Juliana Lujic weiss, dass Sprachliche Integration weit mehr bedeutet, als eine Sprache zu lernen. Mit ihrem Studium möchte sie anderen Menschen den Schritt hin zum Gefühl von Heimat erleichtern. Ein Beitrag darüber, wie eine junge Studentin in Geschichten verschiedenster Menschen Erfüllung findet und weshalb sie im Perspektivenwechsel den Weg zum Ziel sieht.
von Sarina Bopp, Studentin Bachelorstudiengang Kommunikation, 4. Semester, am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW, Mitglied der Studi-Redaktion*
«Dom je tamo gdje je srce. Das trifft es wohl am besten», spricht die Studentin das kroatische Sprichwort aus. «Heimat ist, wo das Herz zu Hause ist.» Ein Lächeln umspielt Julianas Lippen, während sie weiter über dieses Wort nachdenkt. Ein Begriff zusammengesetzt aus sechs simplen Buchstaben und dennoch von so weiter Bedeutung: Heimat. «Wohlfühlen», ergänzt sie, «Du gehörst dazu, obwohl du eigentlich nie dort bist.» Sie kennt dieses Gefühl. Es umgibt sie, wenn sie sich in Bosnien wiederfindet. Jedes Jahr zieht es sie in das ferne Dorf zu ihrer Grossmutter. Es ist diese kroatische Region innerhalb von Bosnien, die Juliana ihre zweite Heimat nennt. Und dennoch weiss die Studentin: Es braucht viel, um sich an einem Ort zu Hause zu fühlen. Gerade deshalb möchte sie anderen mit ihrem Studium diesen Weg erleichtern. Es ist eine Herzensangelegenheit, deren Ursprung eine Generation tiefer in die Vergangenheit reicht.
Zwei Elternteile – zwei sprachliche Integrationsprozesse
«Mein Vater kam bereits mit 14 Jahren von Ex-Jugoslawien in die Schweiz. Er hatte keine Mühe, hier Fuss zu fassen», erzählt Juliana. Auch ihre Mutter ist Kroatin und war als junge Frau immer wieder in der Schweiz zu Besuch bei ihrer Schwester. Wenn sie einmal da war, dann oft nur kurz. «Mit 26 Jahren hat sie hier meinen Vater kennengelernt», grinst Juliana, «ein Jahr später hat er ihr einen Heiratsantrag gemacht.» Für ihre Mutter begann ein Integrationsprozess im Erwachsenenalter. «Kontakt zur deutschen Sprache hatte sie anfangs kaum», weiss Juliana. Ihre Mutter arbeitete in einem Hotel. Sie sprach Portugiesisch, Italienisch, Spanisch, und erst später Deutsch. «Bei meinem Vater hört man, wenn er Deutsch spricht, heute nichts mehr von seinen kroatischen Wurzeln. Bei meiner Mutter schon eher», sagt die Studentin. «Meine Mama sagt noch heute zu mir: Ich hätte schon von Beginn an intensiver Deutsch lernen sollen.» Ihre Mutter kann sich heute aber trotz anfänglicher Schwierigkeiten mühelos verständigen. Der Besuch eines Deutschkurses hätte dennoch vieles vereinfacht. Eben auch aus diesem Grund sieht Juliana, wie wichtig es ist, Erwachsene im sprachlichen Integrationsprozess zu unterstützen.
Vom Unterrichten fasziniert
«Die Faszination für das Unterrichten verfolgt mich schon sehr lange», verrät Juliana. Durch eine Anzeige der ZHAW ist sie auf den Studiengang aufmerksam geworden. «Die Fächer haben mich direkt angesprochen.» Überzeugt hat sie schlussendlich der direkte Praxisbezug und der Fokus auf die Sprache. Das Studium ermöglicht ihr, im Bereich der Sprachförderung von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache für Erwachsene zu arbeiten. «Klar, Kinder zu unterrichten, zog ich auch oft in Erwägung», verrät die Studentin. Aber im Nachhinein ist sie froh, sich auf die Förderung von Erwachsenen konzentrieren zu können. «Es ist schön, Gespräche auf einem ähnlichen Level zu führen, über den Alltag zu sprechen, über das Leben.» Juliana hatte im zweiten Semester im Modul «Unterrichtsassistenz» die Möglichkeit, einen Einblick ins Unterrichten zu gewinnen.
