Aline Criblez, Bachelor Sprachliche Integration Praktikum Deutschlehrerin

Von «Unterschuhen» über Bruce Lee zu kulturellem Austausch: Mein Praktikum als Deutschlehrerin bei der AOZ

Aline Criblez ist Studentin im Bachelor Sprachliche Integration. Das vierte Studiensemester, das aus einem grossen Praktikum besteht, hat sie bei der Asylorganisation Zürich (AOZ) verbracht. Während drei Monaten hat Aline dort mit geflüchteten Menschen gearbeitet, praktische Erfahrungen als Deutschlehrerin gesammelt und das im Studium Gelernte direkt umgesetzt. Sie gibt Einblicke in ihre spannende Praktikumszeit.

Autorin: Aline Criblez, Studentin Bachelor Sprachliche Integration

Wie der Name des Studienganges bereits sagt, beschäftigen wir uns im Studium mit dem grossen Spektrum an Themen rund um Sprache und Integration. Dazu habe ich in den ersten drei Semestern viele theoretische Inputs erhalten. Von den grammatischen Grundbausteinen der deutschen Sprache, über verschiedene didaktische Konzepte bis zur zielgruppengerechten Vermittlung von Inhalten – wir haben den Sprachunterricht auf vielseitige Weise betrachtet. Sprache bedeutet aber viel mehr als nur Grammatik und Didaktik. So ist beispielsweise die Muttersprache etwas sehr Persönliches, sie ist eng verbunden mit der Identität eines Menschen. In der Gemeinschaft trägt die gemeinsame Sprache wesentlich zur Bildung der kollektiven Identität bei. Beschäftigt man sich also mit Sprache und Integration (wobei Integration häufig beinhaltet, eine neue Sprache lernen zu müssen), ist es auch wichtig, den Blick auf weiterführende Themen wie Migrationsbiografien und Sprachpolitik zu legen, wie sie im Studiengang ebenfalls behandelt werden. Zusätzlich zu den Praxiseinblicken in den ersten Studiensemestern, habe ich nun bei der AOZ die erlernten Inhalte innerhalb eines intensiven Praktikums als Deutschlehrerin mit der Praxis verknüpfen können, wodurch ich viel neues Wissen gewonnen habe.

Über die Asylorganisation Zürich
 
Die AOZ…
– erfüllt Aufgaben der Sozialhilfe und Integrationsförderung für Asylsuchende, Flüchtlinge sowie andere Zugewanderte.
– erbringt fachliche Dienstleistungen im Auftrag von Bund, Kantonen, Gemeinden und Stellen der öffentlichen Hand.
– fördert gesellschaftliches Engagement und gutes Zusammenleben in Vielfalt.
– organisiert Weiterbildungen für Fachpersonen und weitere Interessierte.
– beschäftigt rund tausend Mitarbeitende (exkl. Dolmetschenden, Mentor:innen und Freiwillige).
– ist eine selbständige öffentlich-rechtliche Anstalt der Stadt Zürich.
 
Aktuell sind bei der AOZ rund 100 Stellen offen. Vom Integrationscoach über Kursleitung Deutsch (DaZ), Kursleiter:in Alphabetisierung im DaZ-Unterricht bis zu Gruppenleitung und Beratung – das Spektrum ist breit und zeigt auch einige der Berufswege, die denn Absolvent:innen des BA Sprachliche Integration offen stehen.
 
Mehr über die AOZ und zu aktuellen Stellenangeboten gibt es hier.

Eine Entdeckungsreise durch sprachliche Phänomene

Eine differenzierte Planung ist für guten Unterricht von grosser Wichtigkeit. Das habe ich während meines Praktikums am eigenen Leib erfahren. Für einen Lehrerinnen-Neuling wie mich nimmt die Unterrichtsplanung viel Zeit in Anspruch. Es lohnt sich aber, diese Zeit zu investieren: In der Vorbereitung breche ich jedes Thema, das ich unterrichten möchte, in seine sprachlichen Grundbausteine auf. Dies ermöglicht mir, es den Lernenden von Grund auf erklären zu können. Dadurch beschäftige ich mich mit Aspekten der Sprache, die mir bis jetzt entgangen waren und erhalte neue Einsichten in die deutsche Sprache.

Im Unterricht selbst wird mein persönliches Verständnis von den Wörtern und ihrer Bedeutung durch das der Deutschlernenden ergänzt. Sie haben einen anderen Blick auf die deutsche Sprache, geprägt von ihrer individuellen (Sprach-)Biografie. Auch entwickeln sie zum Teil eine unerwartete Kreativität. Als wir während des Praktikums zum Beispiel die Wörter für Kleidungsstücke lernten und den deutschen Ausdruck für Socken suchten, meinte ein Kursteilnehmer: «Ah, Unterschuhe!» Wir hatten zuvor die Begriffe «Hemd» – Unterhemd und Hose – «Unterhose» gelernt. Er führte das gelernte Muster weiter, wodurch die Kombination Schuhe – Unterschuhe entstand.

