Das Daten-Paradoxon im Digital-Health-Zeitalter –  Zuckerbrot oder Peitsche als Lösung?

Bildquelle: Thomas Reimer @ Adobe Stock

Von Prof. Dr. Alfred Angerer

Wissen Sie, was Ihre Gesundheitsdaten wert sind? Ich kann Ihnen zumindest sagen, was sie auf dem Internet-Schwarzmarkt dafür erhalten. Wenn Sie im Darknet einen Patient:innen-Datensatz kaufen möchten, müssen Sie ca. 250 Franken ausgeben. Eine Kreditkartenummer gibt es dagegen schon für nur 5 Franken. Da sehen Sie, wie wertvoll Gesundheitsdaten sind! Doch eigentlich ist der Wert für die Gesellschaft noch viel höher als das, was diese dunklen Kanäle dafür verlangen…

Stellen Sie sich beispielsweise vor, dass Sie schwer krank sind. Sie werden sehr froh sein, wenn Ihnen die Ärzteschaft die richtige Therapie anbieten kann! Und eine solche basiert auf der Forschung mit vielen Patient:innen-Daten. Lassen Sie uns das Ganze mit einer persönlichen Patienten-Geschichte veranschaulichen. Der 67-jährige Familienvater Michael Negrin litt unter einem gefährlichen Blasenkrebs mit schlechter Prognose. Doch leider zeigte die Chemotherapie nicht die erhoffte Wirkung. Also führten die Ärzt:innen eine genetische Tumoranalyse durch und stellten fest, dass bei diesem Blasenkrebs ein Medikament wirken könnte, das eigentlich bei der Behandlung von Brustkrebs zum Einsatz kommt. Die ungewöhnliche Therapie funktionierte! Letztlich ermöglichte eine Vielzahl im Vorfeld gesammelter Gesundheitsdaten, dass Michael in ein neues Leben starten durfte. Ich bin mir sicher, dass er sehr froh darüber war!

Datenteilung? Nein Danke!

So eindrücklich solche Geschichten sind, so stellt sich doch die Frage, wer von uns wirklich Hurra schreit, wenn ein Pharmaunternehmen vorschlägt, eine grosse Datenplattform aufzubauen, auf der wir all unsere Gesundheitsdaten hochladen und anonym teilen können. Unsere Bevölkerung ist diesbezüglich in der Regel eher skeptisch – selbst wenn es um das Teilen gegenüber Gesundheitsfachpersonen geht. Laut dem eHealth Barometer 2022 sind nur 58 Prozent der Schweizer:innen bereit, Gesundheitsfachpersonen für Forschungszwecke Einsicht in die eigenen Daten zu geben. Ich möchte gar nicht wissen, welcher Anteil herausgekommen wäre, wenn dort anstelle von Gesundheitsfachpersonen nach der Industrie als Datenempfängerin gefragt worden wäre…

Es ist also alles andere als trivial. Wir können zwar alle von der Forschung mit Gesundheitsdaten profitieren, haben allerdings ganz starke Bedenken gegenüber der Speicherung und Teilung unserer eigenen Daten. Wie kann man das lösen? Zwei plakative Ansätze seien folgend diskutiert: Das Zuckerbrot und die Peitsche.

Lösungsansatz A: Die Peitsche

Meine Gesundheitsdaten gehören mir! Das klingt erst einmal sehr selbstverständlich. Und doch könnte man argumentieren, dass in einem Gesundheitssystem, in welchem Solidarität von allen Beitragszahler:innen erwartet wird, auch ich als Individuum etwas zurückgeben muss. In einem Spital werden beispielsweise Ärzt:innen und Maschinen mit Millionenaufwänden eingesetzt, um mich und andere zu behandeln. Gehören meine Daten dann tatsächlich nur mir und nicht auch zum Teil der Beitragsgemeinschaft? Darüber streiten sich die Rechtsexpert:innen und Ethiker:innen unserer Zeit ganz wunderbar. Und doch gibt es Gesellschaften, die diese Auseinandersetzung für sich klar entschieden haben, und zwar ganz anders als wir bei uns in der Schweiz. Häufig werden hier als Paradebeispiel die nordischen Länder angeführt, in denen die Datenteilung seit Jahrzehnten gesetzlich und gesellschaftlich verankert ist. So werden in Dänemark Gesundheitsdaten zentral gesammelt, anonymisiert, und in der Forschung eingesetzt. Die explizite Zustimmung der Patient:innen ist nicht notwendig.

