Die unsichtbare Last der Selbstzahlungen steigt mehr als die der Prämien für die obligatorische Krankenversicherung

Von Prof. Dr. Simon Wieser

Ende September wird das Bundesamt für Gesundheit (BAG) über die Prämien der obligatorischen Krankenversicherung für 2021 informieren. Und wieder wird sich die Diskussion zu den Gesundheitskosten fast allein um die steigende Belastung dieser Prämien drehen. Dabei geht vergessen, dass der Teil der Gesundheitskosten, den die Patienten direkt aus der eigenen Tasche bezahlen, ebenfalls sehr hoch ist und ständig steigt – in den letzten Jahren sogar mehr als die Prämien!

Dies zeigt ein Blick in die Statistik zu den Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens des Bundesamts für Statistik. Der Anteil der Selbstzahlungen an den gesamten Gesundheitsausgaben lag 2018 bei 27.3% oder durchschnittlich 2616 Franken pro Jahr und Kopf (Abbildung 2).

Dabei können wir zwei Arten von Selbstzahlungen unterscheiden:

  1. Die offiziell ausgewiesene Beteiligung an den Kosten der obligatorischen Krankenversicherung (OKP) über Franchise (je nach Versicherungsmodell maximal 300 bis 2500 Franken pro Jahr) und Selbstbehalt (10% an den von der Krankenversicherung übernommenen Kosten bis zu maximal 700 Franken pro Jahr).
  2. Die reinen Selbstzahlungen für Leistungen umfassen in erster Linie Leistungen, die nicht von der OKP übernommen werden, wie etwa Zahnbehandlungen und die Hotellerie in Pflegeheimen. Dazu kommen aber auch Rechnungen für Leistungen, die eigentlich von der OKP übernommen würden, aber von den Patienten gar nicht bei der Krankenversicherung eingereicht werden – zum Beispiel, weil sie sie angesichts einer hohen Franchise sowieso selbst zahlen müssten. In unserer kürzlich vom BAG veröffentlichten Studie zum Effizienzpotenzial der KVG-pflichtigen Leistungen haben wir diese Kosten geschätzt.

Nun sind die Selbstzahlungen in den letzten Jahren vor allem wegen der starken Zunahme der reinen Selbstzahlungen gestiegen (Abbildung 3). Dabei ist dieser Kostenanstieg aber weniger von steigenden Ausgaben für Zahnbehandlungen oder die Langzeitpflege getrieben, sondern vor allem von einer starken Zunahme der Ausgaben für ambulante ärztliche Leistungen (Abbildung 1 oben). So haben sich die reinen Selbstzahlungen für diese Leistungen in wenigen Jahren mehr als verdoppelt.

Sind diese rapide steigenden Selbstzahlungen ein Problem? Oder sind sie ein willkommener Beitrag zur Dämpfung des Wachstums der OKP-Prämien?

Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir besser verstehen wer für welche Leistungen zahlt. Problematisch wäre, wenn Patienten mit niedrigem Einkommen immer mehr essenzielle Leistungen selbst bezahlen. Unproblematisch wäre es hingegen, wenn es sich allein um Schönheitsoperationen handelt.

Und für die Zukunft wird es wichtig zu beobachten, inwieweit die laufenden Anstrengungen zur Kostendämpfung bei den OKP-Prämien dazu führen, dass die Patienten immer mehr Behandlungen aus eigener Tasche bezahlen.

Simon Wieser ist Institutsleiter am Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie.


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