Trotz des neuen Freihandelsabkommens mit China gestaltet sich der Markteintritt für viele Firmen noch immer schwierig. Führungspersonen und Projektverantwortliche brauchen nach wie vor ein gutes Gespür für die kulturellen Unterschiede ihrer Verhandlungspartner.
Von Stefanie Neumann, Dozentin und Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie
China ist ein Markt, der grosse Hoffnungen weckt und zur gleichen Zeit grosse Hindernisse bereithält. Wer blind in Geschäftsverhandlungen einsteigt, erlebt häufig Enttäuschungen. Ein Beispiel:
Ein Schweizer Finanzinstitut plant die Markteinführung eines neuen Produkts auf dem chinesischen Markt. Sabine, Schweizer Business Managerin für den chinesischen Markt aus Hong Kong, leitet die Projektorganisation. Sie soll Regierungsvertreter, Regulatoren wie auch Schweizer Manager der Hong Konger Niederlassung der Bank an einen Tisch bringen. Die Verhandlungen über die Produkteinführung gestalten sich zäh. Während der Konferenzschaltungen scheint es Übereinkünfte zu geben, die zwar nicht ausdrücklich sind, aber auch nicht explizit abgelehnt werden. Die konkreten und detaillierten Umsetzungsschritte, die Sabine ausarbeitet, werden jedoch von chinesischer Seite nicht eingehalten. Für Sabine wird es immer schwieriger, Zwischenziele einzuhalten. Einerseits fühlt sie sich von den Schweizer Managern mehr und mehr unter Druck gesetzt, da diese eine korrekte Einhaltung der Abmachungen fordern. Die chinesischen Vertreter wiederum reagieren nach einiger Zeit weder auf Email noch auf telefonische Anfragen. Das strategisch überaus wichtige Projekt droht zu scheitern.
Solche und ähnliche Situationen habe ich in meiner Rolle als Business Managerin für die Region Greater China in einer Schweizer Grossbank erlebt. Vielleicht haben sich einige andere global tätige Projektverantwortliche bei der Lektüre dieses Fallbeispiels ebenfalls mit ähnlichen Erfahrungen wiedergefunden. Für mich war damals zentral herauszufinden, welche Faktoren zu den Missverständnissen und der letztendlichen Eskalation einer solchen Situation beitragen konnten.
Unterschiede im Sozial- und Kommunikationsverhalten
Ein grundlegendes Element interkultureller Zusammenarbeit ist das unterschiedliche Sozial- und Kommunikationsverhalten in verschiedenen Kulturen. Durch die Zusammenarbeit mit ostasiatischen Kolleginnen und Kollegen, die in der Schweiz arbeiteten, war mir bereits bewusst, wie wichtig das familiäre und soziale Umfeld für meine Kollegen als Grundlage ihrer Entscheidungen und auch ihrer Kommunikation war. Ich habe es selbst sehr geschätzt, als Teil ihrer Gruppe privat eingeladen zu werden und auch über das Geschäft hinaus, Zeit mit ihnen und ihren Familien verbringen zu können. Eine Einbindung in für mich als privat wahrgenommene Lebensbereiche der Arbeitskollegen beruhte jedoch nicht nur auf der freundschaftlichen Verbundenheit einzelner. Es war auch ein wichtiger Bestandteil asiatischer Geschäftskultur. Das wurde mir erst bewusst als ich für die gleiche Firma beruflich in Hong Kong eingesetzt wurde.
