«KOMMUNIKATION AUF AUGENHÖHE IST WICHTIG»

Der Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH begrüsst mehr Zusammenarbeit mit hoch qualifizierten Health Professionals. Dabei müssten die Rahmenbedingungen stimmen, unterstreicht FMH-Vorstandsmitglied und Hausarzt Carlos Quinto.

VON SUSANNE WENGER

Herr Quinto, können Sie sich vorstellen, hier in Ihrer Gemeinschaftspraxis im ländlichen Baselbiet mit einer Pflegeexpertin – einer Advanced Practice Nurse APN – zusammenzuarbeiten?

Grundsätzlich ja, vor allem bei älteren Patientinnen und Patienten und solchen mit chronischen Erkrankungen. Ich mache Hausbesuche und gehe auch in Pflegeheimen vorbei. Für diesen aufsuchenden Teil kann ich mir eine Aufgabenteilung mit einer APN durchaus vorstellen. Ich müsste sie gut kennen und mich auf ihre Erfahrung und Kompetenz verlassen können. Im Moment wäre sie aber in unserer Praxis nicht genügend ausgelastet.

In einem FMH-Papier ist zu lesen, dass die Ärzteschaft neuen interprofessionellen Versorgungsmodellen positiv gegenübersteht. Warum braucht es diese aus Ihrer Sicht?

Weil die demografische Entwicklung das Gesundheitswesen vor neue Herausforderungen stellt. Die Zahl älterer Menschen mit mehrfachem Unterstützungsbedarf wächst. Um die Versorgungsqualität zu sichern und unnötige Mehrkosten zu vermeiden, sind Koordination und Zusammenarbeit angezeigt. Auch die Patientin, der Patient selber und die Angehörigen sind als Teil des Versorgungsteams zu betrachten. Wie eine solche integrierte Versorgung aussehen könnte, wird im Kanton Basel-Landschaft derzeit im Projekt «Inspire» erforscht, unter Leitung einer Pflegewissenschaftlerin. Da sind auch wir Ärztinnen und Ärzte an Bord. Kommt dazu: Der Hausärztemangel wird in der Schweiz noch einige Jahre spürbar bleiben und 2025 seinen Höhepunkt erreichen. Vor allem ländliche Gebiete und Randregionen sind betroffen.

Nichtärztliche Gesundheitsfachkräfte mit erweiterten Kompetenzen könnten also den Ärztemangel in der ambulanten Grundversorgung auffangen helfen?

Ja, als eine von verschiedenen Massnahmen, je nach Versorgungssituation, Tarifstruktur und Patienten vor Ort. Es gibt nicht ein Modell, das für alle Regionen passt. Der Kanton Uri mit geringer Ärztedichte und grossen Distanzen testet gerade den Einsatz von APN. Wie genau sich Health Professionals mit MasterAbschlüssen ins Gesundheitssystem einfügen, muss zuerst geprüft und entwickelt werden. In der ambulanten Grundversorgung ist ein struktureller Wandel im Gang. Für Einzelpraxen finden sich kaum mehr Nachfolger. Viele Ärztinnen und Ärzte wollen in Gruppenpraxen Teilzeit arbeiten. Zu gross dürfen die Teams aber nicht sein. Ältere Menschen mit mehreren chronischen Erkrankungen wollen nicht jedes Mal von jemand anderem behandelt werden. Sie schätzen Beziehungskonstanz.

Health Professionals mit erweiterten Kompetenzen können Aufgaben übernehmen, die ins ursprünglich ärztliche Gebiet hineinreichen. Stimmen Sie zu?

Wenn Diagnose und Therapierahmen feststehen und ein chronisch kranker Patient einigermassen stabil ist, müsste ich ihn tatsächlich nicht jedes Mal selber sehen. In der Praxis könnten in erster Linie medizinische Praxisassistentinnen, die sich zur medizinischen Praxiskoordinatorin klinischer Richtung MPK weitergebildet haben, Aufgaben übernehmen. Das wäre am günstigsten, vorausgesetzt, im Tarif werden entsprechende Positionen vorhanden sein. Geht es vor allem um pflegerische Aspekte, sind ohnehin die Pflegenden die kompetenten Ansprechpersonen. Nach dem Gesetz muss ich als Arzt minutiös erfasste Pflegeleistungen und -stufen in Heimen visieren, was unsinnig ist. Die Pflege sollte dies eigenverantwortlich tun können. Die FMH unterstützt die Pflegeinitiative, die das verlangt.

