Kathrin-Brunner-Praktikantin-Korpuslinguistik

Korpuslinguistik schnuppern – ein Praktikum mit Sprachdaten

Frisch ab dem Bachelor in Angewandten Sprachen absolviert Kathrin Brunner ein Praktikum an der Forschungsfront des ILC: Die Professur «Digital Linguistics» forscht in vielfältigen Themengebieten und lässt die Praktikantin in der Welt der Wissenschaft erste Forschungsbeiträge leisten. In welchen hochaktuellen Forschungsprojekten Kathrin das Korpus befragen und mitarbeiten konnte und wo sie besonders viel gelernt hat, erzählt sie in ihrem Beitrag.

von Kathrin Brunner, ehemalige Praktikantin Digital Linguistics, Institute of Language Competence

Meine ersten Erfahrungen mit Korpuslinguistik machte ich während des Bachelorstudiums «Angewandte Sprachen» im Rahmen der Seminararbeit. Augenblicklich war ich fasziniert von den schier unerschöpflichen Forschungsmöglichkeiten. Als ich später erfuhr, dass die ZHAW selbst Sprachforschung betreibt, wusste ich sofort, dass ich dort dabei sein musste. Ich bewarb mich blind um eine Praktikumsstelle in der Professur Digital Linguistics, bekam die Stelle – und die Möglichkeit, für drei Monate Teil des Forschungsteams zu werden.

Die Korpuslinguistik, mit der ich mich für meine Seminararbeit auseinandersetzte, hat es mir angetan und ich wollte mehr davon. Zu meinen Gunsten wurde ausgerechnet diese Methode auch bei mehreren Forschungsprojekten der Digital Linguistics verwendet; beispielsweise das Forschungsprojekt «COVIDisc», das unter anderem folgende Frage untersucht: Wie werden junge Menschen im Corona-Diskurs dargestellt, wie gelingt die Kommunikation in der Corona-Pandemie zwischen ihnen und den Behörden und wie kann sie verbessert werden?

Korpuslinguistik heisst also, dass in einer riesigen, digitalen Textsammlung, die mit linguistischen Zusatzinformationen versehen ist, Suchabfragen von verschiedenster Art durchgeführt werden. So kann die Textsammlung – das Korpus – zum Beispiel darüber abgefragt werden, wie bestimmte Zeitungen über Jugendliche sprechen, oder wie unsere «Normalität» zu Beginn der Pandemie dargestellt wurde.

Die Korpuslinguistik verrät es uns

Für das letztgenannte Beispiel durfte ich einen Beitrag zur «Normalität» schreiben und dafür selbst das Korpus abfragen, die Daten aufbereiten und den Text dazu schreiben. Dadurch konnte ich aufzeigen, dass jetzt eine «neue Normalität» herrscht, in der beispielsweise das Händewaschen zum Alltag gehört und Körperkontakt wie Hände schütteln oder die Begrüssungsküsschen als seltsam oder gar unangenehm wahrgenommen werden. Oder dass das «Social Distancing» zwei Bedeutungen hat: Einerseits die medizinische Bedeutung, bei der durch die physische Distanz weitere Ansteckungen mit dem Virus verhindert werden sollen, andererseits die soziale Auslegung, nach welcher sich Menschen einsam und isoliert fühlen. Ebenso fand ich anhand dieses Korpus heraus, dass das Wort «Normalität» im Lockdown ein Vielfaches häufiger verwendet wurde als zuvor oder danach, wobei alle zurück zur «alten Normalität» wollten.

Besonders spannend bei diesem Projekt fand ich die transdisziplinäre Zusammenarbeit der Forschenden aus verschiedensten Branchen: Angewandte Linguistik, Gesundheitswissenschaft und Public Health Communication. Dadurch, dass Wissenschaftler mit Muttersprache Italienisch, Englisch und Deutsch involviert waren, wurde die Arbeit auf Englisch verfasst. Die Technik macht’s möglich: Dank diversen Online-Tools konnten Forschende im Tessin, in Zürich oder Winterthur an derselben Arbeit schreiben und sich trotz der Distanz treffen und beraten.

