Nicht erst seit wir coronabedingt einen noch höheren Anteil unserer Arbeits- und Freizeit im virtuellen Raum verbringen, breiten sich digitale Technologien kontinuierlich im Alltag aus. Das bringt auch die Technikkommunikation an einen Wendepunkt. Die Industrie fordert Anleitungen, die ihren smarten Produkten angemessen sind. NutzerInnen erwarten bei technischen Problemen unkomplizierte, individuelle Lösungen. Zusammen mit der Nachbardisziplin Textanalyse lassen sich diese Herausforderungen besser meistern.
von Birgit Fuhrmann, Ulla Kleinberger, Olivia Meier und Martin Schuler, Forschungs- und Arbeitsbereiche Technikkommunikation und Angewandte Text- und Gesprächslinguistik des IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen
Ein Blick in die Zukunft der Technikkommunikation: Eine defekte Maschine spuckt nicht mehr einfach einen Fehlercode aus, den die Wartungstechnikerin in einem dicken Handbuch suchen muss. Sie liefert gleich eine genaue Beschreibung des Problems und eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für dessen Lösung – z.B. über einen Touch-Screen direkt am Gerät oder gar eine Augmented Reality-Brille.
Die «klassische» Bedienungsanleitung, die einem Produkt gedruckt beigelegt wird, um rechtliche Anforderungen zu erfüllen und Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen, gehört der Vergangenheit an. Der Fokus liegt nicht mehr auf der blossen Dokumentation, sondern darauf, individualisierte Informationen und Lösungsstrategien bereitzustellen und so die NutzerInnen in einer spezifischen Anwendungssituation zu unterstützen.
Das Suchverhalten der NutzerInnen, die Anforderungen an Produkte und an die Verfügbarkeit von Nutzungsinformationen haben sich im Zuge der Digitalisierung verändert. Vermehrt treten Digital Natives und Millenials in die Berufswelt ein. Diese haben ganz andere Erwartungen an ihr technisches Umfeld. Sie setzen neue Problemlösungsstrategien ein und sind es gewohnt, mit digitalen Produkten und Medien umzugehen. Sie haben keine Berührungsängste und sind bereit, technische Probleme selbst zu lösen. Dabei erwarten sie auch interaktive technische Unterstützung.
Der digitale Wandel erfordert intelligente Informationen
Um diesen Herausforderungen der Digitalisierung gerecht zu werden, muss sich die Technische Kommunikation wandeln. Wenn NutzerInnen individuell angesprochen werden sollen, braucht eine Maschine bzw. ein Produkt sogenannte kontextsensitive Informationen. Also Informationen, die Begleitumstände mit einbeziehen. Zum einen sind das Informationen über die Maschine oder das Produkt selbst beispielsweise, welche Extras in einem Auto eingebaut sind – eine Rückfahrkamera oder ein Fahrassistent. Zum anderen sind das Informationen über die Person, mit der kommuniziert werden soll: Welche Sprache spricht sie? Welches Hintergrundwissen bzw. Niveau an Fachwissen hat sie? Wie detailliert soll die Antwort sein?
Wenn solche kontextsensitiven Informationen als sogenannte Metadaten mit den Anleitungstexten verknüpft werden, spricht man von intelligenten Informationen. Diese sollen «betrachtungsfreundlich, kontextbezogen, individualisiert, personalisierbar, multimedial und orientiert an Use Cases» (Grünwied 2017, S. 37) zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung gestellt werden.
Technikkommunikation: Status Quo
Die Basis, um intelligente Informationen herzustellen, ist in vielen Fällen bereits vorhanden. In den Archiven der Technischen Redaktionen finden sich vielfach ungeahnte Schätze: Inhalte in Form von schriftlichen technischen Dokumentationen (z.B. Bedienungsanleitungen), die aufbereitet und wiederverwendet werden können.
In vielen Unternehmen werden diese Inhalte mithilfe eines CCMS (Component Content Management Systems) erstellt und damit aufbereitet. Technische RedakteurInnen verfolgen dabei den Single-Source-Ansatz. Das bedeutet, dass jeder Inhalt idealerweise nur einmal erstellt und in unterschiedlichen Dokumentationen und Ausgabemedien zur Verfügung gestellt werden kann. Das reduziert den Aufwand, wenn neue Dokumentationen generiert oder bestehende aktualisiert werden müssen. Digitalisierung bedingt ausserdem ein gewisses Mass an Automatisierung, wofür wiederverwendbare Inhalte essenziell sind.
Ergänzend zum CCMS setzen einige Unternehmen zudem sogenannte Content Delivery Portale (CDP) ein. Das sind Portale (z.B. für Kunden), die den NutzerInnen in jeder Anwendungssituation zur richtigen Zeit und am richtigen Ort die richtigen Informationen zur Verfügung stellen – ganz im Sinne von intelligenter Information.
Eine grosse Herausforderung bleibt also für viele Technische RedakteurInnen: Aus den bestehenden Inhalten und Dokumentationen müssen intelligente Informationen werden. Um diese Aufgabe effizient anzupacken, ist eine intensivere Zusammenarbeit der Technikkommunikation mit anderen linguistischen Ansätzen eine vielversprechende Möglichkeit.
Textanalyse & Technikkommunikation: Gemeinsam die Digitalisierung meistern
Mit Methoden der Textanalyse könnten technische Dokumentationen analysiert, strukturiert und in kleinere Textbausteine gegliedert werden. Werden diese Textbausteine mit zusätzlichen Informationen, also Metadaten, versehen, werden sie eindeutig identifizierbar. Dies wiederum schafft die Möglichkeit, sie in verschiedenen Medien – z.B. in Videos, Animationen oder Chatbots – wiederzuverwenden und den NutzerInnen intelligent zur Verfügung zu stellen.