Ich probiere das Krar aus, ein Musikinstrument von einem meiner Schüler aus Eritrea.

Sich in der neuen Gesellschaft zurechtfinden

Die Diglossie-Situation in der Deutschschweiz ist für Deutschlernende herausfordernd: Sie lernen im Unterricht Hochdeutsch, werden aber im Alltag meist mit Schweizer Dialekten konfrontiert. Um beispielsweise Gespräche von Schweizer:innen bei der Arbeit oder im Alltag zu verstehen, – kurz gesagt, für die gesellschaftliche Integration – ist es für sie wichtig, das Schweizerdeutsche zu verstehen. Deshalb sollte es auch im Deutschunterricht nicht vernachlässigt werden. In einer Lektion haben wir eine der Besonderheiten des Schweizerdeutschen ausführlicher diskutiert: die Verkleinerungsform «li», wie in Brot – Brötli, Tasche – Täschli. Ein Teilnehmer aus dem Kurs, den ich im Rahmen des Praktikums unterrichtete, sagte lachend: «Ja, genau wie Brussli.» Ich verstand nicht, was er meinte, und fragte nach. Er wiederholte: «Brussli, der kleine Bruce!» – und meinte damit Bruce Lee, den Kampfsportler.

Anknüpfen an Erfahrungen

Die Themenwahl für die Unterrichtslektionen ist herausfordernd. Ich möchte im Unterricht über Sachen sprechen, die für die Teilnehmenden bedeutsam sind. So sind sie motivierter, darüber zu sprechen oder schreiben, die Diskussionen werden angeregter und der Unterricht macht mehr Spass – was schliesslich das Lernergebnis positiv beeinflusst. An einem Nachmittag beschäftigten wir uns mit dem Thema Tiere. Die Lernenden haben in Gruppen zu verschiedenen Tieren Plakate gemacht und danach zusammen über die Plakate gesprochen. Es entstanden dabei laute, angeregte Diskussionen darüber, welche Tiere in welchen Heimatländern lebten, welches das gefährlichste Tier ist, und welche Tiere in welchen Ländern gegessen werden. Die Reaktionen der Muslime auf das Plakat über das Grillieren von Schweinen gingen von Erstaunen bis zum Entsetzen. Fast bei jedem Tier gibt es mindestens eine Person, die eine persönliche Geschichte oder Assoziation erzählen kann. So hat ein Teilnehmer jedes Mal, wenn ich wissen wollte, wie die Biene heisst, über Honig gesprochen. Und man konnte sehen, wie ihm dabei das Wasser im Munde zusammenlief.

Ausgewählte Plakate von meinen Lernenden zum Thema Tierwelt.

Kultureller Austausch im Praktikum

Themen wie die Tierwelt, Essen, Sprache, Musik und Tanz waren in allen Klassen beliebt. Denn sie wecken meist positive Erinnerungen an die eigene Heimat, Kultur und Kindheit – alles Begriffe, die mit der Identität eines Menschen verknüpft sind. Und an dieser Identität wird gerüttelt, wenn man sich als geflüchteter Mensch in einem neuen, kulturell ganz anderen Land in die Gesellschaft einfinden möchte. Damit die Integration gelingen kann, ist es wichtig, dass die geflüchteten Menschen die Kultur und die Sprachen der Schweiz kennenlernen. Es ist aber genauso wichtig, dass ihre eigene Kultur und Sprache wertgeschätzt werden und sie Möglichkeiten haben, diese zu pflegen. Gerade im Deutschunterricht ist dies einfach möglich, indem die Lehrperson Raum gibt, über kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu diskutieren – beispielsweise durch die Bearbeitung der Themen Essen, Musik und Tiere. So findet während des Deutschlernens ein Austausch zwischen verschiedenen Kulturen statt. Denn genau wie meine Schüler:innen von mir Deutsch lernen, lerne auch ich von ihnen neue Musikinstrumente, Tänze, kulturelle Besonderheiten und andere Sichtweisen auf das Leben kennen. Ich bin überzeugt davon, dass es eine grosse Bereicherung ist, wenn ein Individuum und eine Gesellschaft diesem Austausch offen gegenüberstehen.

Um eine kompetente, professionelle Lehrperson zu werden, die Aspekte sowohl der Ursprungs- als auch der Ziel-Kultur berücksichtigt, um geflüchteten Menschen die Teilhabe in unserer Gesellschaft zu ermöglichen – dafür studiere ich im Bachelor Sprachliche Integration.

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