Vom Genuss Wissenschaftlerin zu sein. Ein Rückblick auf den AILA-Weltkongress in Brisbane

Wissenschaftlerin zu sein hat Vorteile. Besonders toll finde ich, dass ich mir den Luxus leisten kann, Stunden und Tage über ein Thema nachzudenken, es über Jahre zu vertiefen und aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Aber still vor mich hin brüten und Ideen entwickeln kann es allein nicht sein. Deswegen sind wissenschaftliche Konferenzen ein Genuss: Was in einer Plauderei über den Gartenzaun oder einem Samstagabendgespräch an der Bar exotisch scheint, ist hier normal: Über journalistisches Schreiben fachsimpeln, über scheinbare Details diskutieren – oder erklären, wie und weshalb ich aus dem Handeln einzelner Journalistinnen auf übergeordnete gesellschaftliche Strukturen schliesse. Ich geniesse es, mich der Kritik stellen, zu überzeugen, oder mit besseren Argumenten überzeugt zu werden. Denken ist nicht nur ein individuelles, sondern auch ein kollektives Abenteuer. Erhellend kann zudem sein, auf Fachkolleginnen und -kollegen zu treffen, deren Namen man hundertfach in Bibliographien gelesen hat; ihren Präsentationen zuzuhören oder am Frühstückstisch mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Da können die Funken springen! Begeisterung steckt an – aber auch Ent-Täuschung hilft weiter.

Ein handfester Vorzug wissenschaftlicher Konferenzen ist, dass sie oft weit weg stattfinden, man also hinreisen muss und darf. Manchmal auch ans andere Ende der Welt, im Fall der AILA 2014 nach Brisbane. AILA steht für Association Internationale de Linguistique Appliquée oder International Association of Applied Linguistics. Ziel dieses Verbandes ist es, den weltweiten Austausch zwischen allen Forschungskulturen der Angewandten Linguistik zu fördern. Zu diesem Zweck führt die AILA alle drei Jahre einen Kongress durch, an dem bis zu 2000 Forschende aus aller Welt teilnehmen. Ein weiteres Mittel der AILA zur Förderung der Angewandten Linguistik sind die internationalen Forschungsnetzwerke, die sogenannten ReNs (Research Networks). Hier schliessen sich WissenschaflerInnen aus unterschiedlichen Ländern zusammen, um  an aktuellen Themen aus ihrem Bereich zu forschen. An den Weltkongressen bekommen die ReNs ein eigenes, grosszügig bemessenes Tagungsfenster: die Gelegenheit also, seine Forschung vor einem breiten Publikum zu präsentieren und sich mit Kolleginnen zu treffen, mit welchen man sich normalerweise nur über Mail und Skype austauschen kann.

Unser ReN Media Linguistics hat sich dieses Jahr schon vor dem Treffen in Australien intensiv getroffen: Weil nicht alle Heim-Universitäten der Netzwerkmitglieder für eine Reise nach Australien aufkommen konnten, haben wir ein virtuelles Pecha Kucha Pre-Panel veranstaltet.  Die Textsorte Pecha Kucha bedeutet, mit wenigen Folien und in kurzer Zeit ein komplexes Thema auf den Punkt zu bringen. Die Videobeiträge im Pre-Panel auf Youtube gehen ein auf den theoretischen Hintergrund medienlinguistischer Forschung, auf Methoden zur Erforschung journalistischer Schreibprozesse in natürlichen Kontexten und, auf einer Metaebene, auf die Gestaltung der wissenschaftlichen Laufbahn.

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ReN Media Linguistics am AILA-Begrüssungsapéro. Noch nicht vollständig, aber strahlend – trotz Jetlag.
Im Panel selbst dann, in Brisbane, haben wir in sechs 20-minütigen Präsentationen die neusten Methoden und Erkenntnisse der Medienlinguistik präsentiert und diskutiert. Spannend war das vor allem, weil die Forschenden unterschiedlichen Zugänge zum Thema haben, von Diskurs- und Argumentationsanalyse über Interaktions- und Textanalyse bis hin zur Statistik. Die journalistische Textproduktion wurde also aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Erforscht werden Handlungen einzelner Journalistinnen beim Schreiben, Interviewen oder Diskutieren, aber auch die Bedeutung und das Zusammenspiel dieser Handlungen auf übergeordneten Ebenen wie Redaktion oder Gesellschaft. Wir haben sozusagen die einzelnen Puzzleteilchen angeschaut, die Prozesse des Zusammenfügens beleuchtet und auch das Gesamtbild betrachtet, das dabei entsteht. Faszinierend war dabei nicht nur die Vielfalt der Perspektiven und Methoden, sondern auch die Raffinesse der Softwaretools, die die Forschenden in ihrer Arbeit anwenden und die sie in interdisziplinären Kooperationen entwickelt haben. Vor und nach dem eigenen Panel haben wir als Gäste in anderen Panels mitgewirkt. Zum Beispiel im „Invited Symposium“ von Chris Candlin mit dem Titel „Making Applied Linguistics Matter: Opportunities for Engaging with Professional Practice“. Hier haben transdisziplinär Forschende gezeigt, wie sie zusammen mit Praktikerinnen und Praktikern Probleme der Kommunikation lösen in Feldern wie Gesundheit, Recht, Wirtschaft, aber eben auch Medien und Öffentlichkeit.

Ich habe das wissenschaftliche Tauchbad in Brisbane sehr genossen, die Präsentationen, Diskussionen, die gemeinsamen Essen am Fluss und die Fahrrad-Sightseeing-Touren. Arbeiten und Reisen in einem sozusagen. Genau die richtige Motivationsspritze fürs Vorbereiten meiner Lehrveranstaltungen im Herbstsemester und die Planung meiner nächsten Publikationen.

 

Schlagwörter: Aleksandra Gnach

2 Kommentare

  • Das hast Du sehr schön beschrieben, Aleksandra. Macht richtig “gluschtig”. Wer am Wissenchaftsbetrieb nicht teilnimmt, kann sich solche Konferenzen oft nicht so recht vorstellen. Solche “Familientreffen” unter gleichen animieren und motivieren.
    Nun wäre es ja aber jammerschade, wenn die dort im kleinen Zirkel präsentierten Forschungresultate nur innerhalb der Scientific Community schlummern würden oder in Fachpublikatinen – wenn’s hochkommt – ein paar hundert Forschende erreichen.
    Darum gibt es das European Journalism Observatory (http://de.ejo-online.eu/). Auf dieser Plattform werden Forschungsergebnisse aus der Medienwissenschaft – und ich hoffe doch auch aus der sich mit Medien beschäftigenden angewandten Linguistik – einem interessieren Non-Academic Publikum zugänglich gemacht. Bitte zögere nicht, Deine an der AILA präsentierten Befunde auch dort zu in einer Laiensprache zu veröffentlichen. Ich bin sicher, dass Deine Ergebnisse aus ausserhalb der Scientic Community auf Interesse stossen 🙂

    • Danke für diesen Hinweis lieber Vinzenz! Ich find das European Journalism Observatory eine tolle Sache. Hiermit verspreche ich öffentlich, meine Forschungsresultate dort zu publizieren. Und ich mach auch gleich Werbung in unserem Forschungsnetzwerk. Die DoktorandInnen, die im Idée Suisse Folgeprojekt den Corriere del Ticino untersuchen, sind kurz vor dem Abschliessen – sie haben einiges zu erzählen.


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