Gespräche mit Jugendlichen werden oft als besondere Herausforderung erlebt. Jetzt ist ein neues Buch erschienen, das die Wirkfaktoren in der therapeutischen Arbeit mit Jugendlichen beleuchtet und Fachpersonen dabei unterstützt, Jugendliche zu stärken und ihre Motivation zur Veränderung zu wecken.
Die Pubertät ist schwierig. Das weiss jeder, der seine eigene Jugend nicht ganz vergessen hat. Da ist die Abgrenzung von den Eltern, die Nerven kostet, das Erwachen unbekannter Gefühle, das unsicher macht, der Schulübergang in die Mittelstufe, der geschafft werden muss. Man muss neue Freundschaften aufbauen, weil sich die Wege durch neue Klassenverteilungen manchmal trennen. Und was, wenn dann noch die Scheidung der Eltern dazu kommt und sich die Loyalität innerhalb der eigenen Familie zur Zerreissprobe entwickelt? Was wenn die beste Freundin sich den Ex-Freund angelt und man nicht nur das Vertrauen in das andere Geschlecht, sondern auch die Basis von Freundschaft in Frage stellen muss? Wie entwickelt man ein Gefühl für die eigene Identität, wenn man von allen Seiten hört, man sei zu dick, die Noten zu schlecht und die Leistungsbereitschaft immer ein wenig unter dem, was Lehrer, Eltern, Trainer und Freunde erwarten?
Unsicherheit und Unfreiwilligkeit
Das Jugendalter ist in vielerlei Hinsicht eine besondere Entwicklungsphase. Selten greifen die Veränderungen im späteren Leben so stark und in so kurzen zeitlichen Abständen von innen und aussen in das Leben ein. Die Anforderungen und die Erwartungen sind hoch: Man muss mit den Veränderungen zurechtkommen, sich dem Leben und der Gesellschaft anpassen und sich gleichzeitig inmitten der Adaptionsphase von den Eltern emanzipieren und die eigene Persönlichkeit entwickeln. Da fällt es nicht schwer zu verstehen, dass Jugendliche manchmal verunsichert sind. Verunsicherung ist oft der Anlass für Beratungen. Auch bei Erwachsenen. Was die Sache für die Arbeit mit Jugendlichen schwierig macht, ist, dass Jugendliche meist nicht von selbst in die Beratung oder die Therapie kommen. Viele wissen nicht einmal, dass so eine «Dienstleistung» zur Verfügung steht. Meist wird der Erstkontakt mit einem Therapeuten oder einer Beraterin deshalb von anderen initiiert. Ein Schulvertreter rät zu diesem Schritt oder die Eltern schicken ihren Sohn oder ihre Tochter zur Therapie, weil sie selbst verunsichert sind und die Situation nicht mehr bewältigen können. Der erste Kontakt ist daher aus Sicht der Jugendlichen meist unfreiwillig. Das macht die therapeutische Arbeit besonders schwierig, weil die Motivation, sich zu verändern, nicht vorausgesetzt werden kann.
Ohne Motivation keine Bewegung
Motivation (von lat. movere = bewegen) ist aber genau die Kraft, die es zur Veränderung braucht. Hier setzt das Buch «Jugendliche stärken» an. Die Autoren gehen dabei der Frage nach, wie sich die allgemeinen Wirkfaktoren der Psychotherapie auf die Beratung von Jugendlichen übertragen lassen. Drei Aspekte erhalten dabei besondere Aufmerksamkeit: Die therapeutische Beziehung, die Motivation und die Umsetzung von Lösungsschritten, die von allen beteiligten Personen (also von Jugendlichen, Eltern, Beratenden etc.) akzeptiert und als sinnvoll erachtet werden.
Das Buch basiert auf den neusten Erkenntnissen der Psychotherapieforschung, welche die Bedeutung allgemeiner Wirkfaktoren für den Therapieerfolg betonen. Aus dieser Perspektive rücken übergreifende Aspekte in der Therapie und der Beratung in den Vordergrund, die unabhängig von den gängigen Therapieschulen sind. Die therapeutische Beziehung sowie die Motivation sind dabei wesentliche Wirkfaktoren. Wichtiger noch als Techniken und Methoden. Diese Idee ist nicht neu. Schon Saul Rosenzweig beschrieb 1936 die Bedeutung der allgemeinen Wirkfaktoren und die Wichtigkeit von Vertrauen für den Erfolg. Der amerikanische Psychotherapieforscher Bruce E. Wampold und sein Team haben dies in ihrer Forschung 2011 bestätigt und ein «Kontextmodell» für die Psychotherapie erarbeitet. In diesem Modell beschreiben er und sein Team drei zentrale Komponenten, die Vertrauen und Verständnis als Grundlage voraussetzen. Für die Arbeit mit Jugendlichen haben die Buchautoren Imke Knafla, Marcel Schär und Christoph Steinebach dieses Kontextmodell nun spezifisch auf die Arbeit mit Jugendlichen und die anfangs oft fehlende Motivation zur Zusammenarbeit angewendet.