Daten müssen klassifiziert und ausgewertet werden. Hier ein Excel mit Auswertungen.

Kontakt auf Distanz

Allgemein habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Forschenden im Team der Digital Linguistics international vernetzt und präsent sind. Es gibt regelmässig Symposien, Messen und Konferenzen zur Linguistik, wobei die Mitarbeitenden der ZHAW fleissig teilnehmen, mitwirken und ihre Projekte vorstellen. Ein Grossteil der Arbeit der Digital Linguistics ist – wenig überraschend – digital oder anders gesagt, am Rechner. Daher liegen die Online-Tools ohnehin in der Natur dieses Berufes, was vielleicht der Grund war, dass der Kontakt auf Distanz während des Praktikums – vom Online-Bewerbungsgespräch bis zur virtuellen Wandtafel zum gemeinsamen Brainstormen – so unkompliziert verlief.

Diese digitale Ausrichtung ermöglichte mir, den grössten Teil des Praktikums von Zuhause aus sehr selbstständig zu arbeiten, während ich mit meinen Arbeitskolleg:innen durch verschiedene Kommunikationstools und regelmässige Teams-Sitzungen verbunden blieb.

Praxisorientierte Forschung

Als eine meiner letzten Aufgaben durfte ich über die Online-Plattform INCEpTION Texte von Berufsmaturand:innen annotieren, von welchen viele Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache (DaF/DaZ) sprechen. Dabei müssen die Texte korrigiert und die Fehler mit zusätzlichen Informationen (Annotation) versehen werden. Diese Annotation liefert die Daten, anhand welchen der Sprachgebrauch der DaZ- und DaF-Sprechenden analysiert werden kann. Zum Beispiel kann so ermittelt werden, was den Lernenden je nach Sprachniveau besonders Mühe bereitet und ob die Schwierigkeiten abhängig sind vom Land (Schweiz, Deutschland, Österreich), in welchem sie Deutsch lernen. Die so gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen eine gezielte Förderung der Lernenden – und liefern Beispiele für den Unterricht im Bachelorstudiengang «Sprachliche Integration».

Gerade dieser Praxisbezug macht für mich den Bereich der Digital Linguistics besonders reizvoll. Denn die Arbeit, die wir hier leisten, landet nicht einfach im Archiv. Meist arbeiten wir mit externer Kundschaft, die einen Forschungsauftrag erteilt hat. Abschliessend führt unsere Arbeit beispielsweise zu Kommunikationsempfehlungen, Sprachschulungen oder weiteren Sprachwerkzeugen, die dem Kunden oder der Gesellschaft einen Nutzen bringen können. Das ist enorm motivierend.

Blick hinter die Kulissen

Bisher hatte ich die ZHAW als Studierende gekannt und war meist mit Prüfungen und Gruppenarbeiten beschäftigt gewesen. In der Welt der Forschung finde ich Teile davon wieder: Es wird im Team gearbeitet, mit Leuten des eigenen Instituts oder anderen Partnerorganisationen, manchmal sogar mehrsprachig. Gegeben ist eine Deadline. Praxispartner und Förderinstitutionen wie beispielsweise das BAG oder swissuniversities warten auf die Resultate und wollen ihre Investition sinnvoll eingesetzt wissen. Noten gibt es keine, bewertet wird trotzdem – fast alles beim Alten? Nein, hier geht es um mehr. Und manchmal erfährt auch die breite Öffentlichkeit von unserer Forschung: die Wahl des «Wort des Jahres» fand soeben statt, die Vorbereitungen der Korpora auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch liefen dafür auf Hochtouren.

Die Mitarbeit in einem vielseitig engagierten Forschungsteam war enorm bereichernd und eröffnete mir neue Möglichkeiten. Auch wenn mein Praktikum nun abgeschlossen ist, habe ich das Gefühl, dass ich der Korpuslinguistik nicht lange fernbleiben werde.


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