
Von Mélanie Stamm-Lötscher und Prof. Dr. Simon Wieser
Was Daten und Forschung uns sagen – und was nicht
Marc Höglinger, Teamleiter am WIG, präsentierte die aktuellen Zahlen und den Stand der Forschung zum Thema des Abends. So haben drei Viertel der Bevölkerung einen Anteil von nur 10% an den prämienrelevanten Kosten und tragen somit kaum zum Kostenwachstum bei. Gleichzeitig zeigt eine aktuelle Studie des WIG, dass die höheren Kosten pro erkrankte Person Haupttreiber des Kostenwachstums sind. Das heisst aber nicht, dass die zusätzlichen Leistungen aufgrund von Ansprüchen der Patienten erbracht wurden. Vielmehr deutet der aktuelle Stand der Forschung darauf hin, dass anderer Faktoren einen stärkeren Einfluss haben, und die Erwartungen und Ansprüche der Bevölkerung kein zentraler Kostentreiber im Gesundheitswesen sind.

Die Hausärztin erlebt Ansprüche und falsche Erwartungen
Im zweiten Referat präsentierte Corinne Chmiel, Leitende Ärztin beim Ärztenetz mediX, ihren Alltag in der hausärztlichen Praxis. Sie ist oft mit Patientinnen und Patienten mit sehr konkreten Ansprüchen und Erwartungen konfrontiert. Dafür sieht sie drei Gründe: Zum einen eine Anspruchshaltung, die aufgrund der hohen Prämien entsteht und zu einem «Kioskverhalten» führt. Zum anderen sind zu viele, oft falsche, Informationen im Umlauf und insbesondere bei den Jüngeren auch zunehmende Ängste. Schliesslich gibt es falsche Erwartungen an die Diagnostik und dem Motto «Mehr ist mehr». Lösungsansätze sieht Corinne Chmiel vor allem in echten Managed-Care Modellen, die durch eine verbesserte Arzt-Patientenbeziehung, bessere Informationen für die Patienten und vernünftige Guidelines für Leistungserbringer an beiden Seiten ansetzen.

Die Patientin macht andere Erfahrungen
Chantal Britt, Mitglied des Patientenbeirats der Schweizerischen Patientenorganisation, präsentierte im abschliessenden Referat ihre persönlichen Erfahrungen als Patientin. Als Long Covid Betroffene sei sie eine dieser «schwierige Patientinnen», die selbst Untersuchungen, Tests und Therapieversuche fordern, viele Ärztinnen und Ärzte aufsuchen und damit «Ärzte-Hopping» betreibe. Ihre Schilderungen zeigen, dass Patientinnen und Patienten – besonders bei noch wenig verstandenen chronischen Krankheiten – aus ihrem Leidensdruck heraus selbst nach Informationen suchen und diese in die ärztliche Behandlung einbringen. So entsteht oft der Eindruck des fordernden Patienten. Sie plädiert dafür, Betroffene stärker einzubeziehen, etwa bei der Entwicklung neuer Guidelines, statt ihnen Vorwürfe zu machen.

Eine Diskussion, die uns weiter beschäftigen wird
Es folgte eine angeregte Diskussion zwischen den Referenten und mit dem Publikum. Dabei wurde deutlich, dass es schwierig ist, zwischen gerechtfertigten und überzogenen Erwartungen und Ansprüchen zu unterscheiden. Besonders bei wenig verstandenen Krankheiten suchen die Patientinnen und Patienten oft verzweifelt nach Antworten, während Ärztinnen und Ärzte den Nutzen einzelner Untersuchungen und Behandlungen kritisch beurteilen – ein idealer Nährboden für Missverständnisse und Konflikte. Klar ist aber auch: Solche Fälle stehen nicht für die breite Bevölkerung. Beim anschliessenden Apéro wurde engagiert weiterdiskutiert – ein Zeichen, dass uns dieses Thema noch länger beschäftigen wird.

Mélanie Lötscher-Stamm ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Gesundheitsökonomische Forschung am WIG.
Simon Wieser ist Institutsleiter des Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie.
Präsentation von Marc Höglinger Co-Teamleitung Versorgungsforschung am WIG
Präsentation von Corinne Chmiel MediX
Präsentation von Chantal Brit Berner Fachhochschule
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