
Von Prof. Dr. Florian Liberatore
Die Konsumorientierung im Gesundheitswesen:
Im Gesundheitswesen lässt sich eine immer stärkere Konsumorientierung beobachten. PatientInnen sehen zu, dass sie für ihre stetig steigenden Krankenversicherungsprämien auch einen ausreichenden Gegenwert in Form von Gesundheitsleistungen bekommen. Wenn man von einer Arztpraxis ohne Behandlung oder Medikation nach Hause geschickt wird, wird das häufig als unzureichend betrachtet und mit einem Arztwechsel bestraft. Für Arztpraxen und andere Leistungserbringer bedeutet dies, dass sie PatientInnen wie KundInnen im doppelten Sinne behandeln müssen. Die Patientenzufriedenheit wird zu einer zentralen Erfolgsgrösse.
Weiter äussert sich die Konsumorientierung in der Haltung der PatientInnen während einer Behandlung. Viele PatientInnen möchten bedient werden und möglichst passiv medizinische Behandlungen «geniessen».
Kurz gesagt, es wird viel operiert und viel behandelt nach dem Motto «viel hilft viel» und alle sind glücklich. Die Leistungserbringer, weil sie Geld verdient haben und die PatientInnen, weil sie viel Gesundheit für ihr Geld bekommen haben.
Aber ist das wirklich so? Bedeuten viele Behandlungsleistungen auch, dass man viel Gesundheit bekommen hat? Sind PatientInnen passive KundInnen, die sich bei der Behandlung zurücklehnen können?
Die Dienstleistungsperspektive auf das Gesundheitswesen:
Zu diesem Thema lohnt sich ein Blick in die Sub-Disziplin des Dienstleistungsmanagements in der BWL. Diese Disziplin beschäftigt sich mit den Besonderheiten, die es im Management von Dienstleistungen zu beachten gilt. Und was macht Dienstleistungen so besonders?
- Dienstleistungen sind aus Wertschöpfungs-Sicht keine Wert-Ketten, bei denen ein Produkt am Ende eines Produktionsprozesses steht, sondern bestehen aus sogenannten einzelnen Wert-Shops, bei denen einzelne Teilschritte bereits wertschöpfend sind.
- Dienstleistungen sind Mittel zum Zweck, um bei den DienstleistungsempfängerInnen etwas zum Positiven zu verändern.
- Nach der sogenannten Service Dominant logic ist eine Dienstleistung erstmal nur ein Wertversprechen. Der eigentliche Wert wird erst mit der Inanspruchnahme der Leistung geschaffen, und zwar in der gemeinsamen Co-Creation mit den LeistungsempfängerInnen.
Übertragen auf das Gesundheitswesen bedeutet dies:
- Anwendung der Wert-Shop-Logik: Als Wert-Shops bieten Leistungserbringer im Gesundheitswesen die Problemfindung, Problemlösung, Auswahl, Durchführung und Kontrolle/Evaluation an. (siehe Graphik)

Die Problemfindung und die anschliessende Problemlösung ist jeweils ein Wert-Shop an sich. Wenn also die Problemlösung bei einem Arztbesuch bedeutet, dass man sich ohne Behandlung zu Hause auskurieren soll, dann wurde damit auch bereits Wert geschaffen und man hat als PatientIn etwas für seine Prämie an Gegenwert erhalten. Es muss nicht die komplette Kette an Wert-Shops durchlaufen werden.
2. Leistungserbringung als Mittel zum Zweck für mehr Lebensqualität: Leistungserbringung im Gesundheitswesen hat keinen Wert an sich, sondern ist Mittel zum Zweck, dass eine Person wieder möglichst schnell und mit möglichst viel Lebensqualität weiterleben kann. Das bedeutet aber auch, dass der Entscheid, ob und welche Behandlung gemacht wird, an den Erwartungen, die Lebensqualität zu verbessern, bemessen werden sollte. Aus dieser Perspektive kann dann auch mal eine konservative Behandlung sinnvoller sein als ein operativer Eingriff.
3. Co-Creation statt passiver Konsum: Behandlungsleistungen sind kein Konsumgut, das wir passiv konsumieren. Im Gegenteil, PatientInnen müssen in der Behandlung einen aktiven Beitrag als Co-Kreatoren leisten. Manchmal müssen sie sogar den einzigen Beitrag für die Genesung leisten, nämlich dass sie sich zu Hause auskurieren.
In künftigen gesundheitspolitischen Diskussionen sollte also häufiger mal an Leistungserbringung als Dienstleistung gedacht werden, so könnten wir verschiedene Themen wie eine erhöhte Patientenbeteiligung, Value-based Healthcare sowie eine bedarfsgerechte Versorgung zielgerichteter und effektiver voranbringen.
Florian Liberatore, stellvertretender Leiter der Fachstelle Management im Gesundheitswesen und Experte für Value-Based Healthcare Management.