«Alle sollen faire Chancen erhalten»

Seit August leitet Andreas Pfister gemeinsam mit Julia Dratva das Institut für Public Health an der ZHAW. Was treibt den Forscher im Leben an? Und wie soll sich das Institut in Zukunft entwickeln? Eine Begegnung.

Von Lucie Machac

Wirft man einen Blick in Andreas Pfisters Biografie, fällt eine Sache sofort auf: Das konsequente Engagement für Menschen, die nicht auf der Sonnenseite stehen. «In meinem Elternhaus waren soziale Werte sehr wichtig und in einem gewissen Sinn ziehe ich diese Prägung in meiner Arbeit wohl weiter», sinniert der 44-Jährige. «Ich habe viel Verständnis für unterschiedliche Lebensentwürfe und setze mich gern dafür ein, dass alle in unserer Gesellschaft faire Chancen erhalten.» In seiner wissenschaftlichen Arbeit fokussiert sich Pfister auf gesundheitliche Chancengerechtigkeit, Diversität sowie chancengerechte Prävention und Gesundheitsförderung.

Dass der gebürtige Surseer in die Forschung einsteigen und an Fachhochschulen unterrichten würde, war jedoch nicht Pfisters einziger Plan. Neben Sozialpädagogik und Publizistik hat er Musikwissenschaften studiert, weil er eine Zeit lang mit einer Karriere am Klavier liebäugelte. «Irgendwann wurde mir jedoch bewusst, dass die Konkurrenz zu gross ist.» Heute ist Klavierspielen neben Singen sein Hobby. Gleichzeitig hat ihn bereits während des Studiums «die Schnittstelle zwischen Gesundheit und Sozialem sehr gereizt», was unter anderem dazu geführt hatte, dass er 2009 über das HIV-Schutzverhalten von Männern im Sexgewerbe promovierte. Ein Thema, das damals wie heute noch wenig erforscht ist. «Als Wissenschaftler interessieren mich Minoritäten, die oft unter dem Radar bleiben», begründet Pfister seine Themenwahl.

Der Praxisbezug ist zentral

Nach dem Doktorat an der Uni Zürich wollte der Mittdreissiger jedoch erst einmal Praxiserfahrung sammeln. Seine «Lern- und Wanderjahre», wie er diese Zeit nennt, verbrachte er unter anderem als Projektleiter bei der Suchtpräventionsstelle der Stadt Zürich und als Koordinator der Bereiche Diversity und Internationales am Departement Angewandte Psychologie der ZHAW. Danach war für den promovierten Sozialpädagogen klar: «Mein Platz wird an einer Fachhochschule sein, weil mir der Praxisbezug wichtig ist.» 2014 trat er eine Stelle als Dozent, später als Professor an der Hochschule Luzern im Bereich Soziale Arbeit an.

Während dieser Zeit war er unter anderem Co-Leiter der ersten nationalen Gesundheitsbefragung von LGBTQ+-Menschen in der Schweiz, die die Hochschule Luzern im Auftrag des BAG durchführte. Gemeinsam mit seinem Forschungsteam entwickelte Pfister zudem ein methodisches Verfahren, um die Suizidversuche bei LGBTQ+-Jugendlichen besser zu erforschen. Daraus ist nun eine vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Studie entstanden. Ähnlich wie schon bei seiner Dissertation nimmt Pfister damit die Anliegen von Minoritäten auf, um die sich die Forschung noch wenig kümmert. Bisher gibt es keine Studie, die die Hintergründe von Suizidversuchen von LGBTQ+-Jugendlichen in der Deutsch- und Westschweiz qualitativ untersucht hat.

Als Queer-Experte will sich Pfister jedoch nicht schubladisieren lassen. «Die LGBTQ+-Community ist ein Fokus meiner Arbeit, aber längst nicht der einzige», betont der Wissenschaftler, der selbst Teil dieser Community ist und in einer Partnerschaft mit einem Mann lebt. Pfister untersuchte etwa auch den Zugang sozial benachteiligter Familien zur Suchtprävention und die Teilhabe von Menschen mit einer Beeinträchtigung. Sein Etikett als LGBTQ+-Fachmann führt er primär darauf zurück, dass das Thema derzeit öffentlich sehr stark wahrgenommen werde. «Die Gesellschaft ist diverser geworden und das reflektieren zunehmend nicht nur die Medien, sondern auch die Forschung.»

Eine gute menschliche Basis

Pfisters Anliegen an die Forschung geht allerdings noch weiter: Die gesellschaftliche Vielfalt sollte künftig als Querschnittsthema abgebildet werden, anstatt bestimmte Gruppen wie die Queer-Community separat zu untersuchen. Diese Vorgehensweise birgt laut Pfister die grosse Gefahr, dass sich die Forschung vor allem auf die Probleme dieser Gruppen fokussiert. «Das ist nicht differenziert und auch für die Gruppe selbst nicht sehr hilfreich.» Pfister gibt zu bedenken, dass sich zum Beispiel Jugendliche von einer problembehafteten Queer-Identität abgeschreckt fühlen könnten.

Seit August 2022 leitet Andreas Pfister nun gemeinsam mit Julia Dratva, die bisher Forschungsleiterin war, das Institut für Public Health an der ZHAW. Dass er als Co-Institutsleiter nicht mehr hauptsächlich forschen und unterrichten wird, nimmt er gelassen. «Ich habe in den letzten Jahren gemerkt, dass ich gern Strategien vorwärtstreibe und Mitarbeitende in ihrer Entwicklung fördere.» Und was schätzt er an seiner neuen Kollegin Julia Dratva? «Ich mag ihre klaren Haltungen und ihre erfrischend unkomplizierte Art in der täglichen Zusammenarbeit.» Umgekehrt schätzt Dratva Pfisters Sinn für Humor und «dass er sich so schnell ins Institut hineindenken konnte». Beide betonen, dass sie «menschlich sehr schnell eine gute Basis» gefunden haben, obwohl sie sich «blind-date-mässig» erst während des Bewerbungsverfahrens kennengelernt hatten.

Dratva kümmert sich künftig vor allem um die Bereiche Forschung und Weiterbildung, Pfister ist für die Lehre zuständig. Auf erste strategisch wichtige Schritte hat sich das Duo bereits geeinigt: «Wir möchten die Forschung und die Lehre noch besser verknüpfen, um einerseits das evidenzbasierte Studium zu stärken und andererseits die Praxiserfahrung der Dozierenden besser in die Forschung zu integrieren», so Pfister. «Gleichzeitig streben wir einen Master of Science in Public Health an», so Dratva. Dabei stelle sich vor allem die Frage, was Public Health Professionals in 20 Jahren können müssen. «Derzeit sind wir daran, das Konzept zu erarbeiten, und möchten nächstes Jahr den Antrag an die Hochschulleitung stellen.» //

Vitamin G, S. 6-7


Andreas Pfister
ist Co-Leiter des Instituts für Public Health an der ZHAW. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Chancengerechtigkeit in Gesundheitsförderung und Prävention, Suchtprävention, sexuelle Gesundheit, Diversität und Inklusion. Aktuell untersucht er in einer Studie die Hintergründe von Suizidversuchen von LGBTQ+-Jugendlichen.


Julia Dratva
ist Co-Leiterin des Instituts für Public Health an der ZHAW. Ihr Hauptforschungsgebiet ist die Kinder- und Jugendgesundheit. Aktuell erforscht sie die sekundären Auswirkungen die Gesundheit von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.


Weitere Informationen

Magazin «Vitamin G – für Health Professionals mit Weitblick»


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