«Kinder sind keine kleine Erwachsenen»

In den ersten Lebensjahren legen wir das Fundament für die körperliche und seelische Gesundheit im Erwachsenenalter. Ein triftiger Grund, weshalb das Departement für Gesundheit einen Fokus auf die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen legt.

VON MICHAELA MÄDER

Während der Corona-Krise haben sich die Meldungen rund um die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen überschlagen – viele waren äusserst alarmierend. Jugendliche und junge Erwachsene sind von allen Altersgruppen psychisch am meisten von den Folgen der Pandemie betroffen, wie der Corona-Report 2021 von Pro Juventute Schweiz aufzeigt. So haben Beratungen zu den Themen «Suizidgedanken», «Autoagression/Ritzen», «Sich-Sorgen-Machen um Freundinnen und Freunde» oder «Depressive Stimmung» stark zugenommen. Für Pro Juventute ist klar: Das gesellschaftliche Ziel muss sein, die Resilienz der Kinder und Jugendlichen zu stärken und ihnen Bewältigungsstrategien an die Hand zu geben, damit sie für künftige Krisen besser gewappnet sind.

Das ist allerdings einfacher gesagt als getan. Bei Kindern und Jugendlichen sind psychische Probleme oftmals nur schwer feststellbar. Das frühe Erkennen von Entwicklungsschwierigkeiten ist jedoch zentral, um einem negativen Verlauf entgegenzuwirken. Die ZHAW-Institute für Public Health und Angewandte Psychologie haben deshalb im Forschungsprojekt «Take care» Flyer und Broschüren mit konkreten Tipps erarbeitet, die Jugendliche, Eltern und Fachpersonen für die psychische Gesundheit sensibilisieren. So wird den Eltern beispielsweise geraten, dass sie ihre Kinder jeden Tag ein schönes Erlebnis aufschreiben oder zeichnen lassen sollen. Das trainiere eine optimistische Haltung gegenüber dem Leben. Ausserdem kann es helfen, wenn Eltern als gute Vorbilder vorangehen – etwa bei der Nutzung von digitalen Medien oder indem sie offen mit Gefühlen umgehen. Denn Kinder übernehmen viele Verhaltensmuster der Eltern durch Abschauen.

Für eine bessere körperliche Gesundheit

Nicht nur die psychische, auch die physische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen bildet einen Schwerpunkt am Departement Gesundheit. Aus- und Weiterbildungen zu diesem Thema werden stetig ausgebaut – zum Beispiel am Institut für Pflege. «Das Modul ‹Pflege von Kindern, Jugendlichen, Frauen und Familien› wurde von drei auf sechs ECTS Punkte erweitert und ist fester Bestandteil des Grundstudiums», erklären Simona Thalmann und Ursula Heinrich, beide Dozentinnen im Bachelorstudiengang Pflege. «Der Ausbau des Studiums gab uns die Möglichkeit, das Lehrspektrum vom Frühgeborenen bis hin zum Jugendlichen besser abzudecken. Die Spannbreite ist enorm, die Pflege muss individuell und patientengerecht gestaltet werden», so Simona Thalmann.

Um Studierenden künftig eine noch fundiertere Ausbildung bieten zu können, sieht die aktuelle Lehrplan-Anpassung ein Vertiefungsmodul «Pädiatrie» für das sechste Semester vor. «In diesem Vertiefungsmodul haben wir die Möglichkeit, den Studierenden noch spezifischere Inhalte in Bezug auf die Pädiatrie zu vermitteln», sagt Ursula Heinrich. «Der Fokus liegt dabei klar auf den Softskills: Wie führe ich anspruchsvolle Gespräche mit Eltern? Wie trete ich mit Kindern in Kontakt? Wie berühre ich Säuglinge? So möchten wir Studierende optimal für den Berufsalltag – hoffentlich in der Pädiatrie – vorbereiten», führt die Dozentin aus.

