Patch Adams ist Arzt und Clown. Durch seine Organisation «The Gesundheit! Institute» beweist er täglich, dass Heilung mit Nähe zu tun hat und Medizin mit menschlicher Begegnung besser funktioniert. Ich durfte eine Woche lang mit ihm arbeiten – auf Clown-Tour in den Krankenhäusern Guatemalas.
Von Lisa Strautmann, Bachelor-Absolventin, ZHAW Angewandte Psychologie
«Con la musica no dolor!» – Mit der Musik keine Schmerzen. Dieses mich zutiefst berührende Kompliment machte mir Casper, ein Mitte dreissigjähriger Guatemalteke, an dessen Bett ich mit meiner Ukulele spielend in meinem Clownskostüm stand. Er lag im grössten Krebskrankenhaus Guatemala Cities. Völlig abgemagert, und seinen Handzeichen zufolge kämpfte er gegen einen Tumor im Bauchraum um sein Leben. Obwohl Casper mit seinem mageren Erscheinungsbild nur noch wie ein Persönchen wirkte und kaum noch Energie zu haben schien, änderten sich seine teilnahmslosen Gesichtszüge mit den sanften Klängen der Musik und meinem farbenfrohen, rotnasigen Auftreten schlagartig. Wie eine Blume, die nach langer zehrender Dürre den ersten Regenschauer spürt und wieder aufblüht, so begannen seine Augen zu strahlen und seine Lippen sich zu einem breiten Grinsen zu formen. Es schien, als wenn er das erste Mal seit langem in diesem gemeinsamen Augenblick Ängste und Schmerzen vergessen konnte und frei war. Dieser Moment war es, in dem mir bewusst wurde, wie simpel und universal die beste Medizin häufig sein kann und dass jeder dazu in der Lage ist, diese zu verteilen.

Meine Reise begann am 12. März 2016. Ich hatte gerade mein Auslandsemester in Toronto abgeschlossen und stieg in den Flieger nach Guatemala City, um dort gemeinsam mit Patch Adams und 19 weiteren Clowns aus sieben verschiedenen Ländern eine Woche lang Waisenhäuser, Krankenhäuser und Psychiatrien zu besuchen und diese mit Lebensmut, Mitgefühl und Freude zu erfüllen. Grund für diese Reise war die Neugier, die Lust auf Krankenhausclownerie und meine Bachelorarbeit, die ich über «Clownerie als nonverbale Sprache in der Trauma-Therapie mit Flüchtlingskindern» schrieb. Auf dieser Reise wollte ich Interviews dafür führen.
Patch Adams, mittlerweile 71 Jahre alt und seit über vierzig Jahren aktiv, lebt noch immer in Amerika. Er bezeichnet sich selbst als sozialer Aktivist für Frieden und Gerechtigkeit und sieht Nächstenliebe als den wichtigsten, aber gleichzeitig auch am meisten schwindenden Bestandteil unseres sozialen Systems an. Mit über 35’000 Büchern im Regal ist er unglaublich belesen. Sein unermüdliches Engagement, sein Mut und Wille für mehr Nächstenliebe in unserer Gesellschaft zu kämpfen, hat auch Hollywood beeindruckt. 1998 wurde deshalb sein Leben im gleichnamigen Film «Patch Adams» inszeniert (in der Hauptrolle Robin Williams als Patch) und weltweit auf die Leinwände der Kinos gebracht. Dank dieses Filmes errang Patch Adams enorme Aufmerksamkeit. Menschen aus aller Welt begannen, ihm Briefe zu schreiben, in denen sie darüber berichteten, wie der Film – und damit sein Leben – sie dazu bewegt habe, Medizin zu studieren. Andere Menschen schreiben ihm ihre Sorgen, Ängste und Wünsche, weil sie jemanden suchen, dem sie sich mitteilen können. Obwohl Patch Adams nur auf postalischem Wege erreichbar ist, verspricht er auf seiner Webseite, jeden einzelnen Brief, den er bekommt, persönlich und handschriftlich zu beantworten. Und er hält sein Versprechen. Ich selbst musste nie länger als zwei Wochen auf eine Antwort aus Amerika warten.

