Von JULIE PAGE, Leiterin Bachelorstudiengang Gesundheitsförderung und Prävention.
Als mündige Personen haben wir das Recht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Damit verbunden ist die Pflicht, unseren Alltag eigenverantwortlich zu gestalten, etwa in Hinblick auf unsere Gesundheit. Um diese langfristig zu erhalten und bei Krankheit schnell zu genesen, sollen wir uns möglichst gesundheitsfördernd verhalten. So der aktuelle Zeitgeist.
Dieses Gesundheitsverständnis birgt die Gefahr, dass soziale Ursachen von Gesundheit und Krankheit aus dem Blick rücken. Dabei sind die Faktoren, die Gesundheit schützen oder bedrohen, in der Bevölkerung erwiesenermassen ungleich verteilt. Nicht alle Mitglieder unserer Gesellschaft haben die gleichen Chancen, ihr Gesundheitspotenzial zu verwirklichen.
Die einseitige Betonung der Eigenverantwortung fördert die Entsolidarisierung zwischen «Gesunden» und «Kranken». Beispiel dafür ist die Initiative «Komatrinker sollen Aufenthalte in Spital und Ausnüchterungszellen selberbezahlen», die der Nationalrat 2015 erfreulicherweise abschrieb. Sie brach mit dem Solidaritätsprinzip und wies Jugendlichen die Rolle der Problem- verursacher zu, obschon 90 Prozent der Hospitationen aufgrund von Alkoholvergiftungen Erwachsene betreffen. Um Gesundheit zu erhalten, braucht es nebst Eigenverantwortung gesundheitsfördernde gesellschaftliche Voraussetzungen. Im Beispiel des Komatrinkens könnte dies bedeuten, die Alkoholwerbung stärker zu regulieren. Solche Rahmenbedingungen schaffen weder Einzelpersonen noch der Gesundheitssektor alleine. Sie liegen in der Verantwortung von Politik und Gesellschaft als Ganzes. Deshalb legen wir Wert darauf, dass unsere Studierenden ein Bewusstsein für die sozialen, kulturellen, ökonomischen und umweltbedingten Faktoren entwickeln, die unsere Gesundheit beeinflussen. In ihrer späteren Tätigkeit sollen sie nicht nur auf die individuelle Gesundheitskompetenz einwirken, sondern auch gesellschaftliche Bedingungen mitgestalten. Gefragt ist eine Grundhaltung, die Eigenverantwortung an soziale Mitverantwortung koppelt und die das Wohl aller Menschen – auch solcher in nachteiligen Lebenslagen – ins Zentrum stellt.
«Vitamin G», Seite 5
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