Frauen sind keine kleinen Männer: Warum ist Gendermedizin bei DiabetikerInnen wichtig?

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Von Golda Lenzin

Frauen und Männer sind unterschiedlich, klingt logisch, wird in der Medizin aber oft zu wenig beachtet. Gendermedizin oder auch geschlechtsspezifische Medizin gewann in den letzten Jahren an Bedeutung. Die Universität Zürich schaffte den ersten Lehrstuhl für Gendermedizin, die Universitäten Zürich und Bern bieten mit einem CAS eine Vertiefung in die geschlechtsspezifische Medizin an und die Universität Luzern startet ein Modul zu Gendermedizin. Auch hier am WIG bieten sich Gelegenheiten die geschlechtsspezifischen Unterschiede und Auswirkungen zu erforschen und verstehen.

Unser Versorgungsforschungsteam evaluierte ein Disease-Management-Programme (DMP), ein evidenzbasiertes Behandlungsprogramm, für DiabetikerInnen [1]. Ich hatte die Möglichkeit zu analysieren, ob dieses Programm unterschiedliche Auswirkungen auf Geschlechter hat und ob es möglicherweise geschlechtsspezifische Anwendungsunterschiede aufweist. Doch zuerst einmal: warum ist Gendermedizin bei DiabetikerInnen so wichtig?

Sexualhormone haben einen grossen Einfluss auf den Energiestoffwechsel, die Körperzusammensetzung, die Gefässfunktion und Entzündungsreaktionen. Menschen mit Diabetes haben im Vergleich zu Menschen ohne Diabetes ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen, chronische Nierenerkrankungen, bestimmte Krebsarten, körperliche und kognitive Beeinträchtigungen (z. B. Demenz), Depressionen, Atemwegserkrankungen und andere Infektionskrankheiten.

Gross angelegte systematische Übersichten mit Meta-Analysen haben gezeigt, dass das erhöhte Risiko für makrovaskuläre Komplikationen im Zusammenhang mit Diabetes bei Frauen viel höher ist als bei Männern [2]. Das relative Risiko einer koronaren Herzkrankheit ist bei Frauen schätzungsweise 44 % höher, das Schlaganfallrisiko 27 %. In Bezug auf mikrovaskuläre Komplikationen wurde berichtet, dass das Risiko einer Nierenerkrankung im Endstadium bei Frauen 38 % höher ist als bei Männern [3].

Neben biologischen Faktoren können aber auch Unterschiede in der Inanspruchnahme und Bereitstellung von Gesundheitsleistungen eine Rolle beim höheren Risiko von Frauen für diabetische vaskuläre Komplikationen spielen. Die Therapietreue von Frauen ist oftmals deutlich geringer unter anderem wegen unerwünschten Nebenwirkungen. Bei Frauen werden die Therapieziele seltener erreicht und werden weniger aggressiv behandelt als Männer [4], [5],[6]. Eine unzureichende Behandlung führt mit einer grösseren Wahrscheinlichkeit zu mehr Komplikationen, mehr Krankenhausaufenthalten und höheren Gesundheitskosten [7], [8].

Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede in der Diabetes-Behandlung

Ich habe im Rahmen meiner Masterarbeit nach geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Einhaltung der Behandlungsleitlinien gesucht und die Hospitalisierungsraten und Kosten von Diabetikerinnen und Diabetikern verglichen. Meine Ergebnisse zeigen statistisch signifikante Geschlechtsunterschiede bei den Kosten, der Hospitalisierungsrate und leitliniengerechten Versorgung. Die Teilnahme am DMP ist mit einer besseren Einhaltung der Leitlinien verbunden, und zwar bei Männern noch stärker als bei Frauen. Das DMP führt zu einem Anstieg der stationären Kosten, der bei Männern jedoch geringer ausfällt als bei Frauen. Auf die Hospitalisierungsrate hat das DMP keinen geschlechtsspezifischen Einfluss.

In einem weiteren Schritt wäre es spannend nach den Gründen für die unterschiedliche Einhaltung der Leitlinien zu forschen, um eine höhere Treue zu gewährleisten. Denn eine vermehrte Einhaltung würde langfristig auch zu tieferen Kosten und Hospitalisierungen führen.

Golda Lenzin wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Gesundheitsökonomische Forschung am WIG.

[1] Höglinger, M., Wirth, B., Carlander, M., Caviglia, C., Frei, C., Rhomberg, B., Rohrbasser, A., Trottmann, M., & Eichler, K. (2022). Impact of a diabetes disease management program on guideline-adherent care, hospitalization risk and health care costs: A propensity score matching study using real-world data. The European Journal of Health Economics

[2] De Ritter, R., de Jong, M., Vos, R. C., van der Kallen, C. J. H., Sep, S. J. S., Woodward, M., Stehouwer, C. D. A., Bots, M. L., & Peters, S. A. E. (2020). Sex differences in the risk of vascular disease associated with diabetes. Biology of Sex Differences, 11 (1), 1.

[3] Ramírez-Morros, A., Franch-Nadal, J., Real, J., Gratacòs, M., & Mauricio, D. (2022). Sex Differences in Cardiovascular Prevention in Type 2: Diabetes in a Real- World Practice Database. Journal of Clinical Medicine, 11 (8), 2196.

[4] Zhao, M., Vaartjes, I., Graham, I., Grobbee, D., Spiering, W., Klipstein-Grobusch, K., Woodward, M., & Peters, S. A. (2017). Sex differences in risk factor management of coronary heart disease across three regions. Heart, 103 (20), 1587–1594.

[5] Hyun, K. K., Redfern, J., Patel, A., Peiris, D., Brieger, D., Sullivan, D., Harris, M., Usherwood, T., MacMahon, S., Lyford, M., & Woodward, M. (2017). Gender inequalities in cardiovascular risk factor assessment and management in primary healthcare. Heart, 103 (7), 492–498.

[6] Wright, A. K., Kontopantelis, E., Emsley, R., Buchan, I., Mamas, M. A., Sattar, N., Ashcroft, D. M., & Rutter, M. K. (2019). Cardiovascular Risk and Risk Factor Management in Type 2 Diabetes Mellitus: A Population-Based Cohort Study Assessing Sex Disparities. Circulation, 139 (24), 2742–2753.

[7] Williams, J. S., Bishu, K., Dismuke, C. E., & Egede, L. E. (2017). Sex differences in healthcare expenditures among adults with diabetes: Evidence from the medical expenditure panel survey, 2002–2011. BMC Health Services Research, 17 (1), 259.

[8] Zhuo, X., Zhang, P., Barker, L., Albright, A., Thompson, T. J., & Gregg, E. (2014). The Lifetime Cost of Diabetes and Its Implications for Diabetes Prevention. Diabetes Care, 37 (9), 2557–2564.


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