Ein Semester als Unterrichtsassistentin
Sieben Mal in diesem Semester für jeweils zwei Stunden die Woche hat Juliana eine Klasse der Akrotea Schule in Rüti übernommen. Die Teilnehmerinnen des Deutschkurses auf A2-Niveau waren sechs Mütter, wie die Studentin erzählt. «Es hat mich beeindruckt, mit welchem Ehrgeiz sie Deutsch lernen wollen. Für sich selbst und für den Job.» Besonders geblieben sind Juliana die Gespräche mit den fremdsprachigen Frauen. «Sie alle beschäftigen verschiedene Herausforderungen. Sie wollen nicht nur sprechen, um die Sprache zu lernen. Viel mehr wollen sie auch sprechen, weil sie Anschluss suchen. Sie brauchen Unterstützung und Verständnis, wenn sie im Integrationsprozess Problemen begegenen.» Die meisten müssen sich an die neue Kultur gewöhnen. «Es war so herzig: Eine Mutter hat mich gefragt, wie viele Kinder ich denn schon habe. Das ist einfach so normal in ihrer Kultur, so früh schon Kinder zu bekommen» Sechs Frauen, sechs Sprachen, sechs Persönlichkeiten. Das Unterrichten schenkte Juliana Erfüllung, weil ihr der Fokus dabei so entspricht: das Zwischenmenschliche.
Mit Perspektivenwechsel zu Offenheit
«Ich denke, Perspektivenwechsel ist der Weg zum Ziel.» Sie alle migrieren aus verschiedenen Gründen», weiss Juliana nach einem Jahr im Studiengang Sprachliche Integration. «Es sind Gründe, die wir oft nicht präsent haben.» Integration heisst für Juliana vor allem auch, offen zu sein für Neues. Sie findet es wichtig, zuzuhören und die fremden Kulturen verstehen zu wollen. Sie sieht den Prozess als ein Geben und Nehmen. «Es macht ihnen eben auch Freude, zu geben. Geschichten, Erfahrungen, Worte ihrer Sprache mit uns zu teilen.» Juliana sieht, wie viel sie mit jedem kleinsten Beitrag bereits erreichen kann. «Es ist schade, viele haben gute Abschlüsse», sagt die Studentin, «Es kann doch nicht sein, dass sie diese einzig wegen der Sprachbarriere nicht nutzen können.» Auch deswegen möchte sie unterrichten. «Alles beginnt bei der Sprache. Erst dann wird man akzeptiert.» Dass die Sprache eben oftmals der Schlüssel in die Arbeitswelt ist, weiss Juliana auch von ihrem Kollegen aus Libyen. Im Rahmen des Studiums hat sich eine besondere Freundschaft gebildet.
Eine Fern-Freundschaft aus Libyen
«Er will mir Arabisch beibringen. Meistens sprechen wir dann aber doch Deutsch», lächelt Juliana, während sie über ihren sogenannten Tandem-Partner spricht. Im Rahmen des ersten Semesters haben alle Studierenden Kontakt zu einer chinesisch- oder arabischsprechenden Person gesucht. Juliana hat ihren Sprachpartner über das App «Tandem» gefunden. Die Studierenden sollen merken, wie schwer es ist, eine komplett andere Sprache zu lernen. «Wir sprechen über alles und nichts», verrät die Studentin.
«Er möchte in Deutschland arbeiten, als Arzt. Jedoch muss er dafür eine Deutschprüfung absolvieren.» Juliana bereitet es Freude, ihn bei diesem Schritt zu unterstützen. «Es ist doch so schön, ihm helfen zu können. Und es ist doch so schwierig, eine Sprache zu lernen», weiss sie. Sie fiebert mit ihm mit und motiviert ihn. «Eine besondere Freundschaft», so Juliana. Sie ist zuversichtlich, was seine Prüfung angeht. «Ich bleibe auf jeden Fall mit ihm in Kontakt.»
Praktikum oder Auslandsemester?
Im vierten Semester haben die Studierenden die Möglichkeit, ein Praktikum zu absolvieren oder im Ausland zu studieren. Juliana weiss, was sie machen wird: «Am liebsten ein Praktikum im Ausland. Berlin wäre schön, London auch.» Juliana hat Träume, Visionen. Aber eben auch klare Ziele. Was Sie in Zukunft machen will? «Ich weiss nicht, wohin mich der Weg führt. Aber er soll verändern, helfen und unterstützen. Ich möchte meinen Beitrag zur Gesellschaft leisten.» Das Unterrichten macht ihr Freude, das kann sie sich durchaus für ihre Zukunft vorstellen. «Diesen Sommer gehe ich nach Bosnien in meine zweite Heimat.» Sie hat es ihrer Grossmutter versprochen. Genau wie sie sich selbst versprochen hat, anderen den Weg hin zum Gefühl von Heimat zu erleichtern. An Versprechen hält sich die Studentin.
*Die Studi-Redaktion
In der Studi-Redaktion produzieren Studierende im Bachelorstudiengang Kommunikation multimediale Beiträge für die Kommunikationskanäle des Departements Angewandte Linguistik der ZHAW. Sie sind in dieser Rolle Teil des departementalen Kommunikationsteams, bringen erworbene Kompetenzen aus dem Studium ein und lernen dabei die Redaktionsabläufe in einem Corporate Newsroom kennen.