PROMs in der Psychiatrie – wohin geht die Reise?

Quelle@Colourbox

Von Marc Höglinger

PROMs, Patient Reported Outcome Measures, die patientenorientierte Messung des Gesundheitszustands, hat Hochkonjunktur im Gesundheitswesen. PROMs wie z.B. die Einschätzung der Lebensqualität oder der Alltagsfunktionalität werden mittels standardisierter Befragungen von Patientinnen und Patienten erhoben. Mit den Daten können Therapien evaluiert oder die Performance und Qualität von Gesundheitsdienstleistern beurteilt werden. Auch für das klinische Assessment oder das Monitoring von Patienten eignen sich PROMs. 

Revival eines alten Konzepts

Sowohl in der Forschung als auch für das Qualitätsmonitoring werden PROMs schon seit vielen Jahren eingesetzt. Neu ist, dass der routinemässige Einsatz von PROMs von prominenten Akteuren gefordert und der klinische Nutzen betont wird. Sowohl die Ärzteschaft bzw. die FMH als auch grosse Gesundheitsdienstleister wie z.B. das Universitätsspital Basel propagieren den Einsatz von PROMs zur Qualitätssicherung und zur Förderung einer patientenorientierten Behandlung. Das internationale Konsortium ICHOM versucht die PROMs-Messung weltweit zu etablieren, indem es standardisierte Messinstrumente und -designs entwickelt und frei zur Verfügung stellt.

Patientenperspektive stärken

Eine wichtige Motivation zum Einsatz von PROMs ist es, die Patientenperspektive in der Gesundheitsversorgung zu stärken. Dies kann nur geschehen, wenn die Einschätzungen der Patientinnen und Patienten systematisch und standardisiert erfasst und bei Evaluationen berücksichtigt werden. Denn Patientinnen und Patienten sind die beste Quelle, wenn es darum geht zu beurteilen, wie es ihnen geht und wie wirksam eine bestimmte Therapie ist.

PROMs und Value-Based Healthcare

Im Sinne des Value-Based Healthcare kann mit PROMs der Wert von Gesundheitsdienstleistungen bestimmt werden. Was wenn nicht der durch die Patientinnen und Patienten selbst eingeschätzte Nutzen einer Behandlung soll zentral für die Bewertung von Gesundheitsleistungen sein? PROMs und daraus abgeleitete Kriterien wie z.B. die durch eine Therapie gewonnene Lebensqualität sollten gemäss diesem Ansatz auch zentral für die Vergütung von Leistungen sein.

Und in der Psychiatrie?

Wo stehen PROMs in der Psychiatrie? Ein Cochrane-Review von 2016 zum Nutzen des routinemässigen Einsatzes von PROMs bei Patienten mit psychischen Beschwerden findet gerade mal 17 verwertbare Studien zum Thema. Generell herrscht die Meinung vor, PROMs-Messungen seien in der Psychiatrie noch wenig verbreitet, zumindest deutlich weniger als im somatischen Bereich. Aber einiges deutet darauf hin, dass PROMs auch in der Psychiatrie in naher Zukunft an Bedeutung gewinnen werden: NICE in England empfiehlt die Nutzung validierter PROMs-Instrumente bei der Behandlung von Depressions-Patienten. Dänemark hat eben eine Initiative zur routinemässigen PROMs-Messing bei Patienten mit psychischen Beschwerden lanciert. In der Schweiz werden im Rahmen der ANQ-Qualitätsmessungen bei stationären Psychiatriepatienten eine Art PROMs erhoben, die Brief Symptoms Checklist (BSCL).

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Allerdings sind sog. Selbsteinschätzungen durch die Patientinnen und Patienten in der Psychiatrie bereits seit langem ein etabliertes Instrument zum Assessment, aber auch zur Outcome-Messung bei Therapien. Worin unterscheiden sich diese von den PROMs im eben ausgeführten Sinne? Insgesamt nicht wirklich, PROMs ist tatsächlich v.a. ein neues Label für ein bestehendes Konzept. Allerdings stehen bei der aktuellen PROMs-Diskussion neue Ziele im Fokus, etwa die Messung über eine längere Zeitdauer. Messungen bei Ein- und Austritt genügen nicht. Denn entscheidend ist, wie es den Patientinnen und Patienten langfristig geht, d.h. Wochen, Monate oder gar Jahre nach einem Austritt bzw. einer Therapie. Weiter wird die Vergleichbarkeit der Messung höher gewichtet – die Nutzung von standardisierten Instrumenten und von sog. generischen Instrumenten, welche sich für diverse Patientengruppen eignen, wird dadurch wichtiger.

Herausforderungen und Chancen

Zudem haben neue Erhebungsmöglichkeiten, z.B. via Tablets und Smartphones, die Entwicklung adaptiver Instrumente und die Möglichkeit, den Patienten selbst und den behandelnden Gesundheitsfachpersonen online ein zeitnahes Feedback zu geben, dem Thema eine neue Dynamik verliehen. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten und Chancen für den Einsatz von PROMs. Gerade auch, was das (Selbst-)Monitoring von Patientinnen und Patienten anbelangt.

Partizipative Implementierung

Die Implementierung von PROMs-Messungen ist auch in der Psychiatrie keine einfache Sache wie eine aktuelle Studie zeigt. Oft scheitert es an der Motivation der beteiligten Gesundheitsfachpersonen und Patientinnen und Patienten. Partizipative Implementierungsprozesse (“Co-Creation”) beziehen von Beginn weg alle Beteiligten ein und berücksichtigen die unterschiedlichen Bedürfnisse. Denn – das hat die Erfahrung gezeigt – entscheidend für eine erfolgreiche Implementierung einer PROMs-Messung ist es, alle Beteiligten ins Boot zu holen. Nur wenn sie alle einen Nutzen von der PROMs-Messung haben, lässt sich diese langfristig erfolgreich umsetzen und generiert so tatsächlich einen Mehrwert.

Wohin geht die Reise?

Wie und v.a. wie schnell sich die PROMs-Messung in der Schweizer Psychiatrie in der nächsten Zeit entwickelt, ist stark von der Haltung zentraler Akteure abhängig: Kliniken, Versicherer, die kantonalen Gesundheitsdirektionen, aber auch Psychiaterinnen und Psychiater und andere involvierte Gesundheitsfachpersonen und deren Verbände. Wir werden die Entwicklung mit Spannung verfolgen.

Marc Höglinger ist Versorgungsforscher am WIG, Experte für Erhebungsmethoden und -designs, und lehrt und forscht u.a. zu Lebensqualität und PROMs.

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1 Kommentar

  • Als Praktiker habe ich mit der Standardisierung grosse Probleme. Standardisierte Antworten sind zweifellos für die Forschung wichtig (Validität, Vergleichbarkeit). Aber nicht für den klinischen Alltag. Im klinischen Alltag stelle ich Fragen, deren Antworten mir als Leistungserbringer unmittelbar Wissen generieren und die Behandlung (decision making) verbessern). Dazu brauche ich eine Checkliste. Aber keinen Fragebogen..


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