von Prof. Dr. Wibke Weber, Dozentin am IAM; verantwortlich für den Lernbereich Fachwissen
Die Daten sprechen klar für die Schweizer Nationalmannschaft. Mit 55,8 Prozent Ballbesitz und 883 Ballkontakten dominierte sie das Spiel gegen Polen. Trotzdem ausgeschieden im EM-Achtelfinale. Das ernüchternde Fazit: Daten gewinnen keine Spiele. Aber sie können helfen, Ereignisse, Zusammenhänge, Relationen zu verstehen. Daten sind an sich weder gut noch schlecht. Einen Wert bekommen sie erst, wenn man eine spezifische Frage an sie heranträgt, sie ordnet, zusammenfasst, filtert, kombiniert, validiert, interpretiert. Und natürlich visualisiert. Die Visualisierung macht dann auf Anhieb sichtbar, was vorher so nicht sichtbar war. Und diese Erkenntnis kann der Beginn einer neuen Geschichte sein.
Am Anfang steht die Zahl
Datenjournalismus nennt man das. Am Anfang steht die Zahl, dann folgt das Bild, und danach das Wort. Diese Kombination aus Zahl, Bild und Wort macht Datenjournalismus so komplex und aufwändig und fordert Fertigkeiten, die bislang nicht ins Repertoire einer klassischen Journalistenausbildung gehörten: Kenntnisse in Excel, Google Spreadsheets oder ähnlichen Datenanalysetools. Kenntnisse in Statistik, in Datenrecherche und Web-Scraping, also wie man zu Daten kommt. Kenntnisse der Diagrammtypen und des “visuellen Vokabulars” – der Kartograph Jaques Bertin nannte das Sémiologie graphique. Und nicht zuletzt: Kenntnisse, wie man daraus eine Story macht. Dazu braucht es Kontextwissen, Neugier und die Bereitschaft, sich auf das Nicht-Vertraute einzulassen: auf Zahlen statt Worte. Visualisieren statt Verbalisieren. Analysieren statt Reportieren.
Daten.Journalismus.Daten
Studierende am IAM haben das im Frühjahrssemester getan und erste Erfahrungen gesammelt im Datenjournalismus. Sie wollten wissen: Wie sieht es aktuell aus im Schweizer Journalismus? Wie hoch ist der Frauenanteil? Verdient man bei der Zeitung mehr als bei einem Online-Medium? Gibt es den journalistischen „Röstigraben“? Dabei konnten sie auf Daten einer aktuellen Journalistenbefragung zurückgreifen, die am IAM im Rahmen der internationalen Studie Worlds of Journalism erhoben wurden. Betreut wurden die Studierenden von den IAM-Dozierenden Vinzenz Wyss, Guido Keel, Filip Dingerkus und Wibke Weber. Die Erkenntnisse bezüglich Datenjournalismus fallen dabei ambivalent aus: Nicht jede Datenanalyse führt zum validen Ergebnis oder fördert statistisch Relevantes zutage. Nicht jede Datenvisualisierung bringt den gewünschten Aha-Effekt. Nicht immer liefern Daten Stoff für eine Geschichte. Aber wenn, dann kann es die ganz grosse Story sein. Investigativ. Kreativ. Exklusiv.
Datenjournalismus als Mehrwert
Die Kernkompetenzen, die es für den Datenjournalismus braucht, werden am IAM vermittelt: in Seminaren, Praxiswerkstätten und Weiterbildungsangeboten zu Datenvisualisierung und Infografik, wie etwa jüngst in Kooperation mit dem SFJ Verband Schweizer Fachjournalisten. Denn Datenjournalismus ist mehr als eine Modeerscheinung. Im Zeitalter von Big Data ist er eine zwingende Notwendigkeit.