Das Geheimnis liegt in der Verbindung
Die Menschenkenntnis, die Patch durch die kontinuierliche soziale Interaktion auf persönlicher oder schriftlicher Ebene entwickelt hat, und sein Wissen aufgrund der zigtausend gelesenen Bücher sind beeindruckend. Auf der gesamten Reise hat er uns Clowns, sowie Patienten, Kinder, Krankenschwestern und auch die Ärzte aus der Reserve gelockt und zu Dingen bewegt, die wir vermutlich aus eigenen Stücken nicht getan hätten. Dabei ging es ihm vor allem darum, die inneren Barrieren abzubauen und auf sanfte, rücksichtsvolle Weise Routinen und Regeln der Institution – aber auch der eigenen Person –zu durchbrechen, um so das Krankenhaus für eineinhalb Stunden von einem Ort des Leids in ein Haus voller Nähe und Fröhlichkeit zu verwandeln. Schon vor der Reise waren mir viele Gedanken der Unsicherheit durch den Kopf gegangen. Würde ich in der Lage sein, Leid und Armut mit Fröhlichkeit, Liebe und Zuneigung zu begegnen? Würde mich die Aussichtslosigkeit des Leidensweges kranker Menschen nicht bedrücken oder gar blockieren? Doch dann begegnete ich Casper im Krebskrankenhaus von Guatemala City, und ich spürte sofort, wie ein solch intensiver, geteilter Moment auf beiden Seiten alles Belastende und Erdrückende verblassen lässt und die daraus entstandenen Erinnerungen neue Kräfte fördern. Das Geheimnis, so erklärte uns Patch, liege in der Verbindung, die zwischen den Menschen entsteht. Durch die Musik, die rote Nase, das Handhalten, die ausgetauschten Blicke und natürlich das Lächeln. Kein Medikament der Welt hätte Casper oder mir diese Erinnerungen schenken können. Immer wenn ich daran zurück denke, spüre ich, wie sehr dieser Moment auch mich selbst positiv geprägt hat.

Eine Begegnung auf Augenhöhe
Entgegen der Annahme vieler Menschen ist ein Clown nicht eine Figur, deren oberstes Ziel das Gelächter der Mitmenschen ist. Im Gegenteil: Für schwer kranke Menschen kann Lachen körperlich schmerzhaft sein. Im Bereich der Krankenhaus- und der humanitären Clownerie geht es deshalb mehr um die Anpassungsfähigkeit des Clowns und die Bereitschaft, das zu sein, was das Gegenüber in diesem Moment braucht. «See what only you can see. See what others choose not to see», ermutigte uns Patch immer wieder. Und so ging es in all unseren Begegnungen um Bescheidenheit, darum, nicht die eigenen schauspielerischen Bedürfnisse als Clown zu befriedigen, sondern wahrzunehmen, was das Gegenüber braucht, um einen Moment lang glücklich zu sein und sich geborgen zu fühlen. Ein Krankenhaus-Clown versucht also, dem Gegenüber das zu geben, was diesem fehlt. Bei unseren Besuchen war das sehr häufig reine Präsenz, ungeteilte Aufmerksamkeit, ehrliche Zuneigung, menschliche Liebe oder Musik. Ein anderes Mal brauchte es ein gemeinsames Gebet, einen Tanz oder aber Slapstick, um die Menschen «abzuholen» und ihnen Lebensmut und Freude zu übermitteln. Egal ob Muslim, Christ, Buddhist oder Hindu, egal ob Bauchtanz, Tollpatschigkeit oder eine Geschichte: Ein Clown ist wie ein «Chamäleon der Herzen». Abhängig von der Energie im Raum ist es immer ein spontanes, kreatives Spiel.


Das einzige Ziel des Besuches ist, eine menschliche Verbindung mit dem Gegenüber aufzubauen und sich selbst völlig auf diese Verbindung einzulassen, sich vom Moment treiben zu lassen und diesen wertungsfrei zu geniessen. Diese Art der Begegnung, nennt Patch Adams «the connection». Es ist der Moment, in dem der Patient unabhängig von seiner Krankheit das Gefühl hat, einem neuen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, wert geschätzt und gehört zu werden. Dies ist keine Begegnung zwischen Patient und Arzt. Keine Begegnung zwischen Patient und sorgenvoller Familie. Es ist eine Begegnung wie unter Freunden, eine Begegnung, in der die Patienten daran erinnert werden, nicht nur Patienten, sondern vollwertige Menschen zu sein.


