Gute Lernvideos für die FH-Stufe

Beitrag von Ivo Kaelin

Foto: Colourbox Education

Unsere Studierenden nutzen die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation intensiv: So werden Chats, Videoplattformen und soziale Netzwerke von 86% der 15- bis 29-jährigen in der Schweiz aktiv genutzt (Quelle: Statista.com, 2017). Erstaunlich ist jedoch die Tatsache, dass die Nutzung dieser Kanäle primär privaten Zwecken dient. Lernvideos zur Aneignung von Studieninhalten werden häufig nur dann angesehen, so sie integraler Bestandteil der Lehrveranstaltung sind. Im Rahmen eines E-Learning-Projektes am Departement Life Sciences und Facility Management der ZHAW haben wir den Konsum von Lernvideos bei Studierenden im ersten Studienjahr untersucht. Zusätzlich wurde auch eine Plattform zur Sammlung guter Videoressourcen entwickelt, die von Studierenden und Dozierenden für den punktuellen Einsatz von Lernvideos im Unterricht genutzt werden kann.  

Potentialanalyse von MOOCs

Ausgangspunkt des Projekts war die Fragestellung, inwiefern sich die bestehenden Angebote an Massive Open Online Courses (MOOCs) als Gesamtpaket für unsere Studierenden im Grundstudium eignen. Exemplarisch wurde diese Potentialanalyse für das Studienfach Physik (als Vorkurs bzw. im 1. Studienjahr) nach folgendem Kriterienkatalog durchgeführt:

  • Sprache
  • Stufe
  • Stoffinhalt
  • didaktisches Konzept
  • Verfügbarkeit

Bei der Recherche auf den entsprechenden Plattformen (Edukatico, edX, Udacity, coursera, Iversity, …) hat sich gezeigt, dass es sich mit den MOOCs ähnlich verhält wie mit anderen Lehrmitteln: Das perfekte, auf unsere Zielgruppe (FH-Studierende im Bereich Life Sciences) zugeschnittene Gesamtangebot existiert schlicht (noch) nicht!

Hinzu kommen die bekannten MOOC-Facts, dass
a) die Abbruchquoten der klassischen MOOC-Formate hoch ist (je nach Quelle bis zu 99%),
b) es sich bei über 80% um englischsprachige Angebote handelt, die einem Studienanfänger nicht unbedingt zugemutet werden können,
c) es vielfach abgefilmte Vorlesungen und nicht didaktisch aufbereite Sequenzen sind und
d) mehr als 80% der Teilnehmenden bereits über einen Hochschulabschluss verfügen und diese Angebote mehr zu Weiterbildungszwecken als zum Grundstudium geeignet sind.

Aktueller Konsum von Lernvideos

Klassische MOOCs decken unsere Bedürfnisse also nicht ab. Andererseits existiert auf den einschlägig bekannten Videoplattformen (khanacademy.org, Youtube.com) eine grosse Anzahl von Lernvideos unterschiedlicher Qualität zu den im Grundstudium vermittelten Inhalten. Somit stellte sich die Frage, ob diese Ressourcen bereits ergänzend zum Unterricht genutzt werden, und falls ja, welche bzw. wie oft? Vor diesem Hintergrund haben wir die Studierenden im ersten Studienjahr (5 Studiengänge, insgesamt 426 Studierende im FS 2017) zu ihrem Lernverhalten befragt. Insbesondere interessierte dabei die Frage, wieviel Zeit pro Woche sie aktuell nebst dem Unterricht zum Lernen aufwenden und wieviel Zeit davon Lernvideos geschaut werden.

Die Resultate der Umfrage (s. Grafik) zeigen, dass die Studierenden Videoplattformen noch sehr wenig zur Aneignung von Lerninhalten nutzen. Im Median betrug der Anteil der Lernvideos an der gesamten Lernzeit ca. 10%, d.h. rund die Hälfte der antwortenden Studierenden (n=298) rapportierte, weniger als einen Zehntel Ihrer Lernzeit mit dem Konsum von Lernvideos zu verbringen. Zudem gaben die Studierenden an, die Videos primär auf Empfehlung von Mitstudierenden bzw. Dozierenden anzuschauen. Einige wenige konsumieren bereits jetzt ausschliesslich Videoressourcen zur Aneignung von Lerninhalten (siehe „Ausreisser nach oben“).

Zusammengefasst lässt sich festhalten: Unsere Studierenden konsumieren gar nicht so viele Lernvideos, es sei denn sie werden dabei angeleitet.

Verteilung des Verhältnisses vom Konsum von Lernvideos zur totalen Lernzeit ausserhalb des Unterrichts. Insgesamt wurden 5 Studiengänge im ersten Studienjahr am Departement Life Sciences und Facility Management der ZHAW befragt (n=298). Grafik: ZHAW

Unsere Resultate decken sich diesbezüglich mit den Erkenntnissen des Hochschulforums Digitalisierung „THE DIGITAL TURN“ (2016): „Die weitverbreitete private Nutzung digitaler Medien von Studierenden überträgt sich nicht zwangsläufig auf den Hochschulalltag. Studierende nutzen im Regelfall die Angebote, die ihnen von den eigenen Lehrenden angeboten werden, und selten frei verfügbare digitale Formate. Nur dort, wo digitale Medien einen obligatorischen Bestandteil des Lernprozesses ausmachen, ist ihre Verbreitung bereits heute hoch.“

Dies hat sich auch deutlich im Rahmen unserer Umfrage gezeigt. So wurde in jenem Studiengang, in welchem Lernvideos bereits regelmässig bei mindestens einer Lehrveranstaltung eingesetzt werden, ein signifikant höherer Anteil dieser Lernform an der gesamten Lernzeit festgestellt.

Sammlung guter Lernvideos

Das Potential dieser Lernressource wird somit bisher noch nicht ausgeschöpft. Wozu sich das Format der Lernvideos aber unserer Meinung nach sehr gut eignet, ist der im Rahmen einer Lehrveranstaltung eingebettete, punktuelle Einsatz. Hierzu müssen die auf Plattformen wie YouTube oder Khan Academy zugänglichen Videos sorgfältig von den entsprechenden Lehrpersonen gesichtet und für gut befunden werden, bevor man sie den Studierenden zur Verfügung stellt.

Diesen Ansatz verfolgt die im Rahmen dieses E-Learning-Projektes entwickelten Lernvideosammlung. Im Laufe der Zeit soll studiengang-übergreifend eine Sammlung nützlicher Lernvideos für den punktuellen Einsatz im Unterricht entstehen, welche den Präsenzunterricht bereichert. In der ersten Phase ist eine Lernvideosammlung aus den Bereichen Physik, Mathematik und Informatik entstanden, die nun geprüft wird.

Wir sind zuversichtlich, dass die stetig wachsende Lernvideosammlung sowohl für Studierende als auch Dozierende durch regelmässige Nutzung zukünftig einen Mehrwert generiert.

Foto: Colourbox Education

Beitrag von Ivo Kaelin

 


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