Steigende Ausgaben pro Patient sind der Haupttreiber für den Anstieg der Gesundheitsausgaben

Von Michael Stucki

Nach dem angekündigten starken Anstieg der Krankenkassenprämien stellt sich einmal mehr die Frage: Warum steigen die Gesundheitsausgaben in der Schweiz? Bei welchen Leistungen und Krankheiten ist das Ausgabenwachstum besonders hoch?
Wir haben in einer neuen Studie die gesamten Gesundheitsausgaben nach Krankheiten, Leistungen, Alter und Geschlecht zerlegt und die Ergebnisse genutzt, um den Beitrag diverser Kostentreiber zum Ausgabenwachstum zu schätzen. Der demografische Wandel und die Zunahme der Prävalenz chronischer Erkrankungen haben zwar einen ausgabensteigernden Effekt – der wichtigste Faktor ist allerdings ein Anstieg der Ausgaben pro prävalenten Fall.

Die Gesundheitsausgaben in der Schweiz sind in den vergangenen Jahrzehnten stark angestiegen. Dieses Wachstum beschränkt sich nicht nur auf Leistungen, die durch die obligatorische Krankenversicherung mitfinanziert werden, sondern betrifft das gesamte Gesundheitswesen. Welche Faktoren hinter diesem Anstieg stecken, ist weitgehend unbekannt. Diskutiert werden sowohl nachfrage- als auch angebotsbedingte Faktoren. Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen kann ansteigen, wenn der Bedarf aufgrund des zunehmenden Alters oder der zunehmenden Prävalenz von chronischen Erkrankungen zunimmt oder wenn wir Versicherte aufgrund der teilweisen Versicherungsdeckung zu viel Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen. Ärztinnen und Ärzte oder Spitäler, also das Angebot, können die Ausgaben beeinflussen, wenn mehr oder teurere Leistungen erbracht werden.

Dem Kostenwachstum auf der Spur

In einem mehrjährigen Forschungsprojekt haben wir uns zwei wichtigen Forschungsfragen gewidmet:

  1. Welche Krankheiten kosten wie viel bzw. welcher Teil der Gesundheitsausgaben fliesst in die medizinische Behandlung welcher Krankheiten?
  2. Was ist der Beitrag von vier Kostentreibern zum Wachstum der Gesundheitsausgaben?

Dazu haben wir eine Vielzahl von Datenquellen kombiniert. Unter anderem haben wir Abrechnungsdaten der SWICA, der Suva oder der Invalidenversicherung sowie Daten des Bundesamts für Statistik zu stationären Leistungen verwendet. Diese Daten haben es uns ermöglicht, die Kosten für 48 Krankheiten, Unfälle oder weitere Gründe für die Inanspruchnahme des Gesundheitswesens, 20 Leistungen, 21 Altersgruppen und beide Geschlechter in den Jahren 2012 und 2017 zu schätzen.

Psychische und muskuloskelettale Krankheiten verursachen hohe Kosten

Abbildung 1 zeigt die Gesundheitsausgaben in der Schweiz im Jahr 2017 nach Altersklassen der Patientinnen und Patienten, Leistungen und Art der Krankheit bzw. Verletzung oder Nicht-Krankheit. Rund 80% der Ausgaben waren auf die Behandlung von nicht-übertragbaren Krankheiten zurückzuführen.

Abbildung 1: Gesundheitsausgaben in der Schweiz nach Altersklassen, Leistungen und aggregierten Krankheitsgruppen bzw. Verletzungen und Nicht-Krankheit (2017; Mrd. Franken)

Psychische Erkrankungen waren sowohl 2012 als auch 2017 für den grössten Teil der Gesundheitsausgaben verantwortlich. Ihr Anteil lag 2017 bei 14.3%. Ähnlich hoch war mit 13.8% der Anteil der muskuloskelettalen Erkrankungen. Dahinter folgten neurologische Krankheiten (8.5%), Verletzungen (8.4%) und kardiovaskuläre Krankheiten (7.7%). Krebserkrankungen, die aufgrund des technologischen Fortschritts in den letzten Jahren regelmässig im Fokus von Diskussionen um das Ausgabenwachstum stehen, trugen 6.5% zu den Gesundheitsausgaben bei. Allerdings lag ihr Wachstum zwischen 2012 und 2017 mit 39.9% deutlich über dem Durchschnitt (19.7%).

Höhere Ausgaben pro Patientin und Patient

Die Zerlegung des Ausgabenwachstums zwischen 2012 und 2017 hat gezeigt, dass 43.5% des Anstiegs auf eine Zunahme der Ausgaben pro prävalenten Fall zurückzuführen ist. Für einen Patienten oder eine Patientin wurde also 2017 mehr ausgegeben als 2012, nachdem wir für das Bevölkerungswachstum, die Alterung und die Veränderung der Verbreitung von Krankheiten in der Bevölkerung korrigiert haben. Da sich die Preise im Gesundheitswesen in den betrachteten fünf Jahren praktisch nicht verändert haben, können wir den Schluss ziehen, dass das Wachstum klar auf eine Mengenausweitung zurückzuführen war. Ob es sich um eine Mengenausweitung bei bestehenden Leistungen (z.B. mehr Arztbesuche) oder bei neuen Leistungen (z.B. neue Medikamente) handelte, konnten wir nicht untersuchen.

Nutzen für die Gesundheitspolitik

Die Höhe der Gesundheitsausgaben für eine Krankheit sagt nichts über deren «Effizienz» aus, also dem Grad, in welchem die Ausgaben zu mehr Gesundheit führen. Ein starker Anstieg der Ausgaben für eine Krankheit ist nicht zwingend ein Problem, solange mit dem Geld viel zusätzliche Gesundheit geschaffen wird. Im Gegensatz ist auch ein bescheidener Anstieg der Ausgaben für eine Krankheit problematisch, wenn er nicht mit zusätzlicher Gesundheit einhergeht.

Wir wollen den hier beschriebenen Ansatz in Zukunft nutzen, um genau diese «Ausgaben-Wirksamkeits»-Fragen zu untersuchen. Ähnliche Studien für die USA konnten so aufzeigen, dass die zusätzlichen Ausgaben für kardiovaskuläre Krankheiten zu besonders viel zusätzlicher Gesundheit geführt haben, während der Anstieg der Ausgaben für muskuloskelettale Krankheiten nicht mit entsprechenden Nutzengewinnen einherging.

Die Studie wurde in der Fachzeitschrift BMC Health Services Research veröffentlicht und ist hier verfügbar.

Michael Stucki ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Gesundheitsökonomische Forschung am Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie.


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