Dem Fachkräftemangel entgegenwirken

Lehrplan-Anpassungen stehen auch am Institut für Physiotherapie an. Gemäss Schirin Akhbari Ziegler, Leiterin Schwerpunkt Pädiatrie MSc Physiotherapie, hat sich das Angebot in den letzten Jahren stark weiterentwickelt: Zu Zeiten der höheren Fachschulen wurde die Kinderphysiotherapie in Kursen gelehrt, seit 2006 ist sie fester Bestandteil in Lehre und Weiterbildung an der ZHAW. «Nun ist es höchste Zeit für einen Ausbau des Angebots», sagt Akhbari Ziegler. Das Institut führt die Studierenden neu schon im dritten Semester an das Spezialgebiet heran, um ihre Leidenschaft möglichst früh zu entfachen. Damit hofft man auch, dem Fachkräftemangel in diesem Bereich entgegenzuwirken – für eine altersgerechte Behandlung der nächsten Generation: «Kinder und Jugendliche sind keine kleinen Erwachsenen. Man kann Behandlungsmethoden für Erwachsene nicht einfach übernehmen», so Akhbari Ziegler.

Familienzentriert: das Stichwort der Stunde

Sind psychische Probleme oder psychosoziale Anpassungsschwierigkeiten bei Kindern erkannt, wird häufig Ergotherapie als medizinische Massnahme verschrieben. Dort erfahren Kinder und Jugendliche beispielsweise mit ADHS, Depression, Autismus-Spektrum-Störung oder Anorexie Momente der Selbstwirksamkeit und des positiven Lernens. Auch das soziale Umfeld der Kinder und Jugendlichen spielt im Behandlungsprozess eine Schlüsselrolle. «Familien müssen in ihrem Alltag mit Kindern besser unterstützt werden. Dafür brauchen Ergotherapeutinnen und therapeuten vermehrt einen systemischen, familienzentrierten Ansatz», sagt Beate Krieger, Dozentin für Ergotherapie an der ZHAW. Deshalb werden in den sechs Semestern des Bachelorstudienganges mindestens 250 Stunden pädiatrische Inhalte vermittelt und ein Drittel der Studierenden macht eines der drei Praktika im Bereich der pädiatrischen Ergotherapie. Auch in der Pflege steht die Familie im Zentrum: «Ich sage meinen Studierenden immer, dass sie in der Pädiatrie nicht nur mit erkrankten oder verunfallten Kindern und Jugendlichen zu tun haben, sie müssen auch die Eltern, Geschwister und andere Bezugspersonen mit ins Boot holen. Eine familienzentrierte Pflege ist daher nicht mehr wegzudenken und in den meisten Gesundheitsinstitutionen zum Glück mittlerweile selbstverständlich», erläutert Simona Thalmann.

Bonding zwischen Eltern und Säuglingen

Und was macht das Institut für Hebammen? «Ein Schwerpunkt unserer Ausbildung bildet das sogenannte Bonding», sagt Sandra Grieder, Dozentin und Modulverantwortliche im Bachelorstudiengang Hebamme. Es geht dabei um die prägende Phase der beginnenden emotionalen Beziehung zwischen einem Säugling und seinen Eltern. Denn Studien beweisen, dass Erlebnisse des Säuglings während der Schwangerschaft und Geburt einen starken Einfluss auf die spätere Bindung des Kindes mit seinen Eltern haben. Dem wird über die ganze Ausbildung hinweg mit theoretischem und praktischem Unterricht Rechnung getragen. «Die Studierenden lernen beispielsweise, während der gesamten Schwangerschaftsuntersuchung das ungeborene Kind durch direkte Ansprache in ihre Handlungen mit einzubeziehen – über Sprache, Berührung und durch aktives Erfragen der Empfindungen der Frau. So unterstützt die Hebamme die Selbstkompetenz der werdenden Mutter und das Bonding zwischen Mutter und Kind», führt Grieder aus. Damit wird schon früh der Weg für ein möglichst gesundes Leben geebnet. Und mehr noch: Vom pädiatrischen Knowhow der angehenden Gesundheitsfachleute profitieren nicht nur heutige Kinder, sondern alle nachfolgenden Generationen. //

Vitamin G, S. 11-12


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