Die ZHAW richtet vom 27. Juni bis am 2. Juli 2021 die grösste Fachtagung für linguistische Pragmatik aus: die 17th International Pragmatics Conference. Zum ersten Mal wird die Konferenz an einer deutschsprachigen Hochschule, und erstmals komplett virtuell, durchgeführt. Die IPrA 2021 wirft mit fast 1’400 Teilnehmenden ein Schlaglicht auf das Departement Angewandte Linguistik und das Institute of Language Competence. Als Vorsitzende der Konferenz ist Prof. Dr. Christiane Hohenstein intensiv in die Organisation und Durchführung involviert. Im Interview geht sie unter anderem auf die Relevanz dieser renommierten Konferenz ein, erläutert das diesjährige Thema rund um die Bedeutung von Inklusion für die gesellschaftliche Integration und geht auf die Keynote-Speaker 2021 ein.
Ein Interview mit Prof. Dr. Christiane Hohenstein, durchgeführt von Sylvana Bucher, Studentin Bachelorstudiengang Kommunikation, 4. Semester, am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW. Mitglied der Studi-Redaktion
Frau Hohenstein, Sie leiten den Forschungsbereich Interkulturalität und Sprachdiversität am ILC. Welche Bedeutung hat die International Pragmatics Conference für die ZHAW beziehungsweise für das Institute of Language Competence ILC?
Sie ist als grösste Fachkonferenz für linguistische Pragmatik weltweit renommiert. Dass die ZHAW unter den Schweizer Hochschulen als Austragungsort ausgewählt wurde, hat eine grosse internationale Strahlkraft. Aufgrund ihres Anwendungsbezugs hat die Angewandte Linguistik einen starken Bezug zur Pragmatik. Als Wissenschaft vom Handeln beschäftigt sich die Pragmatik mit der gesellschaftlichen Praxis – und die findet wesentlich mit Sprache statt. Damit entspricht diese Konferenz der strategischen Ausrichtung der ZHAW an gesellschaftlichen Fragen. Die linguistische Pragmatik ist in den Instituten des Departements Angewandte Linguistik ein zentraler Ansatz: in der Medienlinguistik, der Übersetzungswissenschaft und der Sprachvermittlung. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Expertinnen und Experten aus allen drei Instituten an der Konferenz beteiligt sind.
Welche strategischen Vorteile bringt die Durchführung der Konferenz?
Mit dieser Konferenz können wir uns als Departement Angewandte Linguistik national und international positionieren, Forschungskontakte vertiefen und neue Netzwerke aufbauen. Drei strategische Bereiche unserer Forschung und Lehre – die inklusive und barrierefreie Kommunikation, die Winterthurer Diskursanalyse und die Ausgestaltung einer pragmatischen Korpuslinguistik – sind momentan im Ausbau und in den letzten Jahren gewachsen. Die barrierefreie Kommunikation beispielsweise wurde seit 2016 in einem Swissuniversities Projekt gefördert und wird in Anschlussprojekten sowie im Bachelor- und Masterstudium weiter umgesetzt.
Das diesjährige Thema der Konferenz lautet «The Pragmatics of Inclusion». Was darf man sich konkret darunter vorstellen?
Es geht dabei um die gesellschaftliche Verantwortung der linguistischen Pragmatik und ihrer Teildisziplinen – gerade angesichts globaler Krisen wie der Covid19-Pandemie, die Ausschlussmechanismen produzieren. Die Analyse von kontroversen Diskursen um Gleichstellung, Migration und gesellschaftliche Vielfalt hilft uns, gesellschaftliche Praxen zu verstehen. Das Thema «Pragmatics of Inclusion» weist einen unmittelbaren Bezug zum strategischen ZHAW-Forschungsschwerpunkt Gesellschaftliche Integration auf. Denn Inklusion ist ein politisch, medial und wissenschaftlich umkämpfter Aspekt des demokratischen Bemühens um gesellschaftliche Integration.
Die Keynote-Speaker kommen aus aller Welt. Was zeichnet die Personen aus?
