflege des Zusammenhalts
- Trennung der Interessen von Familie und Unternehmen
- Transparenz schaffen
- Unterschiedliche Wertauffassungen erkennen und akzeptieren
Insbesondere in Veränderungsprozessen wie der Nachfolgeregelung ist es wichtig, alle Interessen zu klären: Die des Unternehmens im sich verändernden Markt, die des übergebenden Unternehmers, resp. der Unternehmerin und nicht zuletzt auch die Interessen der anderen beteiligten Familienmitglieder. Erfahrungsgemäss braucht ein solcher Prozess viel Zeit, und es gibt in der Regel nicht die eine einzige Lösung. Es ist jedoch bereits schon viel gewonnen, wenn es den Beteiligten gelingt, offen über neue Wege zu reden, in verschiedenen Szenarien zu denken und sich der eigenen Aufgaben bewusst zu sein.
Aufgaben des/der übergebenden Unternehmers/Unternehmerin
- Kinder in ihrer eigenständigen Entwicklung fördern
- Frühzeitiges Thematisieren der Nachfolgeregelung
- Anforderungs- und Kompetenzprofil für die Unternehmensführung klar definieren
- Aufbau und Förderung des gewünschten Nachfolgers oder der gewünschten Nachfolgerin
- Alternativen prüfen (auch externe) und verschiedene Szenarien entwickeln
- Mentoring-Programm konzipieren
Aufgaben des/der Nachfolgers/Nachfolgerin in der Familie
- Berufswahl: persönliche Möglichkeiten, Interessen und Neigungen ehrlich prüfen
- Unabhängigkeit und Eigenständigkeit entwickeln
- Selbst- und Sozialkompetenz fördern
- Externe Qualifikationen und Erfahrungen sammeln
- Nachfolgeregelung (falls nötig) von sich aus frühzeitig ansprechen
Erwartungen und Wünsche sollten transparent gemacht, unterschiedliche Ziele und Sichtweisen akzeptiert werden. Denn nur gemeinsam können nachhaltige Lösungen gefunden werden, die der Familie und dem Unternehmen langfristig dienen.
Ladina Schmidt Boner ist Dipl. Psychologin FH mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie. Vor ihrem Studium arbeitete sie zehn Jahre als Beraterin und Projektleiterin für öffentliche und private Institutionen im Bereich Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Heute ist sie als Dozentin und Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW tätig. Sie begleitet Gruppen und Einzelpersonen in ihrer Berufs-, Studien- und Laufbahnplanung, leitet Weiterbildungskurse zum Thema „Standortbestimmung und Laufbahnentwicklung“ und berät Organisationen zum Thema Nachfolgeregelung. Ladina Schmidt Boner ist Mitglied des Schweizerischen Berufsverbandes für Angewandte Psychologie (SBAP) sowie des Berufsverbandes für Coaching, Supervision und Organisationsberatung (BSO).
Am 8. November 2016 referiert Ladina Schmidt Boner am “Unternehmer-Zvieri” im Toni-Areal über Psychologische Aspekte der Unternehmensnachfolge.