Wie schwer fällt es den Ärzten, Aufgaben abzugeben und die traditionellen Hierarchien im Gesundheitswesen hinter sich zu lassen?

Das hängt von der Persönlichkeit und dem Behandlungssetting ab. Ein Stück weit ist es auch eine Generationenfrage. In der Praxis tendieren wir zu flacheren Hierarchien. In gewissen stationären Settings geht es hierarchischer zu und her. Das hat auch mit den Aufgaben dort zu tun, gerade im Akutbereich, wo das Tempo hoch ist. Ich selbst absolvierte einen Teil meiner Ausbildung in den Niederlanden. Dort bekam ich mit, wie selbstverständlich interprofessionelle Teams funktionieren können: kleine, konstante Teams, die respekt voll kommunizieren, die Sichtweise der anderen Profession würdigen und deren Können vertrauen. Und die überzeugt sind, mit vereinten Kräften das beste Resultat für den Patienten zu erzielen.

Dennoch sieht die FMH bei der Aufgabenteilung mit den Gesundheitsberufen offenbar Grenzen.

Verantwortung und Haftung liegen immer noch bei den Ärztinnen und Ärzten. Daher finden wir es sinnvoll, dass die Fäden auch bei ihnen zusammenlaufen. Dies besonders bei medizinisch komplexen Patienten mit mehreren Erkrankungen, die es zu managen gilt. Je nach Problematik, die bei einem Patienten gerade im Vordergrund steht, können aber andere Professionen nach Absprache temporär den Lead übernehmen – von der Pflege über die Soziale Arbeit bis zur Psychologin und weiteren Medizinal- und Gesundheitsberufen. Wichtig ist Kommunikation auf Augenhöhe, damit die Informationen fliessen. Dabei müssen spontane, informelle Absprachen möglich sein. Interprofessionelle Zusammenarbeit kann nicht top-down verordnet und sie darf nicht überreguliert werden. Was wirklich niemand im Gesundheitswesen braucht, ist noch mehr sinnlose Administration.

Wie muss sich das Gesundheitswesen verändern, damit neue Versorgungsmodelle gelingen?

Interprofessionalität beginnt in der Ausbildung, das ist sicher noch ausbaufähig. In der Praxis braucht sie Zeit, die abgegolten werden muss. Den Ärzten wird seit 2018 pro Patient und Quartal gerade mal noch eine halbe Stunde für sämtliche Koordinationsleistungen zugestanden. In den Tarifsystemen nichtärztlicher Berufe gibt es dafür offenbar gar keine klaren Positionen. Im Bildungssystem qualifizieren wir Gesundheitsberufe höher, bilden das aber noch nicht in den Tarifsystemen ab. Das ist ein ökonomisches Unding. Zumal ja unter dem Strich von einer kostendämpfenden Wirkung auszugehen wäre. Health Professionals mit erweiterten Kompetenzen konnten bisher gar nicht richtig durchstarten. Der Experimentierartikel würde hier die Chance bieten, innovative Versorgungsmodelle in Kantonen und Regionen zu testen. Allerdings entstehen nur dann brauchbare Lösungen, wenn alle involvierten Berufsleute adäquat partizipieren. //

«Vitamin G», Seite 12-13


Carlos Quinto ist Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und in einer Gemeinschaftspraxis in Pfeffingen (BL) tätig. Der 53-Jährige hat zudem einen Lehrauftrag am Universitären Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel inne. Im FMH-Zentralvorstand, in dem er seit 2016 Mitglied ist, betreut er das Dossier Public Health und Gesundheitsberufe.


WEITERE INFORMATIONEN

Magazin «Vitamin G – für Health Professionals mit Weitblick»


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