Führungsfalle „Allen Leuten recht getan“

Wenn sie Chefin wäre, sagte sich Brigitte, würde sie alles besser machen. Dann könnte sie endlich selbst sagen, wo es lang geht. Als sie zur Teamleiterin befördert wurde, stellte sie aber bald fest: So wie sie sich das vorgestellt hatte, war es überhaupt nicht.
Vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern unserer Führungs-Weiterbildungen geht es wie Brigitte. Wir greifen deshalb neu regelmässig eine typische Führungsfalle auf und berichten, was die Teilnehmenden schliesslich unternommen haben, um in ihrer Führungsrolle handlungsfähig zu werden. Selbstverständlich haben wir alle Namen geändert.

von Elisa Streuli, Dozentin & Beraterin am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW

Brigitte (40) war nach der Pensionierung ihres früheren Chefs zur Teamleiterin befördert worden. Sie freute sich, dass sie nun in einer Position war, in der sie mehr Einfluss hatte und die Interessen des Teams noch besser durchsetzen konnte. Schon in ihrer ersten Woche als Teamleiterin gab Brigittes neue Chefin den bevorstehenden Umzug in andere – kleinere und dezentralere – Büros bekannt. Die Mitarbeitenden wehrten sich vehement und Brigitte sah sich plötzlich zwischen den Stühlen. Sie wollte weiterhin die Teaminteressen anwaltschaftlich vertreten und gleichzeitig der Chefin gegenüber loyal sein und deren Aufträge umsetzen – kurz: Sie wollte es allen recht machen. Dies ist eine häufige Führungsfalle, gerade für Mitarbeitende, die aus dem Team in die Leitungsrolle befördert wurden. „Jetzt hängt sie die Chefin heraus“, sagten ihre ehemaligen Kolleginnen bald, und begannen sich zurückzuziehen.

Tipp: Erwartungen klären und Rollenbewusstsein schaffen
Brigitte erkannte bald die Falle, in die sie hineingetappt war und überlegte sich Wege, um wieder herauszukommen. Im Austausch mit anderen wurde sie sich ihrer Rolle bewusst. Eine Rolle ist ein Bündel von Erwartungen, welche an den Träger einer Position herangetragen werden. Diese Erwartungen kommen typischerweise von mehreren Anspruchsgruppen und -personen, oft sind sie unklar und teilweise auch widersprüchlich. Die wichtigste Anspruchsperson ist die direkte Vorgesetzte. Mit ihr führte Brigitte ein langes Gespräch, in welchem es darum ging, die Erwartungen zu klären. Wichtig sind die ausgesprochenen, aber auch die unausgesprochenen Erwartungen. Diese können durch gutes Zuhören und Nachfragen auf den Tisch gebracht werden. Im Gespräch konnte Brigitte ihrerseits aufzeigen, welchen Beitrag sie in ihrer Rolle leisten konnte und wollte. Sie sprach auch mögliche Hindernisse an und wie sie diese angehen wollte. Dabei war sie auf den Rückhalt der Chefin angewiesen und diese wiederum auf Brigittes Unterstützung und Loyalität.

Führen findet immer im Spannungsfeld von organisationalen Anforderungen und individuellen Interessen statt. Der Umzug in kleinere, dezentrale Büros war beschlossene Sache. Bei der Farbgestaltung der Wände konnten die Mitarbeitenden mitentscheiden. Die Verteilung der Arbeitsplätze erfolgte nach dem Anciennitätsprinzip, d.h. nach der Dauer der Zugehörigkeit zur Organisation. Brigitte hatte gelernt, im Spannungsfeld ihrer neuen Rolle die Grenzen anzuerkennen, den Spielraum zu nutzen und die Kriterien für ihr Handeln auf der Grundlage akzeptierter Fairnessregeln transparent zu machen.

Dieses Fallbeispiel wurde in Zusammenarbeit mit Tamara Garcia, Christoph Hoffmann, Marion Jonassen und Andres Pfister vom Zentrum für Leadership, Coaching & Change Management erstellt. Besonders danken wir Brigitte für ihre Offenheit.

Weiterführende Literatur: Watkins, M. (2007). Die ersten 90 Tage – So meistern Sie jede neue Managementaufgabe. Frankfurt: Campus.


Elisa_Streuli_neuÜber die Autorin:
Dr. Elisa Streuli ist Soziologin und arbeitet am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW als Dozentin und Beraterin in der Führungsentwicklung. Zudem leitet sie Weiterbildungskurse in Konfliktmanagement, Verhandlungstraining und Einstieg in die neue Führungsrolle.

Wenn Sie Ihre eigenen Stolpersteine mit andern teilen möchten, schreiben Sie bitte an socialmedia.iap@zhaw.ch. Nach Möglichkeit wird der Fall in anonymisierter Form veröffentlicht.

 


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert