Dolmetscheinsatz-Amnesty-International-ZHAW

Dolmetschen für einen guten Zweck: Master-Studentinnen unterstützen Amnesty International

Simona und Anna, zwei Studentinnen des Masters Konferenzdolmetschen, haben für Amnesty International letztes Jahr das Jahrestreffen des Netzwerks Frauenrechte gedolmetscht. Dabei konnten sie wertvolle Erfahrungen für ihre berufliche Zukunft sammeln. Wie aber sieht ein Dolmetscheinsatz aus? Eine Studentin aus der Studi-Redaktion hat sie begleitet und teilt ihr Staunen.

Autorin: Moira Savoca, Mitglied der Studi-Redaktion*

Simona und Anna werden im Rahmen eines Dolmetsch-Volontariats eine Tagung von Amnesty International dolmetschen. Simona von Französisch auf Deutsch, Anna von Englisch auf Deutsch. Beide studieren im Master Angewandte Linguistik mit Vertiefung Konferenzdolmetschen. Mit solchen kostenlosen Volontariaten unterstützt der Master Konferenzdolmetschen gemeinnützige Organisationen, die ohne dieses Angebot keine Verdolmetschung anbieten könnten. Und: Die Volontariate ermöglichen den Studierenden, bereits im Studium wertvolle Praxiserfahrung zu sammeln.  

Wir fahren im Zug nach Bern, frühstücken und besprechen die letzten Recherchen zu Frauenrechten und Abtreibung. Darum wird es an der Tagung von Amnesty International Schweiz gehen.

Vorbereitung auf den Dolmetscheinsatz ist alles

Ich staune über das Ausmass an Recherche und Vorbereitung, die ein Dolmetschauftrag erfordert. Die Dolmetscher:innen müssen die zu erwartende Terminologie (Fachvokabular) vor- und aufbereiten, allfällige aktuelle News zum Thema kennen, Schlagzeilen und Geschehnisse in Europa und in der Welt verfolgen. Und: Sie müssen – sofern verfügbar – die bereits erhaltenen Unterlagen durcharbeiten, auch wenn es keine Garantie gibt, dass sich die Inhalte nicht noch ändern. Auch die Organisator- und Referent:innen arbeiten ja bis zum Schluss an ihren Unterlagen weiter. Und dann gilt es für die Dolmetscher:innen zu improvisieren!

Dolmetsch-Volontariat-Amnesty-international-ZHAW

Die Dolmetsch-Studentinnen tragen ihre Haare fein säuberlich geflochten. Tatsächlich ist der Grund dafür nicht Eitelkeit. Es geht einfach darum, dass Dolmetscher:innen im Einsatz in der Regel Kopfhörer tragen, die sich in den Haaren verheddern könnten. Auch das Outfit haben sie dem Anlass angepasst. So fallen sie ihrer Aufgabe entsprechend in der Menge nicht auf und hinterlassen einen professionellen Eindruck. Heute ist es ein gepflegter und klassischer Business Casual Look, bequem und neutral. Nichts wird dem Zufall überlassen.

Auch ohne Dolmetschkabine kann gedolmetscht werden

Wir treffen frühzeitig am Tagungsort ein, denn auch vor Ort sind etliche Vorbereitungen zu treffen. Simona und Anna werden mit einem erfreuten «Ahh!» begrüsst, als sie sich als Dolmetscherinnen zu erkennen geben. Dann heisst es Mantel verstauen, den Raum erkunden und letzte Absprache mit den Organisatoren treffen.

Sie nehmen die Tische in Augenschein, von denen aus sie dolmetschen werden, und platzieren diese strategisch noch etwas um. Das Dolmetschteam hört die Referenten zwar über das Mikrofon, aber die Akustik kann schlecht sein und das Mikrofon kann gar ausfallen. Sie müssen also in unmittelbarer Nähe zum Podium sein, ohne die Sicht für das Publikum zu versperren. Damit sie die Referent:innen nicht nur hören, sondern bei Bedarf auch Lippenlesen können und möglichst auch die Mimik und Gestik sehen, entscheiden sie sich für einen Platz an der Seite, direkt bei der Bühne.