Ein Zusammenspannen der beiden Disziplinen hilft dabei nicht nur der Technikkommunikation weiter. Sie bringt auch sinnvolle Ergebnisse für die angewandte Textanalyse im betrieblichen Umfeld. Durch eine vertiefte Auseinandersetzung mit technischen Dokumentationen kann die Entwicklung verschiedener Textsorten oder Genres, wie der «Gebrauchsanweisung», nachgezeichnet und deren Weiterentwicklung antizipiert werden.
Mit angewandter Textanalyse können wir zum Beispiel für Gebrauchsanweisungen neue Erkenntnisse gewinnen, wie die Balance zwischen Norm und Freiraum gelingen kann. Also, wie gesetzliche Vorgaben und Elemente, die einen Text als Gebrauchsanweisung ausweisen, umgesetzt und ineinander verwoben sind. Und gleichzeitig, wie die kommunikativen Ziele erreicht werden: beschreibend, erzählend, erklärend oder auffordernd. Sonst kann es passieren, dass Sicherheitshinweise in einem beschreibenden Text versteckt werden.
Darüber hinaus lassen sich typische sprachliche Ausdrücke wie Metaphern, Kollokationen, feste Wortverbindungen und semantische Netze in den Texten herausarbeiten. Die Lexik, die Mehrsprachigkeit, verwendete Varietäten und Stile könnten untersucht sowie die Struktur, die Gliederung und das Layout der Texte nachgezeichnet werden (Kleinberger, 2019). Das Zusammenspiel zwischen Bildern, Grafiken und Text oder die Erforschung der kulturellen Prägung von technischen Dokumentationen schafft zusätzliche Einsichten zu Texten und Textsorten im digitalen Zeitalter. Alles notwendige Erkenntnisse, die für eine zukunftsgerichtete Aus- und Weiterbildung nicht nur von Technischen RedakteurInnen notwendig sind.
Digitalisierung: Gemeinsam den Weg in die Zukunft gehen
Durch die Digitalisierung wandeln sich die Herangehensweisen und Überlegungen in der Technikkommunikation wie auch der Textanalyse. Durch eine stärkere Verbindung und eine intensivere Zusammenarbeit können diese beiden Disziplinen voneinander profitieren; das Ergebnis ist grösser als die Summe der Einzelteile. Ein interdisziplinärer Fokus ermöglicht neue Perspektiven und eröffnet vielfältigere Lösungsansätze.
- Indem Technische RedakteurInnen ihre textkonstituierenden und -analytischen Fähigkeiten ausbauen, ist das eine grosse Chance auf dem Weg zur intelligenten Information.
- Indem Fragestellungen der Technikkommunikation aus dem Blickwinkel der angewandten Textanalyse betrachtet werden, lassen sich Herangehensweisen, Modelle, Denkparadigmen und Vorgehensweisen beider Disziplinen erweitern und aktualisieren.
Die Beschaffenheit von Wissenschaftsbereichen ist schliesslich nicht statisch. Sie wandelt sich und sollte ständig neu gedacht und überdacht werden. Wenn die digitale Welt vernetzter und dadurch komplexer wird, kann man den Mehrwert der gemeinsamen Herangehensweise nutzen, um Herausforderungen vielfältiger zu begegnen.
Der Weg der digitalen Transformation ist noch lange bis wir bei der «intelligenten Information» angekommen sind. Schliesslich stellen sich nach der Aufbereitung der Inhalte weitere Fragen: Wie kommen sie genau dorthin, wo sie zu finden sein sollen? Wie erhalten NutzerInnen Zugriff auf die Inhalte: über ein Tablet, übers Handy, im Internet? Wie wird der Zugriff sprachlich konzipiert: Mithilfe von Suchwörtern, Schlüsselbegriffen, Phrasen?
Im nächsten Beitrag unserer dreiteiligen Blogreihe geht es neben diesen Fragen um Künstliche Intelligenz, die Computerlinguistik und automatisierte Textanalyse.
Literatur
Grünwied, G. (2017). Usability von Produkten und Anleitungen im digitalen Zeitalter. Handbuch für Entwickler, IT-Spezialisten, und Technische Redakteure. Mit Checklisten und Fallstudien. Publicis Publishing.
Kleinberger, U. (2019). Phraseologische Textvernetzung – online. Dialogisches und intertextuelles Potential in Online-Debattenforen. In J. Scharloth, J. Schröter, N. Bubenhofer, S. Tienken, Y. Ilg (Hrsg.) Linguistische Kulturanalyse (S. 171-194). De Gruyter. https://doi.org/10.1515/9783110585896-008
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Mit den Forschungs- und Arbeitsbereichen Technikkommunikation und Angewandte Text- und Gesprächsanalyse ist das IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen das Kompetenzzentrum der ZHAW für eine zukunftsweisende Technische Dokumentation – in Ausbildung, Weiterbildung, Forschung und Dienstleistung.
In der Vertiefung Fachkommunikation und Informationsdesign (ehemals: Vertiefung Technikkommunikation) des Bachelor Angewandte Sprachen bilden wir unsere Studierenden zu Fachleuten aus für das Informationsdesign in der digitalisierten Arbeitswelt, für optimierte Usability und dafür, wie komplexe Fachinhalte für verschiedene Zielgruppen und Medien aufbereitet werden.