Wie steht es um die Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen? Erkenntnisse am WIG-Herbstanlass

Von Michael Stucki und Prof. Dr, Simon Wieser

Fehlversorgung im Gesundheitswesen kann unterschiedliche Formen annehmen: Überversorgung ist die Inanspruchnahme unnötiger Behandlungen und für viele die wichtigste Ursache für die steigenden Gesundheitskosten. Unterversorgung heisst, dass die Patientinnen nicht die Behandlungen bekommen, die sie eigentlich benötigen. Bisher war Unterversorgung in der Schweiz kaum ein Thema. Aber mit dem zunehmenden Mangel an Pflegenden, Ärztinnen und Fachleuten von immer mehr Gesundheitsberufen in immer mehr Regionen wird sie immer wahrscheinlicher.

Wo gibt es schon heute Unterversorgung? Wie sollen wir damit umgehen? Und inwieweit könnte der Fachkräftemangel auch eine Chance sein?

Unser WIG-Herbstanlass vom 7. November stand ganz im Zeichen dieser Fragen. Das grosse Interesse am Anlass zeigt, dass die Über- und Unterversorgung die Bevölkerung und Fachleute im Gesundheitswesen beschäftigt. Drei Input-Referate und die lebhafte Diskussion haben aber auch gezeigt, dass es keine einfachen Lösungen gibt.

Fachkräftemangel in der Grundversorgung, …

Monika Reber, Hausärztin in einer Praxisgemeinschaft in Langnau im Emmental, zeigte in ihrem Referat das Ausmass des Fachkräftemangels in der ambulanten Grundversorgung auf. Altersbedingt werden in den nächsten zehn Jahren viele Hausärztinnen und Hausärzte pensioniert. Der Mangel kann gemäss Reber zurzeit noch mit ausländischen Ärztinnen und Ärzten gelindert werden, aber das sei keine nachhaltige Lösung. Sie fordert deshalb mehr Studienplätze an Schweizer Universitäten und eine bessere Vergütung der Leistungen in der Grundversorgung.

… im Spital …

Auch die Spitäler sind stark vom Fachkräftemangel betroffen. Hansjörg Lehmann, Direktor des Kantonsspitals Winterthur, beleuchtete die Konsequenzen für sein Spital. Für ihn ist klar, dass die Versorgung langfristig den Finanzierungsstrukturen folgt. Gemacht werde immer mehr nur noch das, was rentabel ist. Weil die ambulanten und stationären Tarife für die Spitäler nicht kostendeckend seien, nehme der Druck auf das Personal stark zu. Positiv sei, dass teilweise auf unnötige Leistungen verzichtet wird und die Leistungen effizienter erbracht werden. Aber der Spielraum dafür sei beschränkt, und die Personalkosten würden weiter ansteigen. Lehmann forderte deshalb ebenfalls mehr Studienplätze, eine Steigerung der Attraktivität von Berufen im Gesundheitswesen und Reformen bei der Vergütung von Leistungen.

… und wie sollen alle zusammenspielen.

Annamaria Müller, die Präsidentin von fmc Schweizer Forum für Integrierte Versorgung und dritte Referentin am Herbstanlass, fordert eine über die reine Koordination hinausgehende integrierte Versorgung. Die oft sehr komplexen Patientenpfade erfordern ein hohes Mass an interprofessioneller Zusammenarbeit. Wichtig sei, dass die Patientin ins Zentrum rücke und als «Co-Produzentin» der Behandlung betrachtet werde. Integrierte Versorgung könne durch die Nutzung neuer digitaler Technologien und richtige Anreize bei der Vergütung medizinischer Leistungen gefördert werden.

Ein chronischer Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ist unvermeidlich – da sind sich alle Referent:innen einig.  Mit den Herausforderungen der Fehl-, Über- und Unterversorgung werden wir uns in Zukunft noch intensiver beschäftigen.

Die drei Präsentationen unserer Referent:innen am WIG-Herbstanlass von 7. November 2023 können Sie hier herunterladen:

Monika ReberVersorgungsunsicherheit in der ambulanten Grundversorgung

Hansjörg LehmannVersorgungsunsicherheit: Von der Über- in die Unterversorgung

Annamaria MüllerVersorgungssicherheit im Gesundheitswesen – von der Über- zur Unterversorgung


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