Volontariat-Dolmetschen-AI-ZHAW

Simona und Anna sind jedoch nicht die einzigen Dolmetscherinnen. Es gibt ein zweites Dolmetschteam, das ins Französische dolmetscht. Sie sprechen sich mit dem zweiten Team ab und gemeinsam testen sie die Technik und die Einstellung der Dolmetschkanäle pro Sprache.

Die Teilnehmer:innen können zwischen drei Sprachen wählen: Deutsch, Englisch und Französisch. Das System wird von einer Personenführungsanlage (PFA) gesteuert, die mit speziellen Kopfhörern verbunden ist, welche für die Teilnehmer:innen bereitgestellt werden. Diese empfangen die drei Kanäle, über welche die verschiedenen Verdolmetschungen gehört werden können.

Ein beeindruckender Einsatz

Simona und Anna meistern ihren Dolmetscheinsatz mit Bravour und auch ein Fehler in der Sprachkanalzuordnung bringt sie nicht aus der Fassung. Darüber hinaus ist für mich der inhaltliche Höhepunkt der Veranstaltung der Auftritt von Justyna Wydrzyńska. Sie ist eine polnische Aktivistin, die für die Frauenrechte in ihrem Land kämpft und dafür juristisch belangt wird (Quelle). Mit ihr durfte ich ausserdem eine zweite Dolmetschform erleben: das Flüsterdolmetschen. Weil Justyna kein Deutsch und Französisch versteht, werden für sie die anderen Referate von einer Dolmetscherin auf Polnisch ins Ohr geflüstert. Auch diese Dolmetschform lernen die Master-Absolvent:innen an der ZHAW!

Der Einsatz ist kurzweilig, eindrücklich und für mich als Aussenstehende eine kleine Offenbarung. Ich hätte wohl nicht die rasche Auffassungsgabe meiner Studienkolleginnen, die nötig ist, um dolmetschen zu können. Umso grösser sind meine Bewunderung und mein Respekt für ihre Fähigkeiten und ihre Nerven aus Stahl. Die kognitive Leistung, Konzentration und die Improvisationsskills, die sie aufbringen müssen, um das sprachliche Verständnis aller Beteiligten sicherzustellen, sind beeindruckend.

Kognitiver Kraftakt: Dolmetschen ist ein Test für Konzentration und Verstand

Gleichzeitig zuhören, verstehen, verarbeiten, dolmetschen und bereits den nächsten Sprechteil aufnehmen – Puh! Das ist kognitiver Hochleistungssport. Dabei ist die Verdolmetschung keine wörtliche, sondern eine sinnhafte Wiedergabe des Gesagten. Dolmetscher:innen arbeiten immer im Zweierteam, um notfalls füreinander einspringen zu können – alle müssen mal niesen, husten oder lachen, nicht wahr? – und um zum Beispiel Zahlen oder spezifische Daten  für die gerade aktiv Dolmetschende aufzuschreiben. Denn während der Verdolmetschung ist es schwer, sich etwa Zahlen zu merken. Auch sollten sie sich in der Regel nach ca. 20 Minuten abwechseln können. Danach lässt die Konzentration nach.

Dolmetscher:innen sind mit vielen unterschiedlichen Menschen und Themen konfrontiert, auf die sie sich peinlich genau vorbereiten müssen. Dolmetschen ist der ad-hoc-Umgang mit schnellen Wechseln. Dafür braucht es ein grosses Allgemeinwissen und eine ausserordentliche Reaktionsfähigkeit. Dafür entschädigt das Dolmetschen die Masterabsolvent:innen aber auch durch ein äusserst abwechslungsreiches Einsatzgebiet, spannende Begegnungen und nie enden wollende Überraschungen.

Vielen herzlichen Dank meinen Studienkolleginnen aus dem Master Konferenzdolmetschen für diese Eindrücke! Ich durfte euren kognitiven Hochleistungssport miterleben und es war grossartig, spannend und eindrucksvoll!

Credits: Moira Savoca und Sokhawy Lo


Master Konferenzdolmetschen

* In der Studi-Redaktion produzieren Studierende im Bachelorstudiengang Kommunikation multimediale Beiträge für die Kommunikationskanäle des Departements Angewandte Linguistik der ZHAW. Sie sind in dieser Rolle Teil des departementalen Kommunikationsteams, bringen erworbene Kompetenzen aus dem Studium ein und lernen dabei die Redaktionsabläufe in einem Coporate Newsroom kennen.


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