Die sechs Plenarvorträge von renommierten internationalen Gästen geben einerseits Einblicke in hoch aktuelle Entwicklungen in der Forschung, andererseits werden verdiente Forscherinnen wie Deborah Tannen und Amy Kyratzis durch Auszeichnungen für ihre Arbeit geehrt. Deborah Tannen ist bei uns wohl am bekanntesten aufgrund ihrer erfolgreichen Bücher zur Misskommunikation zwischen Frauen und Männern durch unterschiedliche Sprechstile. Ihr Gesamtwerk in soziolinguistischer Gesprächsanalyse leistet international einen wichtigen Beitrag zur linguistischen Pragmatik und erhält den John J Gumperz Lifetime Achievement Award. Die Susan Ervin-Tripp Lecture ist eine Anerkennung sowohl des Lebenswerks dieser 2018 verstorbenen Psycholinguistin als auch der in dieser Tradition stehenden Arbeiten von Amy Kyratzis zu Spracherwerb und Kognition, Gender-Unterschieden und sprachlicher Sozialisation. David Beaver, Professor der University of Austin, Texas, erweitert die formal-semantische Analyse von Bias und Manipulation um sprachsoziologische und philosophische Aspekte.
Carmen Lee ist Professorin der Chinese University in Hong Kong und Spezialistin für Multilingualismus im Netz. Sie thematisiert diskurspragmatische und sprachsoziologische Folgen der Sprachverwendung online und wie sich methodologische Entscheidungen auf unser Verstehen der Pragmatik von Sprache auswirken.
Miriam Locher von der Universität Basel ist eine international renommierte Schweizer Linguistin mit Forschungsschwerpunkten in interpersonaler Pragmatik, Höflichkeitsforschung, Beratung und Computer-vermittelter Kommunikation. Maria Sifianou ist Prof. emerita der Universität Athen und anerkannt für ihre soziolinguistisch-pragmatischen Arbeiten zu den Auswirkungen von kultureller Variation und Globalisierung auf (Un-)Höflichkeit und (In-)Direktheit in face-to-face und Online-Kommunikation.
Welchen Zweck verfolgt die International Pragmatics Association (IPrA)?
Sie vereint weltweit Forschende, die das Verwenden von Sprache im Handeln wissenschaftlich untersuchen, also tatsächlichen Sprachgebrauch erforschen. Das Zielpublikum der International Pragmatics Association (IPrA) sind internationale WissenschaftlerInnen, Forschende und Studierende der Sprachwissenschaften und Angewandten Linguistik, die unter anderem Gesprächsanalysen, Text- und Diskursanalysen durchführen, Mehrsprachigkeit, Fremdsprachen, politische Rhetorik oder Mediensprache untersuchen. Die IPrA vernetzt uns weltweit als ExpertInnen und ermöglicht uns eine themenbezogene Zusammenarbeit.
Was sind die gemeinsamen Ziele der IPrA und der ZHAW?
Die Förderung der angewandten Forschung, des wissenschaftlichen Nachwuchses und die weltweite Zusammenarbeit in Bereichen der sprachlichen Bildung sowie der institutionellen und medialen Kommunikation sind gemeinsame Ziele. Für beide Organisationen ist die Konferenz eine Drehscheibe des Austauschs zwischen Forschenden aller Hochschultypen, internationalen Expertinnen und Experten und mit dem wissenschaftlichen Nachwuchs.
Welche Herausforderungen stellten sich der ZHAW als gastgebende Hochschule?
Bis Mitte Mai hatten wir eine hybride Konferenz geplant, wobei ungefähr ein Drittel der Teilnehmenden vor Ort gewesen wäre. Schliesslich mussten wir doch auf eine komplett virtuelle Durchführung umstellen. Die Konferenz über eine neu entwickelte Plattform durchzuführen, bietet spannende Lernmöglichkeiten – für uns und die Studentischen Helferinnen und Helfer, die mit grossem Engagement die virtuellen Finessen meistern. Trotz der digitalen Durchführung wollen wir möglichst viele analoge Eindrücke der ZHAW und von Winterthur vermitteln, beispielsweise mit Fotos und Videos.
Wieso ist Sprachforschung im Zusammenhang mit Interkulturalität so wichtig?
Haben Sie mal versucht, sich interkulturell mit Händen und Füssen, Zeichnungen und Mimik zu verständigen? Wir brauchen die Sprache als wichtigstes Werkzeug, um uns zu verständigen und unsere verschiedenen Sichten auf die Welt zu verstehen. Interkulturelle Kommunikation ist das Vermitteln zwischen verschiedenen Sprachen, Sprachvarietäten und Kulturen. Gerade die pragmatische Sprachforschung kann uns die Prozesse bewusst machen, mit denen wir durch blossen Sprachgebrauch, beim Sprechen und Handeln in und mit Sprache gesellschaftlich Inklusion und Exklusion bewirken.
Weitere Informationen zur Konferenz sind hier zu finden.