Kulturdimensionen als Orientierungsrahmen
Als ich 2004 in Hong Kong zu arbeiten begann, merkte ich, dass meine Art zu kommunizieren anders als von mir erwartet interpretiert wurde. Das hatte viel mit dem Selbstverständnis der Kultur zu tun. Das Spektrum, in dem sich Kulturen bewegen können, wird von Hofstede (2001) oder auch Trompenaars (2010) von individualistisch bis hin zu kollektivistisch bezeichnet. Diese Kulturdimensionen geben Aufschluss darüber, inwieweit das soziale Beziehungsgefüge eine verpflichtende Relevanz für Menschen der jeweiligen Kultur hat. Im Kollektivismus verstehen sich Menschen als Mitglieder von sozialen Gruppen wie Familien oder Organisationen, mit denen sie ihre persönlichen Ziele in Einklang bringen. Vertreter im Individualismus nehmen sich primär als autonome Individuen wahr. Sie verfolgen ihre Interessen unabhängig von denen ihrer Gruppe. Arbeitnehmer in sehr individualistisch geprägten Kulturen, wie zum Beispiel in vielen westeuropäischen Ländern oder den Vereinigten Staaten, trennen klar zwischen ihrem Arbeits- und ihrem privaten Umfeld. Sie vermischen beide Lebensbereiche eher ungern. In kollektivistisch geprägten Kulturen hingegen gehen beide Lebensbereiche häufig fliessend ineinander über. Das ist für das Zustandekommen von Vertrauen und beruflichen Vereinbarungen in diesen Kulturen unerlässlich. Dabei ist notwendig, dass eine Generalisierung von Kulturmerkmalen sensibel gehandhabt wird, um nicht in eine unangemessene und wenig hilfreiche Stereotypisierung zu kippen. Auch wenn es beobachtbare Gemeinsamkeiten einer Gruppe gibt, verhält sich jeder Mensch wieder anders. Der Einbezug von Kulturdimensionen dient daher mehr der Perspektivenerweiterung und sollte nicht in eine Be- oder sogar Verurteilung fremdkulturellen Verhaltens nach westlichen Massstäben rutschen.
Beispiele von Verhalten in den entsprechenden Kulturen:
Individualismus | Kollektivismus |
Menschen sorgen für sich und ihre Kernfamilie | Menschen leben in Grossfamilien, auf die sie ihre Entscheidungen ausrichten |
Identität im Individuum (ICH-Botschaften) | Identität im Sozialen Netzwerk (WIR-Botschaften) |
Management bedeutet Management von Individuen | Management bedeutet Management von Gruppen |
Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben eine vertragliche Basis | Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben eine moralische Basis |
Verhandlungen führen in kollektivistisch geprägten Gesellschaften
Wenn wir den Fall von Sabine unter dem Aspekt individualistischer oder kollektivistischer Kulturen anschauen, war es sicher wenig hilfreich, mit einer rein projektbasierten Vorgehensweise westlichen Standards den Zugang zu den asiatischen Partnern zu suchen. Hier wäre für das Zustandekommen gegenseitigen Vertrauens der soziale Austausch, möglichst mit einem persönlichen Kennenlernen über die berufliche Rolle hinaus, eine wichtige Investition zu Beginn der Zusammenarbeit gewesen. Meiner Erfahrung nach profitiert nicht nur die Geschäftsbeziehung von dieser sozialen Komponente, sondern zudem jeder Geschäftspartner für sich – durch ein geschärftes gegenseitiges kulturelles Verständnis.
Literaturauswahl
Hofstede, Geert (2001). Culture’s Consequences: Comparing Values, Behaviors, Institutions, and Organizations Across Nations. 2nd Edition, Thousand Oaks CA: Sage Publications.
Kammhuber, S. (2004). Interkulturelles Management. Schriften des MBA-Fernstudienprogrammes. Koblenz: ZFH.
Thomas, Alexander (2013). Wie Fremdes vertraut werden kann: Mit internationalen Geschäftspartnern zusammenarbeiten. Wiesbaden: Springer.
Trompenaars, Fons/ Hampden-Turner, Charles (2nd edition 2010). Riding the Waves of Culture. Understanding Cultural Diversity in Business. London: Nicholas Brealey.
Zur Autorin
Stefanie Neumann ist Dozentin und Beraterin am IAP im Bereich Leadership, Coaching & Change Management. Ihre Schwerpunkte sind die Themen Kommunikation, Coaching, Teamentwicklung, Selbstmanagement, Begleitung von Veränderungsprozessen und interkulturelle Kompetenz. Bevor Stefanie Neumann ans IAP kam, war sie 15 Jahre in der Finanzbranche tätig, davon fünf Jahre für die Region Ostasien und später als Führungsperson im Bereich der globalen Leadership- und Talententwicklung. Ihre Erfahrung bringt sie auch im Weiterbildungskurs Interkulturelle Kompetenz im Führungsalltag ein, der auf Deutsch und neu auch auf Englisch angeboten wird.
Interkulturelle Kompetenz im Führungsalltag
Im Weiterbildungskurs “Interkulturelle Kompetenz im Führungsalltag – erfolgreich kommunizieren und kooperieren” vertiefen die Teilnehmenden ihre interkulturelle Führungskompetenz anhand aktueller Forschungserkenntnisse und durch die Reflexion der eigenen Kultur. Sie erweitern damit ihr Handlungsrepertoire für eine effektive und angemessene Interaktion mit Partnern anderer Kulturkreise.
sehr informativ und überzeugend!