Vertrauen, Verständnis und Expertise bilden auch nach ihrem Modell die Basis der Zusammenarbeit. Doch um das nötige Vertrauen überhaupt aufbauen zu können, setzen die Autoren bei einem Grundbedürfnis an, das allen Menschen von Geburt an gemeinsam ist: Das Bedürfnis, eine Bindung aufzubauen. Menschen wollen in Beziehung treten. Sei es mit anderen Menschen oder generell mit ihrer Umwelt. Mit praktischen Tipps aus dem Therapiealltag zeigen Knafla, Schär und Steinebach auf, wie man Jugendliche dazu motivieren kann, in Bewegung zu kommen.
Von der Theorie in die Praxis
Wenn die Motivation der Jugendlichen erst einmal geweckt ist, kann ihrer Energie eine Richtung gegeben werden. Eigentlich eine einfache Idee: In die Gänge kommen und vorwärts gehen. Hier kommt der dritte Wirkfaktor neben der Beziehung und der Motivation zum Tragen: Die Umsetzung der Beratungsziele. In der Anpassung des Modells heisst dieses Ziel «ins Handeln kommen». Knafla, Schär und Steinebach setzen auf die Eigenwirksamkeit der Jugendlichen und darauf, sie zu befähigen, ihr Leben in die Hand zu nehmen und zu verändern. Das Buch beschreibt Fallgruben in der Arbeit mit Jugendlichen, gibt nützliche Tipps für schwierige Situationen und erklärt praxisbezogene Übungen, die man in der Arbeit mit Jugendlichen einsetzen kann. Die einfache verständliche Sprache und die anschaulichen Metaphern helfen, Konzepte, Modelle und Anschauungen zu verstehen. Das macht dieses Buch nicht nur für Therapeuten interessant, sondern für alle Menschen, die mit Jugendlichen arbeiten, und deren Ziel es ist, Jugendliche zu stärken.
Das Buch «Jugendliche stärken – Wirkfaktoren in Beratung und Therapie» ist im August 2016 im Belz-Verlag erschienen.
Die Autoren des Buches:
Dr. Imke Knafla war nach ihrem Psychologiestudium an der Universität Trier als Assistentin am Psychologischen Institut der Universität Zürich tätig. Dort promovierte sie im Bereich der Verhaltensmedizin. Im Anschluss bildete sie sich parallel zu ihrer Tätigkeit als Weiterbildungskoordinatorin an der Universität Bern als eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin aus. Nach mehrjähriger psychotherapeutischer Tätigkeit im stationären und ambulanten Bereich ist sie seit 2012 Beraterin, Psychotherapeutin und Dozentin am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW. Zudem leitet sie die Psychologische Beratungsstelle für Studierende und Mitarbeitende der ZHAW.
Prof. Dr. Marcel Schär studierte Psychologie und Philosophie an der Universität Fribourg. Sein Doktorat absolvierte er am Psychologischen Institut der Universität Zürich und seine Psychotherapieausbildung machte er an der Universität Bern. Seine Forschungen befassten sich unter anderem mit der Wirksamkeit und den Wirkungsweisen von Psychotherapie. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in der Paartherapie sowie der Kinder- und Jugendpsychotherapie. Seit 2010 ist er als Psychotherapeut und Dozent am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW tätig. Seit 2012 leitet er dort zudem das Zentrum Klinische Psychologie & Psychotherapie.
Prof. Dr. Christoph Steinebach ist Diplompsychologe, approbierter Psychotherapeut und Direktor des Departements Angewandte Psychologie sowie des IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen unter anderem Resilienzförderung, Jugendberatung und Positive Peer Culture. Bevor er zur ZHAW kam war er viele Jahre in der Diagnostik und Beratung von Kindern und Jugendlichen mit Entwicklungsproblemen in einem sozialpädiatrischen Zentrum tätig und leitete eine interdisziplinäre Beratungsstelle für entwicklungsauffällige Kinder. Zudem war er Professor für Rehabilitationspsychologie an der Katholischen Hochschule Freiburg i.Br.