Es gibt ihn also doch: den Fachkräftemangel. Die akuten Auswirkungen habe ich eben am eigenen Leibe erlebt, als ich eine Woche mit meinem Sohn in der Quarantäne des Kinderspitals ausharren musste. Februar ist High Season mit Grippe und Ski-Unfällen: Das Personal ist permanent am Anschlag, was sich zwangsläufig auf die Qualität auswirkt. Natürlich ist das Kispi in dieser Hinsicht kein Einzelfall und meine Beobachtungen lassen sich wohl auf das Gros der Spitäler übertragen. Aber wenn es die eigenen Kinder betrifft, ist man immer auch noch eine Spur sensibler…
Neue Rekrutierungs-Strategie
Das Kispi kämpft an vorderster Front gegen den Fachkräftemangel und hat unlängst mit seiner ungewöhnlichen 15-Sekunden-Rekrutierungs-Strategie Schlagzeilen gemacht. Die Idee ist simpel und bestechend: Die Bewerbung erfolgt unkompliziert ohne CV oder Motivationsschreiben.
Bereits in einem zweiten Schritt wird man zu einem Probetag in das Spital eingeladen, sodass die Bewerber den Alltag direkt miterleben und sich bewähren dürfen. Dies ist ein kluger Schritt, gilt die Arbeitsprobe ja als das mit Abstand sowohl aussagekräftigste als auch am besten akzeptierte Selektionstool. Die kleinen Werbefilmchen, in welchen Fachpersonen aus ihrem Alltag erzählen, sind sicher nicht das Allerneuste, runden aber die Employer Kampagne Kispi-Spirit sehr gut ab.
Kommunikation & Prozesse
Doch reicht das? Oder liegt das Hauptproblem nicht ganz woanders? Auffällig ist jedenfalls, dass gewisse und zum Teil wichtige Informationen leider nicht fliessen, und zwar auf mehreren Ebenen: Von den Fachpersonen zum Patienten (unterschiedliche Infos von verschiedenen Fachkräften, unklar oder nicht kommunizierte Zuständigkeiten), aber auch innerhalb der Belegschaft (zwischen den Abteilungen, zwischen den Hierarchien). Als Patienteneltern fragt man sich dann, warum man zum (gefühlten) hundertsten Mal die Krankheitsgeschichte des kleinen Patienten herunterbeten muss? Und wieso gewisse Abläufe oder Verhaltensvorgaben, sagen wir mal, sehr frei interpretiert werden. Ist es aus Unwissen, Unachtsamkeit oder Zeitnot? Wird das überprüft? Welche Konsequenzen hat das Nicht-Einhalten von Vorgaben – sowohl seitens der Patienten als auch des Personals? Klar: wenn mehr Personal zur Verfügung stünde, wäre mehr Zeit für eine sorgfältige Übergabe, für ausführlichere Patientengespräche, für Rapporte, für die Einhaltung von Prozessen und Verhaltensvorgaben vorhanden. Aber wahrscheinlich handelt es sich hier nicht zuletzt auch um ein generell organisationales Problem. Zugegeben, die Koordination einer Spitalbelegschaft ist kein Kinderspiel – aber im Bereich Prozesse gäbe es sicherlich Verbesserungspotenzial.
Hierarchie & Wertschätzung
Bezüglich Austausch von Informationen gibt es aber noch ein anderes Problem. Die ausgeprägte Hierarchie in den Spitälern ist oftmals ein Hindernis für effektive Kommunikation und deshalb eine häufige Fehlerquelle. Sprich: man getraut sich nicht, eine hierarchisch höher gestellte Kollegin auf Fehler hinzuweisen. Die Spitäler sind sich dessen zwar bewusst, aber ein Kulturwandel kommt ja nicht von heute auf morgen. Auch hier können klare und konsequente Prozesse und Kommunikationswege Verbesserung schaffen. Das Kispi geht hier noch einen Schritt weiter, indem es die Patienteneltern einbindet und zu mehr Eigenverantwortung aufmuntert. In einem Flyer werden die Eltern angehalten, das Personal bei Fehlverhalten unbedingt darauf hinzuweisen. Also: der Halbgott in Weiss war definitiv gestern.
Schliesslich liegt die Ursache für den Fachkräftemangel im Pflegebereich ja noch viel tiefer. Geringe Wertschätzung und tiefe Löhne werden den psychisch und physisch an sich schon enorm anspruchsvollen Pflegeberufen in keiner Weise gerecht. Hinzu kommt, dass die Rahmenbedingungen in der Regel auch nicht gerade verlockend sind: Schichtarbeit, stark hierarchisch geprägte Organisationskultur, Zusatzbelastung wenn Kollegen ausfallen, wachsende Bürokratie, um nur ein paar Faktoren zu nennen. Kein Wunder überlegt man es sich zweimal, überhaupt eine Ausbildung als Pflegefachperson ins Auge zu fassen.
Aber vielleicht sind auch hier Roboter die Lösung: keine Hierarchien, keine Schichtzulagen, zuverlässige Medikamentenausgabe, automatischer Datenfeed und –austausch. Dann müsste das Kispi nur noch Clowns rekrutieren: Lachen macht ja gesund!