Steigende Gesundheitskosten – ist die Zuwanderung schuld?

Von Prof. Dr. Simon Wieser

Unsere jüngste Studie zu den Gesundheitskosten (siehe früheren Blog) zeigt nicht nur, bei welchen Krankheiten diese Kosten entstehen, sondern auch, was die Treiber des Kostenwachstums sind.

Was ist der Beitrag der Zuwanderung zum Kostenwachstum? Unsere Ergebnisse helfen diese Frage zu beantworten, auch wenn wir sie in der Studie nicht explizit untersucht haben.

Die Studie schätzt den Effekt von vier Kostentreibern auf das Kostenwachstum:

  1. Die Grösse der Bevölkerung,
  2. das Alter der Bevölkerung,
  3. die Häufigkeit der Krankheiten in der Bevölkerung und
  4. die Gesundheitskosten pro erkrankte Person.

Zwischen 2012 und 2017 sind die Gesundheitskosten jährlich um durchschnittlich 3.7% gestiegen. Die Zunahme der Kosten pro erkrankte Person war mit 1.6 Prozentunkten der wichtigste Kostentreiber. An zweiter Stelle kommt das Bevölkerungswachstum mit 1.1 Prozentpunkten gefolgt von der Alterung mit 0.5 Prozentpunkten und der Krankheits-Häufigkeit mit 0.4 Prozentpunkten (zusammengezählt gibt das, mit Rundungsdifferenz, die 3.7%).

Das Bevölkerungswachstum ist mit einem Gewicht von fast einem Drittel ein wichtiger Kostenfaktor und fast ausschliesslich durch die Zuwanderung bestimmt (siehe Grafik oben). Das heisst aber nicht, dass die Zuwanderung für das Wachstum der Gesundheitskosten pro Kopf verantwortlich ist. Für das Prämienwachstum sind allein die Kosten pro Kopf verantwortlich und nicht die Gesamtkosten. Die Zugewanderten müssen ja auch Prämien zahlen und so verteilen sich die gestiegenen Gesundheitskosten auf eine grössere Zahl von Köpfen.

Wie wirkt die Zuwanderung auf die Kostentreiber?

Aber vielleicht beeinflusst die Zuwanderung die Kosten über die anderen drei Faktoren, also die Alterung der Gesellschaft, die Krankheits-Häufigkeit und die Gesundheitskosten pro erkrankte Person.

Beim Alter, das immerhin für 21% der Zunahme der pro-Kopf Gesundheitsausgaben verantwortlich ist (0.5 von 2.6 Prozentpunkten) ist dies sicher nicht der Fall. Da die Zuwanderung vor allem bei den 30- bis 55-jährigen stattfindet, schwächt sie im Gegenteil den Alterungseffekt ab.

Bei der Zunahme der Krankheits-Häufigkeit sollte die Zuwanderung auch kaum eine Rolle spielen. So sind Personen, die ihre Heimat verlassen, oft gesünder als die Bevölkerung im Zuwanderungsland. Die Erkrankten können ihre Heimat oft gar nicht verlassen.

Hinter den Gesundheitskosten pro erkrankte Person, dem bei weitem wichtigsten Kostentreiber, verbergen sich einige Faktoren, die wir bisher noch nicht auseinanderhalten konnten. Neben dem medizinischen Fortschritt umfassen sie vor allem das Verhalten der Anbieter von Gesundheitsleistungen (Stichwort «Überbehandlung») und der Bevölkerung (Stichwort «Nachfrage nach unnötigen Leistungen»). Die Zugewanderten könnten hier kostentreibend sein, wenn sie eine höhere Anspruchshaltung hätten oder aufgrund mangelnder Kenntnisse oder anderen Gewohnheiten öfter die falschen Leistungen in Anspruch nehmen – etwa, wenn sie wegen leichten Beschwerden zum Notfall statt zur Hausärztin gehen.

Meine persönliche Schlussfolgerung: Im Moment sprechen die meisten Argumente eher dafür, dass die Zuwanderung das Prämienwachstum bremst.

Für ein umfassendes Verständnis braucht es aber eine vertiefte Studie zu den Auswirkungen der Zuwanderung auf Krankenversicherungsprämien. So wie eine kürzlich erschienene Studie, die die Auswirkungen der Zuwanderung auf die AHV untersucht hat.

Simon Wieser ist Institutsleiter des Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie.


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