Von Johanna Stahl
Was PsychologInnen vermeintlich sind
Mein Name ist Johanna Stahl und ich bin Psychologin. Warum also arbeite ich als Wissenschaftliche Assistenz am Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie (WIG), wo doch schon der Name verrät, dass dort die ÖkonomInnen das Regiment führen? Schliesslich sind PsychologInnen doch die, die PatientInnen mit psychischen Erkrankungen therapieren, häufig mit der Intention Gelerntes auch auf ihre eigenen Neurosen und Störungen anzuwenden. Im Gespräch analysieren sie stets unaufgefordert ihr Gegenüber und auch sonst reizen sie mit ihrem ausgeprägten Helfer-Syndrom ihr Umfeld.
Als ich noch studierte, wurde ich des Öfteren mit diesen und vielen weiteren klassischen Psychologie-Klischees konfrontiert. Und auch heute werde ich in der Regel von irritierten Blicken durchbohrt, wenn ich berichte, dass ich nicht in einer klinischen Einrichtung arbeite und auch nicht therapiere. Ich bin nämlich keine Psychotherapeutin.
Ganz genau, da gibt es einen Unterschied: Nach dem Master- oder Diplomstudium der Psychologie darf man sich PsychologIn nennen. PsychotherapeutInnen sind dagegen PsychologInnen, die sich nach dem Studium noch einer vierjährigen Weiterbildung gewidmet haben, um Menschen mit psychischen Erkrankungen zu therapieren. Sie haben den für die Öffentlichkeit bekanntesten Weg nach dem Psychologiestudium gewählt.
Was PsychologInnen noch so alles können
Psychologie ist so viel mehr als das. So beschäftigen sich die PsychologInnen ausserhalb der klinischen Tätigkeiten unter anderem auch mit der Wahrnehmung und Kognition, dem Lernen und Gedächtnis, der Emotion und Motivation von Menschen. Sie betrachten das Verhalten von Menschen allein und in Gruppen, analysieren Einflüsse der Genetik und Umwelt auf die menschliche Entwicklung und Persönlichkeit und testen, diagnostizieren und verändern das Verhalten von Menschen. Was viele (häufig auch angehende Psychologiestudierende) nicht wissen ist, dass eine Grosszahl an PsychologInnen und so auch ich nach dem Studium Statistik, wissenschaftliches Arbeiten und eine breite Methodenkompetenz aus dem Effeff beherrschen.
Damit sind wir PsychologInnen gut gewappnet für all jene Berufsfelder, in welchen es um den Menschen geht. Auch die Wirtschaft ist ein grosser Teil davon.
Galt zu früheren Zeiten noch der Homo Oeconomicus als state of the art in der Wirtschaft – ein völlig zweckrationales, nutzenmaximierendes Wesen – so wissen wir heute, dass Menschen sich nicht immer rational verhalten. Hier kann die Psychologie Klärung schaffen – und da komme ich ins Spiel: ein bisschen Psycho, ein bisschen Oeconomicus ; )
Was eine Organisationspsychologin am WIG leistet
Psychologische Erkenntnisse auf die Arbeitswelt anzuwenden ist das, worauf ich mich als Organisationspsychologin während meiner universitären Laufbahn vorbereitet habe. Im Team Management im Gesundheitswesen kommt mir und damit auch meinem Team mein im Studium gewonnenes Wissen über all die oben beschriebenen Aspekte zunutze. Und zwar dahingehend, dass ich eine Perspektive miteinbringe, welche die menschliche Psyche in den Gesundheitsunternehmen, die wir beraten und den Projekten, die wir bearbeiten, in den Fokus rückt. Wirtschaftliche Prozesse und das Management dieser können nicht losgelöst von den Menschen, die Teil davon sind, gedacht werden. Das am WIG viel behandelte Thema Lean Management im Spital (siehe z.B. www.leanhealth.ch) beispielsweise bedeutet, bei all den Optimierungsbemühungen die PatientInnen und ihre Bedürfnisse in den Fokus zu nehmen, gleichzeitig aber auch die verschiedenen betroffenen AkteurInnen, die von dem Change betroffen sind, im Rahmen eines Change Management-Prozesses zu berücksichtigen. Value-based Healthcare (VBHC) ist zudem ein Konzept, welches sich ebenfalls an psychologischen Erkenntnissen orientiert und die Sichtweise auf das Gesundheitswesen verändert (siehe Blogreihe von Dr. Florian Liberatore: Teil 1, Teil 2, Teil 3). Diese Veränderung zeichnet sich aus durch eine Abkehr von einer reinen Fokussierung auf Outcomes und Kosten und einer vermehrten Ausrichtung an den Erwartungen, Präferenzen und Bewertungen bezogen auf Outcomes aus PatientInnensicht. So erfordert die Entwicklung von PREMs (Patient Reported Experience Measures) und PROMs (Patient Reported Outcome Measures) Kompetenzen dahingehend, wie PatientInnen eine Behandlung wahrnehmen und Outcomes sowie Prozesse bewerten (siehe Blogbeitrag von Dr. Marc Höglinger zum Thema PROMs in der Psychiatrie). Das Thema Marketing (z.B. an PatientInnen oder Zuweisende gerichtet) benötigt vor allem psychologische Expertise. Aber auch die interprofessionelle Zusammenarbeit, ein aktuell zentrales Thema im Team Management im Gesundheitswesen, benötigt profunde Kenntnisse, wie Teams und Organisationseinheiten, die dann auch noch interprofessionell (z. T. sogar mit Temporärkräften) zusammengesetzt sind, am besten funktionieren können. Und wenn diese Teams sich dann auch noch selbst organisieren sollen – einer der neuesten Trends im Gesundheitswesen – dann sind wir mitten in der Organisationspsychologie.
Gut also, dass wir am WIG gleich mit zwei Psychologinnen (Sarah Schmelzer und ich) vertreten sind. Zwar immer noch in der Unterzahl, jedoch mit hoher Relevanz und viel Freude an der Arbeit.
Johanna Stahl ist Wissenschaftliche Assistentin im Team Management im Gesundheitswesen am WIG.