Eine Verbindung, die keine Worte braucht
Wir Clowns wuchsen schnell zu einer Familie zusammen, und durch die vielen gemeinsam erlebten, intensiven Momente war das Miteinander schon nach kurzer Zeit auf einer sehr vertrauten Ebene. Unabhängig von Alter, Herkunftsland oder Geschlecht haben wir uns alle irgendwie «nur» als Clowns gesehen. Ich habe in dieser einen Woche so viel gelacht, gesungen, getanzt und auch geweint, wie es mehr nicht hätte möglich sein können.


Die gemeinsamen Supervisionsrunden nach den Clownsbesuchen brachten zudem schnell eine gewisse Tiefe in unsere Gespräche. Wir unterhielten uns nicht nur über die Interaktionen während der Besuche, sondern auch über unsere persönlichen Bedürfnisse, unsere Ängste, Wünsche und Träume. Innerhalb der Gruppe war so viel Ehrlichkeit, Menschlichkeit und Herzlichkeit möglich, dass ich, wie Patch, begann, unser Gesundheits- und Bildungssystem sowie die Strukturen vieler Firmen in Frage zu stellen. Viel zu häufig sind es Zahlen, die als Indikatoren für den Erfolg oder Misserfolg eines Projektes (oder einer medizinischen Behandlung) gesehen werden. Die menschliche Verbindung und die damit verbundene Kraft, die in unseren Besuchen entstand, kann man wissenschaftlich nicht messen. Dennoch ist der Erfolg auch für Mediziner sofort sichtbar.

Ich begann mich zu fragen, ob unsere Gesellschaft, sich an den richtigen Werten ausrichtet und die richtigen Erfolge misst, oder eben nur die messbaren Fortschritte zu Erfolgen erklärt. Sind zum Beispiel Menschlichkeit, Respekt und Mitgefühl nicht ebenso wichtig am Arbeitsplatz wie Leistung und Präsenzstunden? Würden wir nicht alle besser «performen», wenn Aspekte wie Bescheidenheit, Ehrlichkeit und natürlich Humor auch am Arbeitsplatz zum Tragen kämen? Würden Mitarbeitende dann nicht viel lieber bleiben anstatt sich umzuorientieren? Dasselbe gilt für die Partnerwahl, für Freundschaften und für das Zusammenleben in der Familie: Überall sind Liebe, Respekt Mitgefühl – und nicht zuletzt Humor – essentiell für unser Wohlbefinden, für das Gefühl von Geborgenheit und für eine gesunde persönliche Entwicklung. Retrospektiv machten die Zeit mit Patch Adams und die Arbeit als Clown diese Reise zu einem der lehrreichsten und intensivsten Abenteuer meines bisherigen Lebens. Ich habe gelernt, mit den Augen zuzuhören und mit dem Herzen zu verstehen. Und ich habe täglich erleben dürfen, dass eine zwischenmenschliche «Connection» nicht durch Worte, sondern auf nonverbaler Ebene entsteht. Viel zu häufig verstecken wir uns hinter Gesagtem. Dabei erzählen wir das Meiste ohne ein einziges Wort.
Über die Autorin
Lisa Strautmann hat ihr Bachelorstudium der Angewandten Psychologie mit der Arbeit über Clownerie als nonverbale Sprache in der Trauma-Therapie mit Flüchtlingskindern im Sommer 2016 abgeschlossen. Während der Vor- und Nachbereitungen der Clownsreise und der Bachelorarbeit wuchs Lisas Interesse für Schauspiel. Ihr Ziel ist es, Schauspielkunst und Psychologie miteinander zu kombinieren und mit kreativen Therapieformen für die Heilung und Steigerung des Wohlbefindens von Menschen einzusetzen. Seit ihrer Reise mit Patch Adams setzt sie sich für das Backyard School Project San Bartolome in Guatemala ein und sammelt Spenden für den Aufbau und den Unterhalt des Kinderhauses.