Die einfachste Lösung für die Schweiz wäre also, eine zentrale digitale Datensammelstelle zu gründen und die Datenteilung verpflichtend einzuführen. Es ist aber anzunehmen, dass die meisten Bürger:innen wohl schon bei den Stichworten «zentralisiert» und «gesetzlich verpflichtend» zusammenzucken würden und die spontane Akzeptanz der Wählerschaft gegen Null tendieren würde.

Lösungsansatz B: Das Zuckerbrot

«Aber wir Bürger:innen teilen doch schon so viele Daten», mögen Sie nun argumentieren. Stimmt. Jede/r unter Ihnen, die/der Apps wie Facebook, WhatsApp oder TikTok nutzt, teilt schon heute massenweise und freiwillig Daten mit den Tech-Giganten. Diese erstellen genaue Profile über unser Informationsverhalten im Internet – was wir also wo, wie und wie lange anschauen. Auch, wer unsere Freund:innen sind, ist diesen Anbieter:innen klar – und vermutlich noch vieles mehr. So ganz genau wissen wir nämlich nicht, was diese Unternehmen so alles von uns aufzeichnen… und was sie damit anstellen. Und wenn wir ganz ehrlich sind, wollen wir es lieber gar nicht so genau wissen.
Warum machen wir das? Eine ökonomische Antwort darauf ist, dass wir den Kosten-Nutzen Faktor bei diesem Deal als positiv empfinden. Ich teile gerne viele private Daten mit der Tech-Industrie, weil ich dafür ja lustige Katzenvideos von Tante Erna zugeschickt bekomme. Und es ist so praktisch, sich mit den Sportvereinskolleg:innen über WhatsApp abzusprechen. Unterhaltung und Convenience sind den meisten hier wichtiger als zu wissen, was genau mit ihren Daten passiert.

Diese Art der grossen Datenteilung wird es im Gesundheitswesen dann geben, wenn uns eine superbequeme App das Verwalten all unserer Gesundheitsdaten und wertvolle Einsichten in unsere Gesundheit erlaubt. Noch gibt es diese durchschlagende «Killer-»Applikation nicht, aber die grossen Tech-Unternehmen arbeiten ganz fleissig daran, sie zu designen.

Man könnte die Schraube noch etwas weiter drehen und sagen: Verkauft uns doch direkt eure Gesundheitsdaten, liebe Patient:innen! Eure Smartphones und -uhren haben bereits dutzende Sensoren eingebaut und zeichnen ständig mit. Wenn ihr uns diese Daten gebt und zusätzlich noch Zugriff auf eure Handynutzung, dann zahlen wir pro Tag X Franken dafür. Klingt das nicht verlockend? Für Sie vielleicht nicht, aber es gibt bestimmt zahlreiche Benutzer:innen, die hier sofort mitmachen würden. Bei Blutspenden erlauben wir nicht, dass diese gegen Geld geschehen. Müssen wir das bei Datenspenden auch so handhaben? Oder fällt das unter Selbstverantwortung? Eine heisse Diskussion ist vorprogrammiert.

Fazit: Wir brauchen eine bewusste Entscheidung

Natürlich gibt es noch viele weitere Möglichkeiten als die, die hier stark vereinfacht dargestellt werden. Zwischen der zentralen Lösung «Vater Staat steuert alles mit harter Hand» und «der Markt regelt das von alleine» gibt es noch unzählige Schattierungen. Spannend finde ich beispielsweise die Ansätze unter dem Stichwort «privacy by design». Wenn ein Schweizer Digital Health Start-up seine App so gestaltet, dass weder eine Registrierung noch ein Login nötig sind (die App also meinen Namen gar nicht kennt), brauche ich mir als User:in keine Gedanken zu machen, ob das Ganze auch wirklich anonym ist. Vertrauen ist gut, schlau designte Digital-Health-Lösungen sind besser.

Es gibt nicht die eine richtige Lösung. Egal wie wir uns entscheiden, wird es immer Gegenstimmen geben. Mir ist nur wichtig, dass wir bewusst entscheiden und die Konsequenzen akzeptieren. Denn, wenn wir als Gesellschaft keine klare Antwort darauf haben, welche Vorgehensweise wir möchten, wird der Markt für uns entscheiden. Und um diese Entscheidung zu treffen brauchen wir eine klare Kommunikation und Aufklärung darüber, was die Vor- und Nachteile unserer heutigen Datennutzung sind. 

Prof. Dr. Alfred Angerer ist Leiter der Fachstelle Management im Gesundheitswesen am WIG.


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